boerse.de: Jens Ehrhardt: Rückblick 2001

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boerse.de: Jens Ehrhardt: Rückblick 2001

 
20.11.01 11:42
Jens Ehrhardt

Rückblick 2001

2001 war, wie schon das Vorjahr, ein schlechtes, äußerst schwieriges Börsenjahr. Die zurückliegende Periode ist in vielerlei Hinsicht die schlechteste Aktienzeit der Nachkriegsjahre gewesen. Die Verluste allein an den amerikanischen Börsen lagen in der Spitze bei rund 7.000 Mrd. $, was rund 70% des US-Bruttoinlandsprodukts entspricht. Nach dem Börsencrash 1987 betrug der gesamte Wert aller amerikanischen Aktien gerade einmal die Hälfte – 35% vom US-Bruttoinlandsprodukt. Man kann sich vorstellen, dass solche gigantischen Verluste (auch an anderen Börsen) Auswirkungen auf die Wirtschaft selbst haben. Eigentlich sollte die Realwirtschaft bzw. die Ertragsentwicklung der Unternehmen die Aktienmärkte bestimmen. Heute ist es fast umgekehrt, da im Hinblick auf den Reichtumseffekt die Vermögensverluste der Anleger zu starken negativen Konjunkturbeeinflussungen führen. Während oberflächliche US-Wirtschaftsprofessoren, wie der MTI-Professor Dornbusch, diese Vermögensverluste als völlig unbedeutend wegwischten, zeigen die deutlichen Rückgänge beim Konsumentenvertrauen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Die Vermögensverluste sind erheblich höher als die staatlichen Mehrausgaben (z.B. die Anti-Terroristen-Projekte, die gut 100 Mrd. $ kosten und die Konjunktur wesentlich weniger positiv beeinflussen als die Vermögensverluste die Konjunktur drücken). Auch die Steuersenkungen bzw. Steuerrückerstattungsschecks, die die US-Konsumenten in Höhe von 38 Mrd. $ erhielten, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie betragen gerade einmal gut 5% der Vermögensverluste. Inzwischen kommen auch die Immobilienmärkte unter Druck. In der Vergangenheit fielen die Bewertungen in diesem Sektor immer mit 1-2-jähriger Verzögerung gegenüber den Aktienmärkten.

Das Hauptproblem der US-Konjunktur liegt aber in einem noch anderen Bereich. In den letzten Jahren wurde die Verschuldung der Unternehmen und Konsumenten in so atemberaubenden Tempo erhöht, dass hier eine Zeitbombe für die US-Konjunktur geschaffen wurde. Jedermann fokussiert auf die kleinen Überschüsse im Staatshaushalt und streicht dies positiv gegenüber den (ebenfalls kleinen) Budgetdefiziten in Europa positiv heraus, ohne zu merken, dass im Bereich der Unternehmen und Konsumenten eine geradezu gigantische Verschuldung im Gange ist. Dass die US-Konjunktur sich im zurückliegenden Jahr trotz der anhaltenden Verschuldungserhöhungen um rund 20% nicht verbesserte, ist doppelt alarmierend. Führen die Amerikaner ihre Schulden in der Privatwirtschaft zurück, so kann man sich vorstellen, welche Konjunktureinbrüche bevorstehen – ganz unabhängig von Steuersenkungen, Zinssenkungen und staatlichen Konjunkturprogrammen. Wirtschaftswissenschaftler, wie Milton Friedman, halten ohnehin nichts von solchen künstlichen Konjunkturbeeinflussungen. Das Beispiel Japan hat ab 1990 deutlich gemacht, dass fundamentale Verschuldungshintergründe wesentlich wichtiger sind und sich von kurzfristigen staatlichen Maßnahmen nicht wegwischen lassen. Kein Unternehmer wird investieren, wenn er einerseits hoch verschuldet ist, andererseits die Kapazitätsauslastung seiner Anlagen bzw. die Beschäftigung seiner Dienstleistungs-Mitarbeiter unterdurchschnittlich ist. Kein Verbraucher wird stärker konsumieren, wenn Arbeitslosigkeit droht und seine Verschuldung ein historisches Hoch erreicht hat. Dabei nützen auch niedrigere Konsumentenkredite wenig. Steigt die US-Sparquote von jetzt 0,4% auf das langjährige Mittel von 10%, so kann man sich vorstellen, wie stark die US-Konjunktur einbricht. Viele halten Greenspans Zinssenkungen für dynamisch, erfolgreich und wesentlich konsequenter als in Europa, wo man die Zinsen nur zögerlich senkte. Tatsächlich bliebt Greenspan aber gar nichts anderes übrig, als die stärkste und schnellste Zinssenkung aller Zeiten durchzuziehen (schneller als 1929), da der amerikanischen Wirtschaft das Wasser bis zum Hals steht. Hinzu kommt, dass es keineswegs sicher ist, dass die Maßnahmen greifen. Hauptproblem bleiben die steil abstürzenden Unternehmensgewinne. Kein Unternehmer investiert neu, wenn er nicht die Voraussetzungen für gewinnbringende neue Geschäftsaktivitäten sieht. Das Beispiel Japan hat deutlich gemacht, dass auch Null-Zinsen keinen Investitionsboom auslösen, wenn schlechte Gewinnaussichten und Überkapazitäten herrschen.

Die jüngsten Aktienmarkt-Verbesserungen sind vor dem nach wie vor – im pessimistischen Falle – ungünstigen Konjunkturaussichten kaum auf den ersten Blick zu verstehen. Allerdings wirken sich an der Börse markttechnische Überverkauft-Situationen und extrem positive Liquidität in der Regel immer kurzfristig positiv auf die Aktienkurse aus. Ob allerdings eine echte Tendenzwende nach oben begonnen hat, wird sich erst zeigen. Nur, wenn die Greenspan’schen Maßnahmen doch zu höherem Konsum und verstärkter Investitionsbereitschaft der Unternehmen führen, wird man einen mittelfristigen Aufwärtstrend der Aktienkurse erleben. Die heutigen Aktienbewertungen sind aber keineswegs preiswert. Bezogen auf die laufenden Gewinne wird der amerikanische Standard & Poor’s Aktienindex immer noch mit dem ca. 30-fachen Gewinn bewertet. Das entspricht einer „Verzinsung“ der Aktionärsinvestitionen von gut 3%. Solange langlaufende Staatsanleihen noch fast 5% Verzinsung bringen, erscheint der Aktienmarkt sogar überbewertet. In Japan gilt dies ohnehin schon lange. Trotz nur 1,8% für langlaufende Anleihen und höheren „Gewinnverzinsungen“ der Aktiengesellschaften, kommt die Börse dort nicht vom Fleck. Bezogen auf den Vergleich Rendite von Anleihen und Gewinnrendite von Aktien, hätte der japanische Aktienmarkt schon seit 1997 steigen müssen. Das Gegenteil war der Fall.

Aus markttechnischer und monetärer Sicht ist damit zu rechnen, dass die günstige saisonmäßige Verfassung der Aktienmärkte im Zeitraum November bis Januar auch in diesem Jahr positiv verlaufen wird. Die Barreserven der Institutionen sind relativ hoch. Die Geldmarktfonds wiesen noch nie dagewesene Volumen auf – dies trifft inzwischen auch im Verhältnis zum Wert aller Aktien zu. Angesichts solch geballter Kaufkraft einerseits und praktisch nicht vorhandenem neuen Aktienangebot (praktisch keine Neuemissionen), könnten die Notierungen durchaus noch bis Mitte Januar weiter deutlich steigen. Mit viel Glück würden sich dann auch noch Konjunkturverbesserungen zeigen, und es wäre tatsächlich ein weiterer Aufschwung bis in das Frühjahr hinein möglich. Ob ein solcher optimistischer Fall eintreten wird, muß allerdings erst in den nächsten Monaten neu beurteilt werden.

Dr. Jens Ehrhardt

20.11.2001
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