Analysten rechnen nach Anschlägen mit Rezession in USA
New York Eine zunehmende Zahl von Analysten rechnet damit, dass die Terroranschläge die ohnehin lahmende US-Wirtschaft in eine Rezession stürzen werden. Vor allem das bereits angeschlagene Vertrauen der US-Verbraucher in die weltgrößte Volkswirtschaft könnte nach Einschätzung der Volkswirte durch die Anschläge auf das World Trade Center und das US-Verteidigungsministerium gelitten haben. Bisher hatten die stabilen Ausgaben der privaten Haushalte die USA vor einem Abgleiten in die Rezession bewahrt. Die Analysten wiesen in ihren Prognosen aber auf die hohen Unsicherheiten wegen der noch nicht absehbaren Reaktion der US-Regierung auf die Anschläge hin. Politiker zeigten sich dagegen optimistisch, dass eine Rezession vermieden werden könnte. Volkswirte verschiedener Institute erwarten nun zumindest für das zweite Halbjahr 2001 eine Rezession in den USA. JP Morgan Securities rechnet mit einem Rückgang des US-Bruttoinlandsprodukts (BIP) im dritten und vierten Quartal 2001 sowie im ersten Quartal des kommenden Jahres. Zuvor hatten bereits die Deutsche Bank und die Ratingagentur Standard & Poor's eine Rezession in den USA für das zweite Halbjahr 2001 vorhergesagt. Nach der gängigen Definition befindet sich eine Volkswirtschaft in einer Rezession, wenn das BIP in zwei aufeinander folgenden Quartalen schrumpft. Entscheidend für die Entwicklung der US-Konjunktur wird nach Einschätzung der Volkswirte die Reaktion der US-Verbraucher auf die Anschläge. Bisher hatten die Haushalte mit ihren Ausgaben ein Abgleiten der USA in eine Rezession verhindert. "Dieser Schock ist zusammen mit den sehr bedrohlichen Fundamentaldaten eine tödliche Kombination für den amerikanischen Verbraucher", sagte Stephen Roach, Chefvolkswirt bei Morgan Stanley. "Diese Tragödie könnte sehr gut der Auslöser der Rezession 2001 sein." Der am Donnerstag veröffentlichte vorläufige Verbrauchervertrauensindex der Universität Michigan für September hatte bereits für die Zeit vor den Attentaten ein angeschlagenes Vertrauen der US-Konsumenten in die US-Wirtschaft angedeutet. Der Index war unerwartet auf den tiefsten Stand seit acht Jahren gefallen. Die anhaltend schwachen US-Aktienkurse, steigende Arbeitslosenzahlen und eine nun seit elf Monaten schrumpfende US-Industrie drückten Analysten zufolge besonders auf die Stimmung der US-Verbraucher. Sollten die privaten Haushalte nun ihre Ausgaben zurückschrauben, würde das zunächst vor allem den Einzelhandel und in dessen Gefolge Kreditkartenunternehmen und Finanzinstitute belasten. Hinzu kommen erwartete hohe Verluste von Versicherungen, Fluggesellschaften und der Tourismusbranche als Folge der Anschläge. Experten rechnen daher mit noch stärker sinkenden Gewinnen bei US-Unternehmen in diesem Jahr als zuvor schon angenommen. Als erste US-Fluglinie kündigte Continental Airlines am Samstag an, wegen den Anschlägen und deren Folgen 12.500 Mitarbeiter zu entlassen. Analysten gehen angesichts dieses Szenarios von einer baldigen Zinssenkung der US-Notenbank Fed noch vor dem nächsten regulären Treffen am 2. Oktober aus, die schon in der kommenden Woche möglich sei. "Der Druck auf die Fed, etwas zu tun, ist enorm hoch", sagte Anthony Karydakis, Volkswirt bei Banc One Capital Markets. US-Zinsfutures signalisieren derzeit, dass der Markt zu Jahresende im Durchschnitt einen US-Schlüsselzins von 2,80 Prozent erwartet. Derzeit beträgt der Leitzins 3,5 Prozent. Im Gegensatz zu den Analysten zeigten sich US-Politiker wie Finanzminister Paul O'Neill weiter optimistisch, dass eine Rezession vermieden werden könnte. "Ich denke nicht, dass wir wegen dem 11. September auf eine Rezession zusteuern", sagte O'Neill am Freitagabend (Ortszeit). "Ich habe großes Vertrauen darin, dass Amerika und unsere Wirtschaft weiter voran gehen werden." Von der Reaktion der US-Politik auf die Anschläge wird die weitere Konjunkturentwicklung Analysten zufolge nun entscheidend abhängen. Noch erschwere die Unsicherheit über mögliche Vergeltungsschläge die Prognosen. "Wie schnell und entschieden Präsident George W. Bush nun die Kriminellen hinter dieser Tragödie identifizieren und bestrafen kann, wird entscheidend für das Vertrauen sein", sagte Sung Won Sohn, Chefvolkswirt der Wells Fargo Bank.