REPORT
Blauer Dödel mit rotem Bobbel
Wie die italienische Unicredito die bayerische Hypo-Vereinsbank auf die Übernahme vorbereitet – die kleine Geschichte eines Kulturkampfs.
HB MÜNCHEN. Hätte man die Karte von Europa einst Leonid Breschnew gezeigt, der Führer der Sowjetunion wäre über die Maßen erfreut gewesen. Europa ist rot, knallrot, von Russland bis Deutschland, von Italien bis zur Türkei. Nur im Osten und Norden des Kontinents gibt es noch kleine weiße Flecken. Leonid Breschnew ist bekanntlich lange schon tot, und bei der Karte geht es auch nicht um Politik. Sondern um viel Geld. „The first truly European Bank“ ist die Karte überschrieben. Zigtausendfach hat Alessandro Profumo das Plakat im DIN-A2-Format und in der Farbe seines Mailänder Bankhauses dieser Tage in München, Hamburg und Wien an seine neuen Mitarbeiter verteilt. Und einen netten Brief dazugelegt.
Dort werden mit hehren Worten große Pläne beschrieben, nach dem gelungenen Umtausch der HVB-Aktien in Unicredito entstehe eine Gruppe „mit enormen Wachstumspotenzialen, wie es sie in dieser Form in der europäischen Finanzwelt noch nicht gegeben hat“. Auf dieser fast epischen Höhe geht es auf einer ganzen Seite weiter, von eigenen Wurzeln und einer neuen starken Gruppenidentität, von Synergien und Vision, von Vertrauen und spannenden Erfahrungen ist die Rede. Die Hypo-Vereinsbank aber, die vor 170 Jahren in München gegründete erste deutsche Aktienbank, taucht an keiner Stelle mehr auf. Das königlich-bayerische Blau ist von Profumos Landkarte getilgt. Farben können eine Botschaft sein.
Vor fünf Monaten haben der Italiener und sein neuer Kompagnon, Dieter Rampl, den Zusammenschluss verkündet, vor wenigen Tagen hat sich Unicredito fast 90 Prozent der Aktien der HVB gesichert, am Donnerstag präsentieren die beiden Banken ihre Quartalszahlen. Es dürfte das letzte Mal sein, dass die HVB wenigstens so tun darf, als sei sie noch eine eigene Größe. „Dass die Italiener derart schnell die Macht ergreifen, hätte ich nicht erwartet“, sagt ein Abteilungsleiter. Lange hatte Dieter Rampl den Zusammenschluss als Fusion zweier fast gleich starker Häuser verkauft. Doch längst hat sich das wohl ehrgeizigste Fusionsprojekt der jüngeren europäischen Finanzgeschichte als das entpuppt, was es ist: eine klassische Übernahme. Und gerade deshalb müssen die Italiener um ihren virilen Chef Profumo jetzt darauf aufpassen, dass ihnen der Laden in Deutschland nicht auseinander fliegt. Vorige Woche hatten sich die Gerüchte verdichtet, am Samstag war es dann Gewissheit: Christine Licci, die etwas vorlaute Privatkundenchefin der HVB, und Stefan Jentzsch, der machtbewusste Investment-Banking-Chef der Münchener, werden das Institut verlassen. Der Rückzug Liccis war nicht wirklich eine Überraschung, sie hatte sich bereits im Sommer mit Profumo angelegt. Überdies ist es ein offenes Geheimnis, dass Licci derzeit auch mit privaten Dingen arg beschäftigt ist: Sie heiratet.
Der zweite Schlag aber traf die Fusionswilligen umso härter, weil eher überraschend: Jentzschs Rückzug war im Fusionsplan nicht vorgesehen. Sicher, der ehemalige Goldman-Sachs-Banker mit Haus und Familie im Taunus hatte sich nie das bayerische Netz geknüpft, das in den vielen Abgründen, die sich im Laufe der Jahre bei der HVB auftaten, Sicherheit hätte bieten können. Einerseits.
Andererseits galt der weltgewandte Jentzsch lange als Kronprinz von Rampls Vorgänger Albrecht Schmidt. Es ist anders gekommen, der Bayer Rampl wurde Bankchef. Gut möglich, dass Jentzsch diese Niederlage nie wirklich verkraftet hat. Jetzt hat er zurückgeschlagen, zu einem für Rampl denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn der bisherige HVB-Chef, der als Chef des Verwaltungsrats die neue Großbank künftig vor allem repräsentieren darf, hat in den vergangenen Monaten manches zu Stande gebracht. Ein überzeugendes Personaltableau, das gestehen selbst seine Anhänger zu, war indes bislang nicht darunter. Und nun geht ihm mit Jentzsch ausgerechnet die Figur verloren, für die sich der HVB-Chef im Übernahmevertrag ins Zeug gelegt hatte: Jentzsch sollte ein eigenes Konzernressort mit Sitz in München erhalten. „Ich verstehe das nicht, er war ein Gewinner der Fusion, er hat dafür gestimmt, und jetzt geht er uns von der Fahne“, sagt ein Rampl-Freund. Am Donnerstag wird sich Rampl dazu im Aufsichtsrat erklären müssen. Vier Fusionskritiker aus den Reihen des Betriebsrats haben sich für die Sitzung stark gemacht. Das hat vor allem damit zu tun, dass Rampl derzeit nichts so sehr fürchtet wie Unruhe. Zwar bemühte sich seine Umgebung zu versichern, die Sitzung sei Formsache. Doch leicht nimmt Rampl das nicht. Gestern ließ er sich auf der Mitgliederversammlung des Bayerischen Bankenverbands, dessen Präsident er ist, entschuldigen. Er müsse das Aufsichtsratstreffen vorbereiten.
So laufen, und das mag für derartige Großprojekte typisch sein, derzeit zwei Filme parallel in Sachen Fusion. Der eine handelt von der großen, wahrhaft europäischen Bank. In ihm spielen lauter smarte Gutmenschen, die über Europa verteilt nur von einem einzigen Ziel beseelt sind: aus der neuen Unicredito eine schlagkräftige Bank zu machen. Der andere Film handelt von Intrigen und Eitelkeiten, von Macht und Missgunst und davon, wie ein ehrgeiziges Großprojekt an menschlichen Unzulänglichkeiten scheitern könnte. Sonderbar nur, dass in beiden Streifen dieselben Personen mitspielen.
Rapallo ist ein historisch einschlägig vorbelasteter Ort. Im Jahr 1922 unterzeichneten hier Reichsaußenminister Walther Rathenau und die Regierung der jungen Sowjetunion einen von Briten und Franzosen erbittert bekämpften Entspannungsvertrag. Deutsche und Russen verzichteten auf Reparationen, tauschten Botschafter aus, vereinbarten Geheimkontakte ihrer Militärs. Nicht nur die Westalliierten schäumten, Rathenau kostete der Vertrag das Leben, wenig später wurde er von Rechtsradikalen ermordet. 83 Jahre danach, vom 21. bis 23. Oktober 2005, brütet ein gutes Dutzend Banker im Keller des Fünf-Sterne-Hotels „Excelsior Palace“ über der Zukunft eines Bankenimperiums, das sich von Deutschland nach Russland erstrecken wird. Das Management-Committee der neuen Unicredito will drei Tage lang über die neue Bank diskutieren. „Von der Riviera haben wir so gut wie nichts gesehen“, sagt ein Teilnehmer. Rampl und Jentzsch sind dabei, beide werden fleißig diskutieren – unter der Regie Profumos, versteht sich. Dass Jentzsch innerlich bereits gekündigt hat, lässt er niemanden spüren. Dafür gibt es da schon reichlich kulturelle Brüche zu überwinden, wie sich am Beispiel des Kaffees zeigt: „Das ist ein Dauerthema, wenn Rampl Kaffee bestellt, der Österreicher Hampel einen Einspänner, Profumo aber einen Espresso poco macchiato verlangt, was glauben Sie, was dann bei den Kellnern los ist“, erzählt ein HVB-Banker schmunzelnd.
Am ersten Tag haben die Strategen vor allem über die aktuellen Zahlen gesprochen. Profumo hatte ihnen im Kern das Gerüst präsentiert, das er selbst so gerne vorbetet auf seiner Europareise zu den neuen Kollegen. 28 Millionen Kunden in 19 Ländern, mehr als 7 000 Filialen, 140 000 Angestellte. „Mindsetting“ sei das gewesen, sagt ein Teilnehmer. Am zweiten Tag wird es konkreter, auch die Zukunft des Investment-Bankings steht auf der Tagesordnung, hier hat Jentzsch manches zu schlucken. Denn mit dem großen Geschäft, Eigenhandel und Übernahmefinanzierung, wollen die Italiener am liebsten nichts zu tun haben. Es ist genau das, wovor der Ex-HVB-Vorstand und Bank-Austria-Chef Gerhard Randa in seinem legendären Brief zur fusionsentscheidenden Aufsichtsratssitzung der HVB am 30. August warnte: „Im Gegensatz zu uns verfügt Unicredito über keinerlei Investmentbank-Erfahrung.“ Seither hat Randa die Übernahme, die er für eine „Selbstaufgabe“ der HVB hält, bekämpft.
Zurück nach Rapallo. Am dritten Tag legen die künftigen Vorstände ihre Vision von „Unicredito 2010“ vor. Draußen herrscht der morbide Nachsommer der Riviera. Im Keller geht es um die Zukunft: Kann die Bank von innen heraus stark genug wachsen? Oder muss sie Wettbewerber übernehmen? Es heißt, man habe sich hier nicht einigen können.
Während die Strategen in den Kellern Selbstfindung üben, läuft die Detailarbeit in den Häusern unter Vollgas weiter. Ausgehend von 15 Arbeitsgruppen, die teils unter der Regie der Spartenchefs, teils unter der direkten Oberhoheit des CEO Profumo arbeiten, rollt eine Welle von Meetings durch die Häuser. Seit Monaten schon drücken die Italiener aufs Tempo: „Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als rasant vorzugehen“, sagt ein Teilnehmer.
Wenn aber in ganz Europa der rasende Geist Profumos durch die Flure weht, liegt der Kampf der Kulturen nicht mehr fern. In München etwa ist eine eher ästhetische Frage extrem umstritten. Unicredito will alle Signets der übernommenen Banken zusätzlich mit seinem Logo, der weißen Eins auf rotem Grund, versehen. „Bobbel“, in Bayern für Knäuel, nennen die Münchener das Logo der Italiener. Für gestandene Bayernbanker, längst vertraut mit ihrem Schriftzug und dem darunter befindlichen königsblauen Halbkreis, hausintern „Dödel“ genannt, ist das eine grauenhafte Vorstellung: „Der rote Bobbel zum blauen Dödel, damit machen wir uns doch lächerlich“, sagt ein Aufsichtsrat.
Doch es gibt in den Arbeitsgruppen noch ganz andere Probleme. Eine der schwierigsten Aufgaben ist es, schlüssige Funktionsbezeichnungen zu finden. So dürfen sich deutsche HVB-Bezirksleiter auf ihren englischen Visitenkarten First Vice President nennen – was ihre italienischen Kollegen nur noch lachen lässt. Auch kennt die HVB einen Deputy CEO. Das wiederum kommt bei Unicredito einer Majestätsbeleidigung gleich. Denn CEO ist in Mailand nur einer, und der heißt Alessandro Profumo.
Der große, schlanke Mann mit den vielen grauen Haaren ist eine erstaunliche Figur, sein Charme wirkt natürlich, sein Auftreten ist betont amerikanisch. Er hat bei McKinsey gelernt. Tatsächlich kann dieser Mann knallhart sein, und das ist seine andere Seite. Wie war das noch beim ersten Kontakt mit deutschen Führungskräften? „Wenn wir unsere Ziele nicht erreichen, dann bin ich tot. Aber bevor ich sterbe, sind Sie dran“, hat er da gesagt.
Solche Augenblicke sind für Dieter Rampl höchst gefährlich, weil hier der schöne Schleier zerreißt, den er über den ganzen Vorgang auszubreiten bemüht ist. Er hat stets versucht, zu lächeln und Harmonie zu verströmen. Kommt es aber hart auf hart, dann wird Profumo es rampeln lassen. Das hat wohl auch Jentzsch eingesehen – und seine Konsequenzen gezogen. „Wir müssen lernen, mit ihm umzugehen, ich verlange aber auch, dass er lernt, mit uns umzugehen“, sagt ein Aufsichtsrat. Viele Kritiker reden nur in der dritten Person von Profumo, gerade so, als gehe es um Voldemort oder den Leibhaftigen.
„Es ist alles rasend schnell gegangen“, sagt Franz Herrlein, Vize-Chef des Integrationsteams. Der 38-Jährige kontrolliert die Arbeitsgruppen, er sortiert Gedanken für die Top-Manager, spielt den Schlichter in Konflikten. Das kann ganz schön unangenehm werden. Die Größe der Aufgabe ist in seinem Gesicht abzulesen, Verantwortung hinterlässt Spuren. Dabei ist Herrlein gar nicht die letzte Kontrollinstanz, aber er ist ihr deutsches Gesicht – die vielleicht schwierigste Aufgabe dieser Tage.
Wie schön wäre es, wenn es Herrlein nur mit dem Stress im eigenen Laden zu tun hätte. Störfeuer kommt auch von außen, manchmal von völlig unerwarteter Seite. So gilt Münchens Oberbürgermeister Christian Ude nicht als Freund der Fusion, zu groß ist die Angst in der Stadt, dass der Zusammenschluss auch Jobs kosten könnte. München wehrt sich auf seine Art. Das Wahrzeichen der Bank, das Hypo-Hochhaus am Arabella-Park, soll unter Denkmalschutz gestellt werden. Die Begründung: Den neuen Eigentümern könnte das Haus nicht mehr am Herzen liegen. Zwar ist der Bank von Umbauplänen nichts bekannt. Der Generalkonservator aber baut vor: „Bei einem Eigentümerwechsel muss man mit allem rechnen.“
Im 19. Stock des künftigen Denkmals alter Macht und Größe ist der Riss, der durch die Hypo-Vereinsbank geht, fast körperlich zu spüren. Hier amtiert der Betriebsrat, wenige Meter voneinander entfernt sitzen Arbeitnehmervertreter, die sich nicht mehr viel zu sagen haben: Hanns-Peter Kreuser von der Gewerkschaft der Bankangestellten ist gegen die Fusion, sein Kollege Peter König von Verdi dafür. Sie beide sitzen im Aufsichtsrat, König hat am 30. August für die Übernahme gestimmt, Kreuser dagegen. Wieder hört man zwei völlig unterschiedliche Geschichten. Kreuser erzählt von einer Bank, die gerade dabei war, wieder auf eigenen Füßen zu stehen, und sich dann den Italienern an den Hals warf. König sagt, Unicredito sei die letzte Chance für die HVB und eine gute dazu. Kreuser erzählt, dass Profumos rote Europakarte inzwischen bei 95 Prozent aller Mitarbeiter im Papierkorb gelandet sei. König erzählt, dass die Italiener der Bank Wachstum auch in Deutschland versprochen haben. Glücklich schaut er nicht dabei aus. Er blickt aus seinem Büro Richtung Alpen. Irgendwo dahinter liegt Mailand. „Früher haben wir gedacht, wir sind der Nabel der Welt. Jetzt müssen wir eben lernen, Juniorpartner zu sein.“
Quelle: HANDELSBLATT, Donnerstag, 10. November 2005, 09:45 Uhr
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Der Einsame Samariter
Blauer Dödel mit rotem Bobbel
HB MÜNCHEN. Hätte man die Karte von Europa einst Leonid Breschnew gezeigt, der Führer der Sowjetunion wäre über die Maßen erfreut gewesen. Europa ist rot, knallrot, von Russland bis Deutschland, von Italien bis zur Türkei. Nur im Osten und Norden des Kontinents gibt es noch kleine weiße Flecken. Leonid Breschnew ist bekanntlich lange schon tot, und bei der Karte geht es auch nicht um Politik. Sondern um viel Geld. „The first truly European Bank“ ist die Karte überschrieben. Zigtausendfach hat Alessandro Profumo das Plakat im DIN-A2-Format und in der Farbe seines Mailänder Bankhauses dieser Tage in München, Hamburg und Wien an seine neuen Mitarbeiter verteilt. Und einen netten Brief dazugelegt.
Dort werden mit hehren Worten große Pläne beschrieben, nach dem gelungenen Umtausch der HVB-Aktien in Unicredito entstehe eine Gruppe „mit enormen Wachstumspotenzialen, wie es sie in dieser Form in der europäischen Finanzwelt noch nicht gegeben hat“. Auf dieser fast epischen Höhe geht es auf einer ganzen Seite weiter, von eigenen Wurzeln und einer neuen starken Gruppenidentität, von Synergien und Vision, von Vertrauen und spannenden Erfahrungen ist die Rede. Die Hypo-Vereinsbank aber, die vor 170 Jahren in München gegründete erste deutsche Aktienbank, taucht an keiner Stelle mehr auf. Das königlich-bayerische Blau ist von Profumos Landkarte getilgt. Farben können eine Botschaft sein.
Vor fünf Monaten haben der Italiener und sein neuer Kompagnon, Dieter Rampl, den Zusammenschluss verkündet, vor wenigen Tagen hat sich Unicredito fast 90 Prozent der Aktien der HVB gesichert, am Donnerstag präsentieren die beiden Banken ihre Quartalszahlen. Es dürfte das letzte Mal sein, dass die HVB wenigstens so tun darf, als sei sie noch eine eigene Größe. „Dass die Italiener derart schnell die Macht ergreifen, hätte ich nicht erwartet“, sagt ein Abteilungsleiter. Lange hatte Dieter Rampl den Zusammenschluss als Fusion zweier fast gleich starker Häuser verkauft. Doch längst hat sich das wohl ehrgeizigste Fusionsprojekt der jüngeren europäischen Finanzgeschichte als das entpuppt, was es ist: eine klassische Übernahme. Und gerade deshalb müssen die Italiener um ihren virilen Chef Profumo jetzt darauf aufpassen, dass ihnen der Laden in Deutschland nicht auseinander fliegt. Vorige Woche hatten sich die Gerüchte verdichtet, am Samstag war es dann Gewissheit: Christine Licci, die etwas vorlaute Privatkundenchefin der HVB, und Stefan Jentzsch, der machtbewusste Investment-Banking-Chef der Münchener, werden das Institut verlassen. Der Rückzug Liccis war nicht wirklich eine Überraschung, sie hatte sich bereits im Sommer mit Profumo angelegt. Überdies ist es ein offenes Geheimnis, dass Licci derzeit auch mit privaten Dingen arg beschäftigt ist: Sie heiratet.
Der zweite Schlag aber traf die Fusionswilligen umso härter, weil eher überraschend: Jentzschs Rückzug war im Fusionsplan nicht vorgesehen. Sicher, der ehemalige Goldman-Sachs-Banker mit Haus und Familie im Taunus hatte sich nie das bayerische Netz geknüpft, das in den vielen Abgründen, die sich im Laufe der Jahre bei der HVB auftaten, Sicherheit hätte bieten können. Einerseits.
Andererseits galt der weltgewandte Jentzsch lange als Kronprinz von Rampls Vorgänger Albrecht Schmidt. Es ist anders gekommen, der Bayer Rampl wurde Bankchef. Gut möglich, dass Jentzsch diese Niederlage nie wirklich verkraftet hat. Jetzt hat er zurückgeschlagen, zu einem für Rampl denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn der bisherige HVB-Chef, der als Chef des Verwaltungsrats die neue Großbank künftig vor allem repräsentieren darf, hat in den vergangenen Monaten manches zu Stande gebracht. Ein überzeugendes Personaltableau, das gestehen selbst seine Anhänger zu, war indes bislang nicht darunter. Und nun geht ihm mit Jentzsch ausgerechnet die Figur verloren, für die sich der HVB-Chef im Übernahmevertrag ins Zeug gelegt hatte: Jentzsch sollte ein eigenes Konzernressort mit Sitz in München erhalten. „Ich verstehe das nicht, er war ein Gewinner der Fusion, er hat dafür gestimmt, und jetzt geht er uns von der Fahne“, sagt ein Rampl-Freund. Am Donnerstag wird sich Rampl dazu im Aufsichtsrat erklären müssen. Vier Fusionskritiker aus den Reihen des Betriebsrats haben sich für die Sitzung stark gemacht. Das hat vor allem damit zu tun, dass Rampl derzeit nichts so sehr fürchtet wie Unruhe. Zwar bemühte sich seine Umgebung zu versichern, die Sitzung sei Formsache. Doch leicht nimmt Rampl das nicht. Gestern ließ er sich auf der Mitgliederversammlung des Bayerischen Bankenverbands, dessen Präsident er ist, entschuldigen. Er müsse das Aufsichtsratstreffen vorbereiten.
So laufen, und das mag für derartige Großprojekte typisch sein, derzeit zwei Filme parallel in Sachen Fusion. Der eine handelt von der großen, wahrhaft europäischen Bank. In ihm spielen lauter smarte Gutmenschen, die über Europa verteilt nur von einem einzigen Ziel beseelt sind: aus der neuen Unicredito eine schlagkräftige Bank zu machen. Der andere Film handelt von Intrigen und Eitelkeiten, von Macht und Missgunst und davon, wie ein ehrgeiziges Großprojekt an menschlichen Unzulänglichkeiten scheitern könnte. Sonderbar nur, dass in beiden Streifen dieselben Personen mitspielen.
Rapallo ist ein historisch einschlägig vorbelasteter Ort. Im Jahr 1922 unterzeichneten hier Reichsaußenminister Walther Rathenau und die Regierung der jungen Sowjetunion einen von Briten und Franzosen erbittert bekämpften Entspannungsvertrag. Deutsche und Russen verzichteten auf Reparationen, tauschten Botschafter aus, vereinbarten Geheimkontakte ihrer Militärs. Nicht nur die Westalliierten schäumten, Rathenau kostete der Vertrag das Leben, wenig später wurde er von Rechtsradikalen ermordet. 83 Jahre danach, vom 21. bis 23. Oktober 2005, brütet ein gutes Dutzend Banker im Keller des Fünf-Sterne-Hotels „Excelsior Palace“ über der Zukunft eines Bankenimperiums, das sich von Deutschland nach Russland erstrecken wird. Das Management-Committee der neuen Unicredito will drei Tage lang über die neue Bank diskutieren. „Von der Riviera haben wir so gut wie nichts gesehen“, sagt ein Teilnehmer. Rampl und Jentzsch sind dabei, beide werden fleißig diskutieren – unter der Regie Profumos, versteht sich. Dass Jentzsch innerlich bereits gekündigt hat, lässt er niemanden spüren. Dafür gibt es da schon reichlich kulturelle Brüche zu überwinden, wie sich am Beispiel des Kaffees zeigt: „Das ist ein Dauerthema, wenn Rampl Kaffee bestellt, der Österreicher Hampel einen Einspänner, Profumo aber einen Espresso poco macchiato verlangt, was glauben Sie, was dann bei den Kellnern los ist“, erzählt ein HVB-Banker schmunzelnd.
Am ersten Tag haben die Strategen vor allem über die aktuellen Zahlen gesprochen. Profumo hatte ihnen im Kern das Gerüst präsentiert, das er selbst so gerne vorbetet auf seiner Europareise zu den neuen Kollegen. 28 Millionen Kunden in 19 Ländern, mehr als 7 000 Filialen, 140 000 Angestellte. „Mindsetting“ sei das gewesen, sagt ein Teilnehmer. Am zweiten Tag wird es konkreter, auch die Zukunft des Investment-Bankings steht auf der Tagesordnung, hier hat Jentzsch manches zu schlucken. Denn mit dem großen Geschäft, Eigenhandel und Übernahmefinanzierung, wollen die Italiener am liebsten nichts zu tun haben. Es ist genau das, wovor der Ex-HVB-Vorstand und Bank-Austria-Chef Gerhard Randa in seinem legendären Brief zur fusionsentscheidenden Aufsichtsratssitzung der HVB am 30. August warnte: „Im Gegensatz zu uns verfügt Unicredito über keinerlei Investmentbank-Erfahrung.“ Seither hat Randa die Übernahme, die er für eine „Selbstaufgabe“ der HVB hält, bekämpft.
Zurück nach Rapallo. Am dritten Tag legen die künftigen Vorstände ihre Vision von „Unicredito 2010“ vor. Draußen herrscht der morbide Nachsommer der Riviera. Im Keller geht es um die Zukunft: Kann die Bank von innen heraus stark genug wachsen? Oder muss sie Wettbewerber übernehmen? Es heißt, man habe sich hier nicht einigen können.
Während die Strategen in den Kellern Selbstfindung üben, läuft die Detailarbeit in den Häusern unter Vollgas weiter. Ausgehend von 15 Arbeitsgruppen, die teils unter der Regie der Spartenchefs, teils unter der direkten Oberhoheit des CEO Profumo arbeiten, rollt eine Welle von Meetings durch die Häuser. Seit Monaten schon drücken die Italiener aufs Tempo: „Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als rasant vorzugehen“, sagt ein Teilnehmer.
Wenn aber in ganz Europa der rasende Geist Profumos durch die Flure weht, liegt der Kampf der Kulturen nicht mehr fern. In München etwa ist eine eher ästhetische Frage extrem umstritten. Unicredito will alle Signets der übernommenen Banken zusätzlich mit seinem Logo, der weißen Eins auf rotem Grund, versehen. „Bobbel“, in Bayern für Knäuel, nennen die Münchener das Logo der Italiener. Für gestandene Bayernbanker, längst vertraut mit ihrem Schriftzug und dem darunter befindlichen königsblauen Halbkreis, hausintern „Dödel“ genannt, ist das eine grauenhafte Vorstellung: „Der rote Bobbel zum blauen Dödel, damit machen wir uns doch lächerlich“, sagt ein Aufsichtsrat.
Doch es gibt in den Arbeitsgruppen noch ganz andere Probleme. Eine der schwierigsten Aufgaben ist es, schlüssige Funktionsbezeichnungen zu finden. So dürfen sich deutsche HVB-Bezirksleiter auf ihren englischen Visitenkarten First Vice President nennen – was ihre italienischen Kollegen nur noch lachen lässt. Auch kennt die HVB einen Deputy CEO. Das wiederum kommt bei Unicredito einer Majestätsbeleidigung gleich. Denn CEO ist in Mailand nur einer, und der heißt Alessandro Profumo.
Der große, schlanke Mann mit den vielen grauen Haaren ist eine erstaunliche Figur, sein Charme wirkt natürlich, sein Auftreten ist betont amerikanisch. Er hat bei McKinsey gelernt. Tatsächlich kann dieser Mann knallhart sein, und das ist seine andere Seite. Wie war das noch beim ersten Kontakt mit deutschen Führungskräften? „Wenn wir unsere Ziele nicht erreichen, dann bin ich tot. Aber bevor ich sterbe, sind Sie dran“, hat er da gesagt.
Solche Augenblicke sind für Dieter Rampl höchst gefährlich, weil hier der schöne Schleier zerreißt, den er über den ganzen Vorgang auszubreiten bemüht ist. Er hat stets versucht, zu lächeln und Harmonie zu verströmen. Kommt es aber hart auf hart, dann wird Profumo es rampeln lassen. Das hat wohl auch Jentzsch eingesehen – und seine Konsequenzen gezogen. „Wir müssen lernen, mit ihm umzugehen, ich verlange aber auch, dass er lernt, mit uns umzugehen“, sagt ein Aufsichtsrat. Viele Kritiker reden nur in der dritten Person von Profumo, gerade so, als gehe es um Voldemort oder den Leibhaftigen.
„Es ist alles rasend schnell gegangen“, sagt Franz Herrlein, Vize-Chef des Integrationsteams. Der 38-Jährige kontrolliert die Arbeitsgruppen, er sortiert Gedanken für die Top-Manager, spielt den Schlichter in Konflikten. Das kann ganz schön unangenehm werden. Die Größe der Aufgabe ist in seinem Gesicht abzulesen, Verantwortung hinterlässt Spuren. Dabei ist Herrlein gar nicht die letzte Kontrollinstanz, aber er ist ihr deutsches Gesicht – die vielleicht schwierigste Aufgabe dieser Tage.
Wie schön wäre es, wenn es Herrlein nur mit dem Stress im eigenen Laden zu tun hätte. Störfeuer kommt auch von außen, manchmal von völlig unerwarteter Seite. So gilt Münchens Oberbürgermeister Christian Ude nicht als Freund der Fusion, zu groß ist die Angst in der Stadt, dass der Zusammenschluss auch Jobs kosten könnte. München wehrt sich auf seine Art. Das Wahrzeichen der Bank, das Hypo-Hochhaus am Arabella-Park, soll unter Denkmalschutz gestellt werden. Die Begründung: Den neuen Eigentümern könnte das Haus nicht mehr am Herzen liegen. Zwar ist der Bank von Umbauplänen nichts bekannt. Der Generalkonservator aber baut vor: „Bei einem Eigentümerwechsel muss man mit allem rechnen.“
Im 19. Stock des künftigen Denkmals alter Macht und Größe ist der Riss, der durch die Hypo-Vereinsbank geht, fast körperlich zu spüren. Hier amtiert der Betriebsrat, wenige Meter voneinander entfernt sitzen Arbeitnehmervertreter, die sich nicht mehr viel zu sagen haben: Hanns-Peter Kreuser von der Gewerkschaft der Bankangestellten ist gegen die Fusion, sein Kollege Peter König von Verdi dafür. Sie beide sitzen im Aufsichtsrat, König hat am 30. August für die Übernahme gestimmt, Kreuser dagegen. Wieder hört man zwei völlig unterschiedliche Geschichten. Kreuser erzählt von einer Bank, die gerade dabei war, wieder auf eigenen Füßen zu stehen, und sich dann den Italienern an den Hals warf. König sagt, Unicredito sei die letzte Chance für die HVB und eine gute dazu. Kreuser erzählt, dass Profumos rote Europakarte inzwischen bei 95 Prozent aller Mitarbeiter im Papierkorb gelandet sei. König erzählt, dass die Italiener der Bank Wachstum auch in Deutschland versprochen haben. Glücklich schaut er nicht dabei aus. Er blickt aus seinem Büro Richtung Alpen. Irgendwo dahinter liegt Mailand. „Früher haben wir gedacht, wir sind der Nabel der Welt. Jetzt müssen wir eben lernen, Juniorpartner zu sein.“
Quelle: HANDELSBLATT, Donnerstag, 10. November 2005, 09:45 Uhr
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Der Einsame Samariter
