Kolumne
Thomas Fricke: Eine zauberhafte Katastrophe
von Thomas Fricke
Die Finanzkrise hat in ihrem Jahr eins weit weniger realwirtschaftlichen Schaden angerichtet, als es monatelang prophezeit und befürchtet wurde. Vielleicht zeigt das, wie unwichtig die Finanzbranche ist.
Seit die Finanzkrise vor einem Jahr ausbrach, ist von Kreditklemmen und fürchterlichen Crashs die Rede, auch von Tsunamis und Flächenbränden. Oder dass das jetzt die schärfste Krise seit der Großen Depression sei. Die US-Wirtschaft sei in tiefer Rezession, versprechen eilige Skeptiker seit Monaten.
Das Kuriose ist: Nüchtern besehen fällt die Bilanz der realwirtschaftlichen Schäden selbst nach zwölf Monaten alles andere als katastrophal aus. Und wenn etwas crasht, hat das relativ wenig damit zu tun, dass in Amerika letztes Jahr das Herumreichen von Subprime-Krediten aufflog, US-Hausbesitzer gerade Panik schieben oder sich Banker misstrauen. Vielleicht ist die Finanzbranche für den Rest der Welt auch gar nicht so wichtig, wie sie sich selbst gern gibt.
Die Rezession blieb bislang aus
Prophezeit haben die Panikrufer, dass die US-Konsumenten jetzt sparen, weil sie ihre Ausgaben nicht mehr aus steigendem Hausvermögen und leichtem Kredit finanzieren können; dass die Banken Kredite so einschränken, dass die Investitionen einbrechen. Beides ist bisher ausgeblieben. Die Sparquote lag neun Monate nach Ausbruch der Finanzkrise unverändert knapp über null. Ausgeblieben ist auch die Pleitewelle von Kreditkartenschuldnern. Die Quote der Ausfälle stagniere, sagt Harm Bandholz, US-Experte der Unicredit-Gruppe.
Stark gesunken sind die Hausinvestitionen, klar. Und die Banken sagen, dass sie Kredite restriktiver, also sorgsamer vergeben, was prima ist. Nur werden deshalb nicht massenhaft Projekte gestoppt. Die Investitionen in den Wirtschaftsbau stiegen im Frühjahr mit jährlich fast 15 Prozent. Nimmt man den Wohnungsbau aus, liegen die Investitionen bei gut neun Prozent der US-Wirtschaftsleistung - kaum niedriger als vor einem Jahr; und noch so hoch wie in der New Economy. Die Produktion von Hightechprodukten lag im Juli 19 Prozent über Vorjahr.
Zauberhafte Katastrophe. All das heißt nicht, dass es in den USA keine Krisen gibt, etwa in der Autobranche. Oder dass die Konsumlust nicht schwächelt. Nur hat das womöglich mehr mit gestiegenen Ölpreisen zu tun, weniger mit bibbernden Bankiers. Das US-Konsumklima stürzte nicht ab, als im Juli die Geldbranche erschrak, sondern als im Oktober der Preis für eine Gallone Benzin stark über die magischen 3 $ schoss. Mit messbaren Folgen: Nimmt man die (preisbedingt abstürzenden) Ausgaben für Autos heraus, gaben die US-Verbraucher in diesem Juni real 3,7 Prozent mehr für langlebige Güter aus als ein Jahr zuvor - so was kennen die Deutschen nur aus Erzählungen ihrer Vorfahren.
Wenn die Autokrise nicht wäreWenn es an der Finanzkrise läge, müssten die Ausgaben über viel mehr Sektoren hinweg zugleich abstürzen. Nicht nur beim Auto.
Noch vor ein paar Wochen schien unter Auguren ausgemacht, dass die US-Wirtschaft in eine echte Rezession stürzt. Mittlerweile wird die Wahrscheinlichkeit nur noch bei 30 Prozent verortet. Die Zahl der Jobs ist zwar gesunken, prozentual bisher aber kaum nennenswert. Das US-Bruttoinlandsprodukt wuchs im Frühjahr um zwei Prozent. Mehr noch: Ohne Autobranche wären es sogar 3,1 Prozent Wachstum gewesen (siehe Grafik). Sprich: Hätte es nicht den Ölschock gegeben, wären die Folgen der Finanzkrise womöglich kaum feststellbar.
Bliebe die Frage: warum? Wo doch Banken je nach Schätzung um die 1000 Mrd. $ abschreiben müssen. Ein Teil der Antwort dürfte sein, dass die US-Wirtschaft in einem robusten Moment von der Korrektur der Finanzexzesse getroffen wurde. Als diese ausbrach, gab es kaum konjunkturelle Überhitzung und kaum Überinvestitionen außerhalb der Hausbaus, wie das am Ende der New Economy der Fall war. Die Gewinne lagen Mitte 2007 dreimal so hoch wie 2000. Und die Dollar-Abwertung bescherte den USA terminlich passend einen Exportboom.
Ein Teil der Erklärung liegt auch darin, dass US-Notenbanker und -Politiker Leitzinsen senkten und Steuerschecks verschickten. Was passiert, wenn man so was aus ideologischen Gründen ablehnt, erleben die Europäer, wo wegen steigender Zinsen, des teuren Euro und ungebremst fallender Kaufkraft mittlerweile mehr Rezessionsangst herrscht als in den USA, wo die Finanzkrise eigentlich ihre Heimat hat.
Auch das spricht gegen die These, dass die Welt vor allem darunter leidet. Im Juli 2007 erwartete der Internationale Währungsfonds, dass die Weltwirtschaft 2008 um 4,8 Prozent wächst. Nach einem Jahr Krise liegt die Schätzung bei 4,1 Prozent. Wirklich kein Tsunami.
Banken nehmen sich zu wichtig
Letzter Teil der Erklärung: "Banken neigen dazu, sich selbst zu wichtig zu nehmen", sagt ein Bankenökonom, der lieber nicht namentlich zitiert werden möchte, klar. Womöglich richteten sich Firmen wie Verbraucher bei ihren tatsächlichen Ausgaben doch relativ wenig am Auf und Ab von Vermögenswerten aus - auch wenn diese plötzlich fallen, sagt David Milleker, Chefökonom von Union Investment. Auch nach dem Aktiencrash 1987 und nach der Asienkrise 1998 blieb die befürchtete Rezession immerhin aus.
Etwas anders drückt es Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft aus: "Es lassen sich empirisch schwer Zusammenhänge zwischen Finanzwelt und realer Wirtschaft belegen." Was auch Studien von Harvard-Ökonom Dani Rodrik nahelegen, wonach die Finanzglobalisierung kaum etwas Positives zum Boom von Schwellenländern beigetragen hat.
Amerika wird irgendwann auch eine Rezession bekommen. Je nach Ölpreis und anderen Schocks vielleicht früher. Oder später. Klar. Nur wird das relativ wenig mit der Krise zu tun haben, die vor einem Jahr begonnen hat. Könnte sein, dass man in zehn Jahren zurückblickt und sagt: Das war wohl eine recht robuste wirtschaftliche Lage. Nur mit vielen Absturzprophezeiungen.
Thomas Fricke ist Chefökonom der FTD. Er schreibt freitags an dieser Stelle. Mehr unter: www.ftd.de/wirtschaftswunder
Thomas Fricke: Eine zauberhafte Katastrophe
von Thomas Fricke
Die Finanzkrise hat in ihrem Jahr eins weit weniger realwirtschaftlichen Schaden angerichtet, als es monatelang prophezeit und befürchtet wurde. Vielleicht zeigt das, wie unwichtig die Finanzbranche ist.
Seit die Finanzkrise vor einem Jahr ausbrach, ist von Kreditklemmen und fürchterlichen Crashs die Rede, auch von Tsunamis und Flächenbränden. Oder dass das jetzt die schärfste Krise seit der Großen Depression sei. Die US-Wirtschaft sei in tiefer Rezession, versprechen eilige Skeptiker seit Monaten.
Das Kuriose ist: Nüchtern besehen fällt die Bilanz der realwirtschaftlichen Schäden selbst nach zwölf Monaten alles andere als katastrophal aus. Und wenn etwas crasht, hat das relativ wenig damit zu tun, dass in Amerika letztes Jahr das Herumreichen von Subprime-Krediten aufflog, US-Hausbesitzer gerade Panik schieben oder sich Banker misstrauen. Vielleicht ist die Finanzbranche für den Rest der Welt auch gar nicht so wichtig, wie sie sich selbst gern gibt.
Die Rezession blieb bislang aus
Prophezeit haben die Panikrufer, dass die US-Konsumenten jetzt sparen, weil sie ihre Ausgaben nicht mehr aus steigendem Hausvermögen und leichtem Kredit finanzieren können; dass die Banken Kredite so einschränken, dass die Investitionen einbrechen. Beides ist bisher ausgeblieben. Die Sparquote lag neun Monate nach Ausbruch der Finanzkrise unverändert knapp über null. Ausgeblieben ist auch die Pleitewelle von Kreditkartenschuldnern. Die Quote der Ausfälle stagniere, sagt Harm Bandholz, US-Experte der Unicredit-Gruppe.
Stark gesunken sind die Hausinvestitionen, klar. Und die Banken sagen, dass sie Kredite restriktiver, also sorgsamer vergeben, was prima ist. Nur werden deshalb nicht massenhaft Projekte gestoppt. Die Investitionen in den Wirtschaftsbau stiegen im Frühjahr mit jährlich fast 15 Prozent. Nimmt man den Wohnungsbau aus, liegen die Investitionen bei gut neun Prozent der US-Wirtschaftsleistung - kaum niedriger als vor einem Jahr; und noch so hoch wie in der New Economy. Die Produktion von Hightechprodukten lag im Juli 19 Prozent über Vorjahr.
Zauberhafte Katastrophe. All das heißt nicht, dass es in den USA keine Krisen gibt, etwa in der Autobranche. Oder dass die Konsumlust nicht schwächelt. Nur hat das womöglich mehr mit gestiegenen Ölpreisen zu tun, weniger mit bibbernden Bankiers. Das US-Konsumklima stürzte nicht ab, als im Juli die Geldbranche erschrak, sondern als im Oktober der Preis für eine Gallone Benzin stark über die magischen 3 $ schoss. Mit messbaren Folgen: Nimmt man die (preisbedingt abstürzenden) Ausgaben für Autos heraus, gaben die US-Verbraucher in diesem Juni real 3,7 Prozent mehr für langlebige Güter aus als ein Jahr zuvor - so was kennen die Deutschen nur aus Erzählungen ihrer Vorfahren.
Wenn die Autokrise nicht wäreWenn es an der Finanzkrise läge, müssten die Ausgaben über viel mehr Sektoren hinweg zugleich abstürzen. Nicht nur beim Auto.
Noch vor ein paar Wochen schien unter Auguren ausgemacht, dass die US-Wirtschaft in eine echte Rezession stürzt. Mittlerweile wird die Wahrscheinlichkeit nur noch bei 30 Prozent verortet. Die Zahl der Jobs ist zwar gesunken, prozentual bisher aber kaum nennenswert. Das US-Bruttoinlandsprodukt wuchs im Frühjahr um zwei Prozent. Mehr noch: Ohne Autobranche wären es sogar 3,1 Prozent Wachstum gewesen (siehe Grafik). Sprich: Hätte es nicht den Ölschock gegeben, wären die Folgen der Finanzkrise womöglich kaum feststellbar.
Bliebe die Frage: warum? Wo doch Banken je nach Schätzung um die 1000 Mrd. $ abschreiben müssen. Ein Teil der Antwort dürfte sein, dass die US-Wirtschaft in einem robusten Moment von der Korrektur der Finanzexzesse getroffen wurde. Als diese ausbrach, gab es kaum konjunkturelle Überhitzung und kaum Überinvestitionen außerhalb der Hausbaus, wie das am Ende der New Economy der Fall war. Die Gewinne lagen Mitte 2007 dreimal so hoch wie 2000. Und die Dollar-Abwertung bescherte den USA terminlich passend einen Exportboom.
Ein Teil der Erklärung liegt auch darin, dass US-Notenbanker und -Politiker Leitzinsen senkten und Steuerschecks verschickten. Was passiert, wenn man so was aus ideologischen Gründen ablehnt, erleben die Europäer, wo wegen steigender Zinsen, des teuren Euro und ungebremst fallender Kaufkraft mittlerweile mehr Rezessionsangst herrscht als in den USA, wo die Finanzkrise eigentlich ihre Heimat hat.
Auch das spricht gegen die These, dass die Welt vor allem darunter leidet. Im Juli 2007 erwartete der Internationale Währungsfonds, dass die Weltwirtschaft 2008 um 4,8 Prozent wächst. Nach einem Jahr Krise liegt die Schätzung bei 4,1 Prozent. Wirklich kein Tsunami.
Banken nehmen sich zu wichtig
Letzter Teil der Erklärung: "Banken neigen dazu, sich selbst zu wichtig zu nehmen", sagt ein Bankenökonom, der lieber nicht namentlich zitiert werden möchte, klar. Womöglich richteten sich Firmen wie Verbraucher bei ihren tatsächlichen Ausgaben doch relativ wenig am Auf und Ab von Vermögenswerten aus - auch wenn diese plötzlich fallen, sagt David Milleker, Chefökonom von Union Investment. Auch nach dem Aktiencrash 1987 und nach der Asienkrise 1998 blieb die befürchtete Rezession immerhin aus.
Etwas anders drückt es Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft aus: "Es lassen sich empirisch schwer Zusammenhänge zwischen Finanzwelt und realer Wirtschaft belegen." Was auch Studien von Harvard-Ökonom Dani Rodrik nahelegen, wonach die Finanzglobalisierung kaum etwas Positives zum Boom von Schwellenländern beigetragen hat.
Amerika wird irgendwann auch eine Rezession bekommen. Je nach Ölpreis und anderen Schocks vielleicht früher. Oder später. Klar. Nur wird das relativ wenig mit der Krise zu tun haben, die vor einem Jahr begonnen hat. Könnte sein, dass man in zehn Jahren zurückblickt und sagt: Das war wohl eine recht robuste wirtschaftliche Lage. Nur mit vielen Absturzprophezeiungen.
Thomas Fricke ist Chefökonom der FTD. Er schreibt freitags an dieser Stelle. Mehr unter: www.ftd.de/wirtschaftswunder