Glasklar und trinkbar. Diese Eigenschaften zeichnen in zehn Jahren den Nährstoff für der Deutschen liebstes Kind aus - wenn es nach den Plänen des Volkswagen-Konzerns geht. "Wir holen mit einer ganz neuen Pflanzenverwertung die Sonne in den Tank", schwärmt VW-Forschungschef Wolfgang Steiger vom vegetarischen Kraftstoff der Zukunft. Sunfuel - Sonnensprit - haben die Wolfsburger ihren Ökosprit getauft und sich das Markenzeichen bereits schützen lassen.
Den Saft wollen die niedersächsischen Autobauer aus Stroh, Altholz und speziell angebauten Energiepflanzen wie Pappeln und Weiden gewinnen. Die Vorteile: Deutschland würde vom Ölimport unabhängiger - und gleichzeitig weniger zum Klimafrevel beitragen. Denn bei der Verbrennung des Pflanzensaftes entweicht den Auspuffrohren gerade so viel klimaschädliches Kohlendioxid, wie das Grünzeug zuvor - qua Fotosynthese und von der Sonne gesteuert - aus der Luft aufgenommen hat. Zur Klimaneutralität gesellt sich eine hohe Reinheit des Ökobenzins. Es ist nicht nur ungiftig; ein Golf mit nach Euronorm 3 ausgelegtem Dieselmotor erreicht mit Sunfuel obendrein mühelos die Grenzwerte der Euronorm 4, ohne Veränderung des Motors. "Sunfuel find ich super", frohlockt Reinhard Loske, der umweltpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, angesichts solcher Verheißungen.
Der Sprit der ungeahnten Möglichkeiten, der alternativ zu Diesel oder gemixt mit konventionellem Benzin getankt werden kann, müsste nicht einmal unbezahlbar sein, meint der VW-Mann Steiger. Nach Erkenntnissen der Ludwig-Bölkow-Stiftung in Ottobrunn schlägt seine Herstellung zwar mit mindestens 45 Cent pro Liter zu Buche - das ist rund doppelt so viel, wie die Produktion herkömmlichen Kraftstoffs kostet. Würde freilich Finanzminister Hans Eichel darauf verzichten, seine Mineralölsteuer für den Biotreibstoff einzutreiben, wäre Sunfuel sofort konkurrenzfähig.
Für den Bonus, pro Liter 62 Cent, kämpft nicht nur VW, sondern beispielsweise auch der SPD-Bundestagsabgeordnete und Solarenergiepapst Hermann Scheer. Bereits im vergangenen Jahr hatte sich Scheer in einem parteiinternen Papier zur Weiterentwicklung der Ökosteuer für die Befreiung sämtlicher biogener Treibstoffe von der Mineralölsteuer stark gemacht. Inzwischen hat der Träger des Alternativen Nobelpreises seiner Idee Taten folgen lassen und gemeinsam mit dem forschungspolitischen Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Hans-Josef Fell, einen Gesetzentwurf fabriziert. Ihre "grüne" Steuersubvention wollen Scheer und Fell in ein bereits laufendes Novellierungsverfahren zum Mineralölsteuergesetz einspeisen. Biosprit ließe sich perspektivisch in großem Stil im europäischen Markt produzieren und könnte so "die Versorgungssicherheit für Treibstoffe deutlich erhöhen", so die Begründung des Vorstoßes.
Tatsächlich würde der synthetisch aus Pflanzen hergestellte Treibstoff Deutschland unabhängiger vom Energienachschub aus politisch instabilen Regionen machen. Mit einem Anteil von etwa 40 Prozent ist Erdöl hierzulande nach wie vor der bei weitem wichtigste Energierohstoff; der Transportsektor hängt sogar nahezu vollständig an der schwarzen Droge. Doch rund zwei Drittel der weltweiten Ölvorräte lagern ausgerechnet im Boden einer Hand voll Länder, die als politisch äußerst labil gelten: Allein Saudi-Arabien verfügt über fast 36 Prozent der gesicherten Ölreserven. Zu den Ölmächten gehören außerdem der Irak (15,1 Prozent der Reserven) und der Iran (12,3 Prozent) - zwei Länder, die US-Präsident George W. Bush zur "Achse des Bösen" zählt. Zwar sind nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Erdölproduzenten von den Lieferungen abhängig; flösse 14 Tage lang kein Dollar, gäbe es im Nahen Osten, mangels Devisen, "jede Menge Blutlachen", sagt Peter Knoedel, der Vizechef der Deutschen BP. Gleichwohl gilt nicht nur in den Vereinigten Staaten der ungestörte Ölnachschub als nationale Sicherheitsfrage - nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 übrigens mehr denn je. Der Hauptgrund dafür: Für den fossilen Kraftstoff gibt es bisher keinen brauchbaren Ersatz. "Ohne Öl", sagt Steiger, "bleiben alle Autos einfach stehen."
Zwar ist, genau besehen, auch Erdöl ein pflanzlicher Energieträger. Schließlich ist der Schmierstoff des Industriezeitalters über Jahrmillionen aus abgestorbenen Organismen entstanden. Der Prozess verläuft allerdings so langsam, dass sich die Menschheit heute mit den fossilen Vorräten begnügen muss, die - geografisch höchst ungleich verteilt - in der Erdkruste lagern. Anders beim vegetarischen Kraftstoff: Weil Pflanzen Jahr für Jahr nachwachsen, soll der aus ihnen gewonnene Treibstoff die Not lindern können. Bereits im Jahr 2010, so Berechnungen der Ludwig-Bölkow-Stiftung, könnten fast ein Viertel des europäischen Dieselbedarfs oder zehn Prozent der gesamten europäischen Kraftstoffnachfrage aus einheimischen Pflanzen wie Mais, Getreide, Schilf sowie aus Holz oder Abfällen gewonnen werden. Langfristig ließe sich, so das Credo der Forscher aus Ottobrunn, der Marktanteil sogar bis auf ein Drittel steigern.
Sunfuel würde dann den ausschließlich aus der Ölfrucht hergestellten Rapsdiesel weit hinter sich lassen. Der bereits seit einiger Zeit an wenigen Tankstellen erhältliche Biosprit auf Rapsbasis kann nämlich höchstens zehn Prozent des fossilen Diesels ersetzen - und auch nur dann, wenn sämtliche Äcker Deutschlands mit der gelben Monokultur bepflanzt würden. Die Rohstoffe für Sunfuel dagegen sind Resthölzer aus dem Wald und aus der Industrie - und ganze Pflanzen, von der Wurzel bis zur äußersten Blattspitze.
Damit aus alldem Sprit entsteht, wird die Biomasse zunächst geerntet oder gesammelt, gehäckselt, ausgepresst und zu kohleförmigen Pellets geformt. Mit denen wird ein Vergaser beschickt, der die Pflanzenbröckchen zu Synthesegas, einem Gemisch von Wasserstoff und Kohlenmonoxid, umwandelt. Anschließend wird das Gasgemisch verflüssigt. Das Verfahren wurde um 1920 in Deutschland entwickelt und nach seinen Erfindern benannt: Fischer-Tropsch. Am Ende kriecht eine paraffinische, kerzenwachsähnliche Flüssigkeit aus den Reaktoren, die zu 60 Prozent sofort abdestilliert und als Diesel verwendet werden kann. Ein weiterer Teil der Paraffinwachse kann als Grundstoff für die Chemieindustrie verwertet werden; der Rest heizt die Syntheseanlage.
Um das Eldorado der mobilen Gesellschaft zu finanzieren, hat sich Volkswagen Partner gesucht. Gemeinsam mit dem Ölmulti Shell, mit Logistikexperten, Anlagenbauern und mit Banken wird in diesen Tagen ein Forschungskonsortium ins Leben gerufen. Gefördert mit Landesmitteln in Höhe von 10 Millionen Euro, soll die erste Pilotanlage schon im kommenden Jahr im sächsischen Freiberg in Betrieb gehen. 20 Barrel à 159 Liter Sunfuel soll sie täglich produzieren; testen will das Produkt übrigens nicht nur VW, sondern auch DaimlerChrysler. Um die Hälfte des heutigen Dieselverbrauchs in Europa und in den EU-Beitrittsländern zu decken, wären nach dem Kalkül von VW-Mann Steiger allerdings 550 Anlagen notwendig - jede davon mit einer Leistung, die den Ausstoß der Pilotanlage um das 160fache übertrifft.
Alles nur "ein PR-Gag"?
Wie viele seiner Kollegen anderer Autokonzerne glaubt zwar auch Steiger, dass die Autos der Zukunft von Wasserstoff und Brennstoffzellen angetrieben werden. Anders als die Konkurrenz bei BMW und bis vor kurzem auch bei DaimlerChrysler meint der Volkswagen-Forscher indes, dass noch viel Zeit ins Land gehen wird, bis die Ära der mobilen Wasserstoffwirtschaft anbricht. Zu viel Zeit. Schließlich sei die Herstellung von Wasserstoff fünfmal so teuer wie die von fossilen Treibstoffen; zudem benötige die Wasserstoffökonomie eine ganz eigene, neue Versorgungsinfrastruktur - Fabriken, Pipelines, Tankfahrzeuge, Tankstellen -, die bisher niemand finanzieren wolle.
Deshalb tüftelt man bei VW, neuerdings zaghaft auch bei DaimlerChrysler, an einer Übergangsstrategie: Zwar hat VW-Chef Ferdinand Piëch neulich stolz seinen 16-Zylinder-Bugatti mit 1001 PS und einem gewaltigen Benzindurst präsentiert; gleichzeitig lässt er aber Motoren entwickeln, die den Sprit besser verwerten - und Treibstoffe, die den Antriebsaggregaten die Arbeit erleichtern. Zusammen mit vegetarischem Sunfuel soll beispielsweise ein neuer Einspritzer den Wirkungsgrad eines Automotors wesentlich erhöhen, verspricht Piëchs Forschungschef Steiger. Bisher wandeln Verbrennungsmotoren maximal lausige 20 bis 23 Prozent der im Kraftstoff enthaltenen chemischen Energie in mechanische Energie um.
Sunfuel wäre allerdings kein revolutionärer Saft, wenn sich die Geister an dem Sprit nicht scheiden würden. Wohl zu Recht fand schon der Rapsdiesel keine Gnade bei den gestrengen Prüfern des Umweltbundesamtes (UBA). Wegen des hohen Flächenverbrauchs beim Anbau der Ölfrucht sei das Potenzial zum Ersatz von fossilem Dieselöl äußerst bescheiden; obendrein habe Rapsöl aus Umweltsicht wegen des massiven Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln "keine entscheidenden Vorteile gegenüber der Verwendung von Dieselkraftstoff aus Mineralöl", ließ das UBA vor gut zwei Jahren wissen. Kurioserweise ist Rapsdiesel dennoch von der Mineralölsteuer befreit.
Obwohl der Spritertrag pro Hektar bei der Ganzpflanzennutzung für das mineralölsteuerpflichtige "Sonnenbenzin" viel höher ist, lässt Axel Friedrich, Leiter der Verkehrsabteilung im Umweltbundesamt, auch an Sunfuel kein gutes Haar. Es sei nicht mehr als "ein PR-Gag", schimpft Friedrich über den Volkswagen-Plan. Erstens sei das direkte Verbrennen von Holz energetisch viel effizienter. Und zweitens ließe sich mehr Klimaschutz fürs gleiche Geld erzielen, wenn VW seine Forschungsgelder in die Getriebe- oder Karosserieentwicklung stecken würde.
Das eine tun, ohne das andere zu lassen, entgegnen die Befürworter von Sunfuel. Angesichts der rasanten Motorisierung in vielen Schwellenländern könnten auch viele Dreiliterautos das Erdklima nicht retten, wenn der Treibstoff für die Vehikel nicht CO2-neutral sei, meint der grüne Forschungspolitiker Fell. Er und sein Parlamentskollege Scheer versprechen sich von Sunfuel aber nicht nur mehr Umweltschutz, sondern auch große Chancen für die hiesige Wirtschaft - Arbeitsplätze im ländlichen Raum und Exportmöglichkeiten. "Wer bei alternativen Treibstoffen technologischer Marktführer sein wird, wird sehr große Märkte vorfinden", versprechen die beiden.
Allerdings könnten auch manche Entwicklungsländer Gefallen an der Produktion und am Export von Biosprit finden und dabei - Freihandel und Globalisierung lassen grüßen - die Reste ihrer noch intakten Natur in Treibstoff verwandeln. Trotz dieser Gefahr hat die Sunfuel-Fraktion längst Rückenwind aus Brüssel erhalten. Die EU-Kommission präsentierte Ende vergangenen Jahres zwei Richtlinienvorschläge zur Förderung von Biokraftstoffen, der "idealen Alternative" zum Öl aus dem Erdboden, wie es in einem der Papiere heißt.
Nicht zuletzt versprechen sich die Brüsseler Kommissare davon auch Marschhilfe bei der Integration der EU-Beitrittskandidaten in den Gemeinsamen Markt. Würden sie mit dem geltenden Reglement der Agrarpolitik beglückt, wäre Europa rasch nicht mehr bezahlbar. Was liegt da näher, als das große Agrarpotenzial der Länder im Osten "für den nachhaltigen Anbau von Kulturen zur Herstellung von Biokraftstoffen" zu nutzen? Die Möglichkeit, Pflanzensprit wenigstens teilweise von der Mineralölsteuer zu befreien, sehen die Pläne der Brüsseler Behörde jedenfalls ausdrücklich vor. "Viele glasklare Argumente" sprächen für das Konzept, sagt die Energiekommissarin Loyola de Palacio.
Deshalb gehört nicht viel Fantasie zu der Prognose, dass Sunfuel auf jeden Fall die Steuerpolitiker beschäftigen wird. Wenn nicht schon ganz bald, dann eben spätestens in einem halben Jahr: nach der Bundestagswahl im September.
René Wiggle Christ
SHOCK-WEB.DE