Bildung als Standortvorteil

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Bildung als Standortvorteil

 
28.01.03 21:27

Hessen vor der Wahl / Von Georg Giersberg


In Hessen wird wie in Niedersachsen an diesem Sonntag der Landtag neu gewählt. Mit demselben Wahltermin ist der Vorrat an Gemeinsamkeiten zwischen den beiden benachbarten Flächenländern aber auch schon fast erschöpft. Hessen gehört in Deutschland zu den Bundesländern mit der robustesten Wirtschaft. Das Wirtschaftswachstum liegt über dem Bundesdurchschnitt. Die Arbeitslosigkeit liegt hier mit weniger als sieben Prozent im Jahresdurchschnitt 2002 unter dem Niveau der meisten anderen Bundesländer. Nur die beiden südlichen Nachbarn Baden-Württemberg und Bayern schneiden noch besser ab.

Mit ihnen läßt sich Hessen denn auch gern in einem Atemzug nennen. Noch lieber sind der bürgerlichen Koalition in Wiesbaden jedoch Vergleiche mit London und New York, den führenden Finanzzentren der Welt. Bei diesen Vergleichen wird das Flächenland Hessen dann allerdings nur noch auf die Wirtschaftsregion Rhein-Main reduziert, also auf die Stadt Frankfurt einschließlich ihres Umlandes von Wiesbaden im Westen über Offenbach und Hanau bis Aschaffenburg im Osten. Hier wird der schon günstige Landesdurchschnitt bei der Arbeitslosigkeit noch einmal unterboten, hier zeugen die Bauaktivitäten entlang des Mains von weiterhin prosperierender Wirtschaft. Alle Studien rechnen damit, daß die südhessischen Städte Frankfurt und Wiesbaden auch in den kommenden Jahren ein deutliches Wirtschaftswachstum aufweisen können, wohingegen die Zentren Darmstadt, Kassel und vor allem Gießen an Wirtschaftskraft eher verlieren.

Allerdings zeigen sich in letzter Zeit auch immer mehr Kratzer am Glanz der Boomregion Rhein-Main. Auf Grund der Krise bei Banken und Dienstleistern brechen die Steuereinnahmen auch hier weg. Die Entlassungen im Finanzgewerbe haben die Unternehmensberatung McKinsey sogar zu der Aussage verleitet, das größte kontinentaleuropäische Finanzzentrum befinde sich in Auflösung. Hinzu kam die angebliche Absicht des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, die Frankfurter Buchmesse nach München zu verlegen. Das zweite ist inzwischen zugunsten Frankfurts geklärt worden, die imageträchtige Großveranstaltung findet auch in den nächsten Jahren am Main statt.

Auch die düsteren Prophezeiungen über das Finanzzentrum werden nicht mehr allzu ernst genommen. Die Nervosität, mit der Kommunen und Landesregierung auf beide Nachrichten reagiert haben, zeigt aber, daß von Robustheit nicht mehr die Rede sein kann. Frankfurt hat zwar den Weggang der Industrie - darunter Hoechst, Degussa und Messer-Griesheim - immer wieder durch weitere Dienstleistungsunternehmen ausgleichen können. Seit aber auch diese unter der Konjunktur und der Flaute an den Börsen leiden, spürt man auch am Main die Folgen, die sich außerhalb der Ballungsregion schon lange zeigen.

Nur achtzig Kilometer nördlich der Main-Metropole dümpelt der Vogelsbergkreis als strukturschwache Region vor sich hin. Hier hofft kaum jemand mehr auf Industrieansiedlung, hier ist man froh, wenn man die Arbeitsplätze und auch die ausgebildeten Arbeitnehmer halten kann.

Strukturpolitik soll den schwachen Regionen helfen, Anschluß zu finden. Darin sind sich alle Parteien im Wiesbadener Landtag einig. Es besteht sogar zwischen der CDU/FDP-Landesregierung und den Sozialdemokraten Einigkeit darüber, daß Strukturpolitik neben der Verkehrsinfrastruktur und einem guten kulturellen Angebot (Museen in Frankfurt, Documenta in Kassel) vor allem ein besseres Bildungsangebot umfaßt. Diese Einigkeit ist deshalb überraschend, weil die SPD gerade in Hessen zum Bildungsnotstand nicht unwesentlich beigetragen hat. "Der dumme Hesse" ist bundesweit zum geflügelten Wort geworden, weil hier unter sozialdemokratischer Ägide die Lehrer nicht so sehr als Vermittler von Wissen und Werten verstanden wurden, sondern als Moderatoren eines Lernprozesses mit offenem Ausgang.

CDU und FDP haben in einem ersten und teuren Schritt viertausend Lehrer eingestellt, um wenigstens eine Mindestversorgung mit Unterricht zu gewährleisten. Der zweite und entscheidende Schritt steht aber noch bevor. Jetzt geht es um die Anhebung der Qualität des Unterrichts. Immer mehr Unternehmen beklagen, daß die Schüler nicht einmal naturwissenschaftliches und fremdsprachliches Mindestwissen mitbringen. Die SPD erkennt zwar auch Bildung als Standortfaktor an, verteufelt aber noch jede Qualitätsverbesserung als Leistungsdruck und Elitebildung.

Weniger kritisch geht die SPD mit der Landesregierung beim größten Infrastrukturobjekt des Landes um, dem internationalen Großflughafen Rhein-Main Fraport. Fünfzig Millionen Menschen im Jahr verlassen hier Deutschland oder kommen hier an. Für zahlreiche Unternehmen ist die gute Anbindung der Region über das Autobahnnetz, den Eisenbahnknotenpunkt Frankfurt und eben nicht zuletzt über den Flughafen einer der wichtigsten Standortvorteile des Rhein-Main-Gebietes. Um dem weiter steigenden Verkehr Rechnung zu tragen, bedarf es einer zusätzlichen Landebahn. Bisher hat Ministerpräsident Roland Koch das Genehmigungsverfahren recht geschickt moderiert. Bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen wie beim Bau der Startbahn West sind nicht einmal im Ansatz zu erkennen.

Die Hauptargumente gegen den Ausbau sind ökologischer Art. Waldzerstörung, Lärm und Luftverschmutzung sind die Stichworte der Ausbaugegner. Sie werden zwar politisch nur von den Grünen unterstützt. Ihre Argumente wiegen dennoch schwer, weil gerade der Umweltschutz zu den Passivposten der Landesregierung gehört. Wenig vorangekommen ist die Landesregierung auch beim Verkauf von Landesbeteiligungen. Wenn die Wahlforscher aber nicht ganz falsch liegen, erhält die bürgerliche Koalition eine Chance, dies in den kommenden Jahren nachzuholen.

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