08.02.2002 16:51
Arbeitsamt-Reportage
Ungewollter Selbstversuch
Erfahrungsbericht aus und mit dem Arbeitsamt Berlin Kreuzberg.
Von Thorsten Denkler
Meterdicke Mauern, die Sandsteinfassade fast schwarz vom Dreck der Großstadt. Das Arbeitsamt Berlin Kreuzberg zieht sich als mächtiger Verwaltungskoloss einen ganzen Straßenzug entlang. Wer hier eintritt, weiß, dass der Spaß vorbei ist. Hinter der Schwelle dieser schweren barock-verspielten Messingtür beginnt der Ernst des Lebens. Wenn ich hier je wieder herauskomme, bin ich ein anderer Mensch.
Wie wahr. Erste Lektion: Sie sind nicht das, was Sie glauben, dass Sie sind. Frisch ausgebildeter Zeitungsredakteur bin ich, dachte ich, glaubte ich. Falsch. Ich bin kaufmännischer Angestellter, vielleicht noch Verwaltungsfachkraft, aber in gar keinem Fall Redakteur. Das gibt es hier nicht.
Alles eine Frage der Definition
Im besten Fall wäre ich Akademiker, wurde mir von einem älteren Herrn mit Fliege in der Abteilung akademische Berufe beschieden, in die ich mich fälschlicherweise verirrt hatte. Ich hatte zwar fleißig studiert. Einen Abschluss aber konnte ich nicht nachweisen, weswegen ich kein Akademiker sein konnte, weswegen ich ein kaufmännischer Angestellter usw. sei. Bestechende Logik.
Nun gut, bin ich also Verwaltungsfachkaufmännischer, was können Sie mir bieten, lieber Herr Sachbearbeiter. Zunächst einen Platz im Warteraum vor Zimmer 114, wo mich die zuständige Sachbearbeiterin für meine Berufsgruppe erartete. Aber erst Nummer ziehen: Zipp und ich entriss dem Nummernspender die 654. Die Anzeigentafel zeigte in freundlich gelben Lettern 551 an.
Nach fünfeinhalb Stunden auf mit fingerdicken Polsterkissen belegten Drahtgeflechtstühlen die Erlösung: Der leicht dissonante Dreitongong, der mich den ganzen Vormittag in unregelmäßigen Abständen aus Träumen über Glück und Reichtum gerissen hatte, kündigte an, es sei nun Zeit für die Nummer 654.
Neue Stelle nur auf Eigeninitiative
Mit einem Lächeln trat ich in das Zimmer 114. Meine Sachbearbeiterin konnte das nicht sehen. Sie hob den Blick von ihren Akten nur, wenn sie irgendwelche Zahlenfolgen und Abkürzungen in Ihren Computer hackte. Ich konnte nur vermuten, dass es in dem Gespräch um mich ging. Einen Zettel musste ich ausfüllen, was ich alles bereit wäre zu tun: Gartenarbeit, Öffentlichkeitsarbeit, Sekretär/in.
Meine Sachbearbeiterin gab mir immerhin den Tipp, ich müsse irgendetwas ankreuzen, sonst könne Sie mir keine Leistungen bewilligen. Im Klartext: Keine Knete ohne Kreuzchen an den richtigen Stellen. Den Zettel legte sie dann ganz hinten in meine Akte. Ich vermute, sie hat ihn sich seit dem nicht mehr angesehen.
Ein Stellenangebot habe ich vom Arbeitsamt nie bekommen. Dafür bin mehrfach strengstens ermahnt worden, die Stadt nur mit Erlaubnis meiner Sachbearbeiterin zu verlassen – man weiß ja nie. Ich bekam mein Arbeitslosengeld und suchte einen Job, schrieb Bewerbungen, bekam Absagen, fuhr zu Vorstellungsgesprächen. Von meiner Sachbearbeiterin hörte ich nur, wenn meine Akte Lücken aufwies, die ich per sofortiger Erbringung eines Nachweises mit der angehängter Rechtsbelehrung, dass ansonsten Leistungen gekürzt werden konnten, zu schließen hatte.
Meine Jobsuche hatte endlich Erfolg. Ich überbrachte meiner Sachbearbeiterin nach einem erneuten Wartemarathon die freudige Botschaft, dass ich dem Staat nicht länger zur Last fallen werde. Ihre Antwort: Schön, wieder einen Menschen in Arbeit gebracht zu haben. Ich glaube, sie meinte das ernst.
www.sueddeutsche-zeitung.de/index.php?url=/...&datei=index.php
Arbeitsamt-Reportage
Ungewollter Selbstversuch
Erfahrungsbericht aus und mit dem Arbeitsamt Berlin Kreuzberg.
Von Thorsten Denkler
Meterdicke Mauern, die Sandsteinfassade fast schwarz vom Dreck der Großstadt. Das Arbeitsamt Berlin Kreuzberg zieht sich als mächtiger Verwaltungskoloss einen ganzen Straßenzug entlang. Wer hier eintritt, weiß, dass der Spaß vorbei ist. Hinter der Schwelle dieser schweren barock-verspielten Messingtür beginnt der Ernst des Lebens. Wenn ich hier je wieder herauskomme, bin ich ein anderer Mensch.
Wie wahr. Erste Lektion: Sie sind nicht das, was Sie glauben, dass Sie sind. Frisch ausgebildeter Zeitungsredakteur bin ich, dachte ich, glaubte ich. Falsch. Ich bin kaufmännischer Angestellter, vielleicht noch Verwaltungsfachkraft, aber in gar keinem Fall Redakteur. Das gibt es hier nicht.
Alles eine Frage der Definition
Im besten Fall wäre ich Akademiker, wurde mir von einem älteren Herrn mit Fliege in der Abteilung akademische Berufe beschieden, in die ich mich fälschlicherweise verirrt hatte. Ich hatte zwar fleißig studiert. Einen Abschluss aber konnte ich nicht nachweisen, weswegen ich kein Akademiker sein konnte, weswegen ich ein kaufmännischer Angestellter usw. sei. Bestechende Logik.
Nun gut, bin ich also Verwaltungsfachkaufmännischer, was können Sie mir bieten, lieber Herr Sachbearbeiter. Zunächst einen Platz im Warteraum vor Zimmer 114, wo mich die zuständige Sachbearbeiterin für meine Berufsgruppe erartete. Aber erst Nummer ziehen: Zipp und ich entriss dem Nummernspender die 654. Die Anzeigentafel zeigte in freundlich gelben Lettern 551 an.
Nach fünfeinhalb Stunden auf mit fingerdicken Polsterkissen belegten Drahtgeflechtstühlen die Erlösung: Der leicht dissonante Dreitongong, der mich den ganzen Vormittag in unregelmäßigen Abständen aus Träumen über Glück und Reichtum gerissen hatte, kündigte an, es sei nun Zeit für die Nummer 654.
Neue Stelle nur auf Eigeninitiative
Mit einem Lächeln trat ich in das Zimmer 114. Meine Sachbearbeiterin konnte das nicht sehen. Sie hob den Blick von ihren Akten nur, wenn sie irgendwelche Zahlenfolgen und Abkürzungen in Ihren Computer hackte. Ich konnte nur vermuten, dass es in dem Gespräch um mich ging. Einen Zettel musste ich ausfüllen, was ich alles bereit wäre zu tun: Gartenarbeit, Öffentlichkeitsarbeit, Sekretär/in.
Meine Sachbearbeiterin gab mir immerhin den Tipp, ich müsse irgendetwas ankreuzen, sonst könne Sie mir keine Leistungen bewilligen. Im Klartext: Keine Knete ohne Kreuzchen an den richtigen Stellen. Den Zettel legte sie dann ganz hinten in meine Akte. Ich vermute, sie hat ihn sich seit dem nicht mehr angesehen.
Ein Stellenangebot habe ich vom Arbeitsamt nie bekommen. Dafür bin mehrfach strengstens ermahnt worden, die Stadt nur mit Erlaubnis meiner Sachbearbeiterin zu verlassen – man weiß ja nie. Ich bekam mein Arbeitslosengeld und suchte einen Job, schrieb Bewerbungen, bekam Absagen, fuhr zu Vorstellungsgesprächen. Von meiner Sachbearbeiterin hörte ich nur, wenn meine Akte Lücken aufwies, die ich per sofortiger Erbringung eines Nachweises mit der angehängter Rechtsbelehrung, dass ansonsten Leistungen gekürzt werden konnten, zu schließen hatte.
Meine Jobsuche hatte endlich Erfolg. Ich überbrachte meiner Sachbearbeiterin nach einem erneuten Wartemarathon die freudige Botschaft, dass ich dem Staat nicht länger zur Last fallen werde. Ihre Antwort: Schön, wieder einen Menschen in Arbeit gebracht zu haben. Ich glaube, sie meinte das ernst.
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