Trickkiste Anlage SO: Wie Finanzbeamte Anlegern auf die Schliche kommenAnlage SO – die riskanteste Versuchung, seit es Formulare gibt. Walter Richter (Name geändert) musste das am eigenen Leibe erfahren. Der passionierte Börsianer deklarierte in der neuen Anlage SO (Sonstige Einkünfte) seine Spekulationsverluste aus dem Crash-Jahr 2000. Jetzt ist ihm das Finanzamt auf den Fersen.
Die Behörde forderte ihn auf, Depotauszüge aus dem Jahr 2000 nachzureichen – und die '99-er- Auszüge möge er doch bitte gleich mitschicken. Ein Blick in die Akten hatte ergeben: Richter hatte in seiner Steuererklärung für 1999 keine Aktiengeschäfte angegeben. Etwa weil es keine gab? Das sei unwahrscheinlich, meint der für Richter zuständige Finanzbeamte Peter Müller (Name geändert). Müller ist wild entschlossen: Wenn sein Schützling nicht reagiere, bekomme er noch einen Brief, „und danach drohen wir ihm ein Zwangsgeld an.“ Dieser Eifer mag angesichts der chronischen Zeitnot in deutschen Finanzamtsstuben verwunderlich sein. Doch er hat seine Gründe.
Viele Finanzämter haben Spekulationsgeschäfte in diesem Jahr zum Prüffeld erkoren. Das bedeutet, dass Finanzbeamte angehalten sind, bei der Prüfung der 2000er-Steuererklärung die Anlage SO besonders genau unter die Lupe zu nehmen.
Einspruch einlegen
Müller malt wahre Schreckensszenarien an die Wand: „Hat zum Beispiel jemand im vergangenen Jahr ein Grundstück, ein Haus oder eine Wohnung verkauft“, erklärt er, „prüfen wir, ob er dafür in den Vorjahren Abschreibungen geltend gemacht hat.“ Diese Abschreibungen müsste der Betroffene in der Anlage SO angeben, denn sie mindern seine Anschaffungskosten und erhöhen dadurch den steuerpflichtigen Spekulationsgewinn. Ähnliches gilt für öffentliche Zuschüsse, die ein Steuerzahler kassiert hat. Weitere Prüfpunkte: Notare melden den Finanzbehörden jeden Kauf und Verkauf von Immobilien. Für Finanzbeamte ist es leicht zu kontrollieren, ob der Verkauf vor Ablauf der Spekulationsfrist stattgefunden hat.
Doch anscheinend soll es vor allem den Anlegern an den Kragen gehen, die mit der Anlage SO ihre Spekulationsverluste aus 2000 feststellen lassen, in den Jahren davor aber keine Spekulationsgeschäfte angegeben haben. „Die Betroffenen müssen davon ausgehen“, weiß Müller, „dass Finanzbeamte nicht nur die Depotauszüge für das Jahr 2000 anfordern, sondern auch die für 1999.“ Denn für ihn ist klar: Verluste im Jahr 2000 bedeuten höchstwahrscheinlich Gewinne im Boom-Jahr 1999. „Die Anleger können aber noch Selbstanzeige erstatten“, fügt er viel sagend hinzu. „Dieses Vorgehen ist rechtswidrig,“ empört sich Jörg Burkhard, Anwalt aus Wiesbaden. „Das Finanzamt darf nicht ohne weiteres Depotauszüge für 1999 verlangen. Die Steuerbescheide für 1999 sind meist rechtskräftig, und die Betroffenen können nicht mehr zur Mitwirkung verpflichtet werden.“
Jedem, den das Finanzamt auffordert, seine Auszüge für 1999 nachzureichen, rät Burkhard daher, Einspruch einzulegen und sich die Rechtsgrundlagen nennen zu lassen. „Egal ob er eine reine Weste hat oder nicht.“ Der Steuerstrafrechtler ist sich sicher: „Die Finanzbeamten wollen Panik verbreiten und eine neue Welle von Selbstanzeigen auslösen.“ Die Schlussfolgerung „Verluste in 2000 bedeuten Gewinne in 1999“ hält Burkhard für abstrus, doch er warnt: „Es kann passieren, dass die Behörden daraus einen Anfangsverdacht zur Steuerhinterziehung ableiten und die Fahndungsmaschine anwerfen.“ Doch kein „vernünftiger Richter“ dürfte so etwas seiner Ansicht nach mitmachen. „Falls doch, muss man gerichtlich dagegen angehen.“
Prüfwut der Finanzämter
Steuerrechtler Klaus Tipke aus Köln ist vorsichtiger. „Nirgendwo im Gesetz steht, dass Steuerpflichtige Konto- und Depotunterlagen vorlegen müssen“, erläutert der emeritierte Professor. Dennoch empfiehlt er: „Möglicherweise wenden sich die Behörden an die Bank. Wer Spekulationsgewinne verheimlicht hat, sollte eine Steuererklärung nachreichen, wenn Fragen kommen. Das gilt dann als Selbstanzeige.“
Vielleicht ist Tipke gar einer der Gründe für die Prüfwut in den Finanzämtern. Zur Zeit lässt er vom Bundesfinanzhof (BFH) prüfen, ob die Steuer auf Spekulationsgewinne verfassungswidrig ist (Az.: IX R 62/99). Seine Begründung: „Kaum einer zahlt die Steuer. Um den Rest kümmern sich die Behörden nicht, da ihnen die rechtlichen Kontrollmöglichkeiten fehlen.“ Das verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Grundgesetz. Die Finanzämter legen sich nun ins Zeug, damit der BFH die Spekulationssteuer nicht kippt.
Quelle: Die Telebörse