Es wird ernst mit der Übernahmewelle bei Deutschlands Brauereien - bierernst. Internationale Giganten wie Interbrew oder Anheuser-Busch drängen in den deutschen Markt.
von Tobias Meister / Euro am Sonntag
Kaufe nur, was du verstehst", lautet die Maxime von Börsenguru Warren Buffett. Demnach müssten die Depots der Deutschen mit Brauerei-Aktien voll gestopft sein. In Deutschland wird so viel Gerstensaft getrunken wie in keinem anderen Land der Welt: pro Kopf 126 Liter im Jahr. Zum Vergleich: Der Mineralwasserverbrauch liegt bei 99 Litern pro Kopf. Kein Wunder, dass Deutschland nach den USA und China der drittgrößte Biermarkt der Welt ist. Trotzdem ist es keiner deutschen Brauerei gelungen, eine führende Rolle auf dem Weltmarkt einzunehmen. Nicht mal im eigenen Land gibt es einen marktbeherrschenden Player. Ursache: In Deutschland gibt es die größte Brauereidichte der Welt. Insgesamt wird hier zu Lande von 1291 Brauereien Bier Produziert. Die meisten von ihnen konzentrieren sich dabei auf eine Region.
Ausländische Marken werden verschmäht. Versuche von Importeuren, Bier an den Mann zu bringen, das nicht nach deutschem Reinheitsgebot gebraut ist, scheiterten meist kläglich. Marken wie Corona oder Budweiser mögen kurzfristig in sein, langfristig ist damit aber kein Blumentopf zu gewinnen. Deshalb prüfen ausländische Biermultis jetzt, inwieweit sie mit der Übernahme deutscher Großbrauereien den hiesigen Markt aufrollen können.
Der Startschuss fiel 2001, als sich der belgische Brauriese Interbrew für geschätzte 1,5 Milliarden Euro die Bremer Brauerei Beck unter den Nagel riss. Vor wenigen Wochen folgte die Hannoversche Brauergilde mit den Marken Hasseröder und Gilde. Dabei hatten die Belgier leichtes Spiel. Denn die beteiligten Banken und die Stadt Hannover brauchten dringend Geld. Sie konnten das Angebot über insgesamt 523 Millionen Euro eigentlich gar nicht ablehnen.
Für die Anleger ein prächtiges Geschäft. Der Kurs der Brauergilde war von rund 400 auf 1100 Euro gestiegen. Interbrew zahlte damit etwa das 10,5fache des operativen Ergebnisses von Gilde. Ein hoher Preis, der aber durch den Zugewinn an Marktanteilen gerechtfertigt ist, meint Analyst Christoph Schäfers von der Research-Firma Share-Infos. In der Bierbranche gilt: je höher der Marktanteil, desto höher auch die Gewinnmarge. Denn die extrem hohen Marketing-Kosten fallen mit steigendem Absatz immer weniger ins Gewicht. Mit den Marken Beck’s, Hasseröder und Gilde bringen es die Belgier auf rund acht Prozent Marktanteil und sind damit die Nummer 3 hinter Holsten und Radeberger.
Neben Interbrew konnte mit Heineken, die ein Joint Venture mit der bayerischen Schörghuber-Gruppe hat, jetzt schon die zweite ausländische Großbrauerei in Deutschland Fuß fassen. Dass der Markt in den kommenden Jahren aufgeteilt wird, haben wohl auch die heimischen Betriebe erkannt. So wollen sich die Konkurrenten Radeberger, Warsteiner und Krombacher gemeinsam bei Trinks, einem Getränkelogistiker, einkaufen. Experten werten dies als Schulterschluss gegen ausländische Konzerne. Mit Trinks würden die drei Deutschen über einen der größten Getränkelogistiker verfügen - was ihre Kosten deutlich senken sollte. "Wir müssen schauen, wie der Strukturwandel bewerkstelligt werden kann", sagt Peter Hahn, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauerbundes. "Die Deutschen Brauer müssen sich fit machen."
Wie es laufen kann, hat die Radeberger Brauerei vorgemacht. Innerhalb weniger Jahren katapultierte sie sich von einer kleinen regionalen zur zweitgrößten Sudstätte Deutschlands. Geholfen haben sicherlich die Millionen der Familie Oetker, die rund 90 Prozent an Radeberger hält. Wie Unternehmenssprecher Stefan Leppin gegenüber EURO erklärte, will sich die Gruppe, die unter anderem Marken wie Clausthaler, Schöfferhofer Weizen oder Binding braut, in Zukunft ganz auf den inländischen Markt konzentrieren. Im Vertrieb gibt es nur noch zwei nationale Außendienst-Teams, die alle Getränke des Konzerns verkaufen. Früher kümmerte sich jeder Außendienstler nur um eine Marke.
Im November verkaufte Radeberger seinen 10,6-Prozent-Anteil an der Brauerei Schwechat in Österreich, deren Tochter Brau-Beteiligungs-AG (BBAG) 56 Prozent des Biermarkts der Alpenrepublik bedient. Durch den Verkauf hat Radeberger nun keinerlei Bankverbindlichkeiten mehr und ist zudem noch profitabel. In den ersten neun Monaten des Jahres 2002 betrug der Überschuss 34 Millionen Euro. "Wir wollen in Deutschland weiter wachsen. Übernahmen können wir nicht ausschließen", gibt Leppin die Zielrichtung vor. Branchenkenner gehen davon aus, dass der gerade tobende Kampf um die österreichische BBAG die Konsolidierung in Deutschland beschleunigen wird. Nach dem Ausstieg der Radeberger-Gruppe werden Interbrew und Heineken als mögliche BBAG-Käufer gehandelt. Auch die US-Brauriesen SAB-Miller und Anheuser-Busch würden sich gerne einen Schluck aus der Pulle genehmigen. Sollten sie bei BBAG leer ausgehen, ist durchaus denkbar, dass sie in Deutschland einsteigen.
Die Übernahme-Phantasie birgt Kurs-Chancen wie bei Gilde. Denn fast jede deutsche Brauerei-AG hat einen Großaktionär, der gerne Kasse machen würde. Im Visier der ausländischen Giganten sind wahrscheinlich die beiden börsennotierten Unternehmen Brau & Brunnen sowie Holsten. Brau & Brunnen ist mit 7,2 Millionen Hektolitern Bierabsatz die Nummer 4 in Deutschland. Nachteil: Mit Jever hat das Unternehmen nur eine wirklich große Marke im Portfolio. Ansonsten setzt der Konzern hauptsächlich auf Regionalmarken wie Schlösser Alt, Sion Kölsch oder Brinkhoff’s. Vorteil: Vorstands-Chef Michael Hollmann hat den einst maroden Konzern durch den Verkauf der Immobilien und der Mineralwasser-Marke Apollinaris zum größten Teil entschuldet.
Gerüchten zufolge wollen die Dortmunder schon bald mit Dom Kölsch ihr Portfolio erweitern. Allerdings wird das expansive Unternehmen in letzter Zeit selbst als Übernahmekandidat gehandelt. Für einen Verkauf von Brau & Brunnen spricht vor allem, dass die HypoVereinsbank mit rund 55 Prozent beteiligt ist, die bekanntlich dringend Geld braucht.
Ein ähnliches Problem hat auch Holsten. Die Commerzbank hält 13,84 Prozent an den Norddeutschen. Wenn auch noch Großaktionär Christian Eisenbeiß (34,5 Prozent) sein Paket verkaufen würde, wäre eine Übernahme ein Kinderspiel. Erst vor kurzem wechselte ein Paket von 250000 Aktien außerbörslich den Besitzer.
Vielleicht bekommt Eisenbeiß kalte Füße und verkauft. Holsten hat sich nämlich in der Vergangenheit stark auf Dosenbier konzentriert. Wegen des Dosenpfands ist den Deutschen der Durst auf Gerstensaft aus der Konserve aber erst mal vergangen. Prompt musste Holsten in einigen Braustätten Kurzarbeit einführen. Rund 23 Prozent der Belegschaft sind betroffen. Beobachter gehen aber nur von einem Kurzzeiteffekt aus.
Im Vergleich zu den Mitbewerbern ist Holsten mit rund 300 Millionen Euro relativ hoch verschuldet, verfügt aber mit König Pilsener und Holsten über attraktive Namen. Auch bei den Marken aus der zweiten Reihe ist Holsten gut positioniert, beispielsweise mit Licher. Analyst Ian Shackleton von Credit Suisse First Boston schätzt, dass das operative Ergebnis im laufenden Geschäftsjahr bei rund 92 Millionen Euro liegen wird. Da ein Übernehmer auf einen Schlag 8,7 Prozent Marktanteil bekommen würde, müsste zum Gilde-Deal (3,7 Prozent Marktanteil) ein deutlicher Aufschlag erfolgen. Im Idealfall läge der faire Wert von Holsten bei über einer Milliarde Euro. Damit hätte die Aktie Luft bis rund 70 Euro. Kurse um 40 Euro sind aber realistischer - und immer noch eine 100-Prozent-Chance.