Finanz-Communitys im Web
Die Internetgemeinde talkt gerne - wenn nicht über Liebe und Sex, dann über Geld und Aktien. In Finanz-Chats und -Foren treffen sich Kenner und solche, die sich dafür halten. Sie tauschen mehr oder weniger fundierte Meinungen rund um Aktien aus. Leider ist nicht jeder Rat so nett gemeint, wie es scheint.
Bis vor zwei Jahren war Stefan Baumann noch ständiger Gast in den diversen Chaträumen der Finanzdienstleister. Doch mittlerweile hat der 29-jährige BWL-Student die Lust verloren und schaut nur noch sporadisch rein.
"Man kriegt einfach keine interessanten Tipps mehr, die Spinner haben die Oberhand gewonnen." In jüngster Zeit habe sich die Qualität der Chats stark verschlechtert, klagt er.
So ernüchtert wie Baumann sehen das nicht alle. Die Chaträume und Finanz-Boards werden voller und voller, immer mehr Hobbyanalysten preisen vermeintlich gute Titel an. Sie bleiben dabei anonym, geben sich Nicknames wie Zockermicha, Lupe, Stormi, TecTrader.
Diese Vier talkten im Wallstreetonline-Chat, als sich Junge Karriere einloggte und dummdreist wissen wollte: "Wie kann ich hier Geld verdienen?" Die Antwort kam prompt von Zockermicha: "Indem du dir 595.411 zulegst und wartest, bis VW auf 100 Euro steigen!" "Wieso ausgerechnet VW?" TecTrader hatte einen anderen Rat parat: "Besser wäre wohl DaimlerChr." "Und woher weißt du das?" TecTrader: "Daimler wird strong empfohlen von UBS." So, so.
Nicht ganz uneigennützig
Geschickt hat TecTrader das Online-Gespräch von einer Aktie auf die andere gelenkt - und 33 potenzielle Anleger lesen mit. "Das genau ist das Problem", sagt Petra Krüll von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. "Niemand gibt Kaufempfehlungen ab, um anderen etwas Gutes zu tun."
Immer stecke hinter einer Empfehlung auch ein Motiv, so ihre Einschätzung. Entweder habe der Chatter Aktien gekauft und lobe nun das Papier über den Klee, damit der Kurs steigt. Oder er rede eine Aktie schlecht, damit der Kurs fällt und er einsteigen kann. Denn schon wenige Anleger können den Aktienkurs kleiner Firmen beeinflussen.
Das Problem kennt Frank Kumpfmüller, Chat-Verantwortlicher bei Wallstreetonline, natürlich auch. Er unterscheidet bei den Unbekannten, die durch ihre Tipps Kurse absichtlich in die Höhe treiben wollen, zwischen "Dumm-Pushern" und "Subtil-Pushern". Der Erste lege im Chat sofort los mit "unbedingt kaufen", der andere verschaffe sich über eine gewisse Zeit Vertrauen und preise dann nach und nach Aktien an, die er selbst im Depot liegen hat.
In solchen Fällen reagiert Kumpfmüller nach einem Stufenplan. Offensichtliche Manipulanten würden zuerst mundtot gemacht, indem der Moderator die Beiträge für eine gewisse Zeit sperre. Sollte der "Pusher" nach seinem Exil wieder versuchen, Kurse einzelner Aktien zu beeinflussen, werde er ganz rausgeschmissen.
Community hilft sich selbst
Zum Glück sei die Zahl der Teilnehmer, die betrügen wollen, nicht sehr groß gemessen an der Zahl der friedlichen Chatter, meint Kumpfmüller. Wer dennoch unangenehm auffällt, wird von den Teilnehmern nicht selten zurechtgewiesen.
Die spannen das mittlerweile relativ schnell, wer immer nur Tipps nimmt und nie gibt, oder wer ganz plump pusht", beobachtet Michael Kübbeler, Geschäftsführer von Internetaktien.de. "Die Community grenzt solche Leute schon ziemlich eindeutig aus." Was in der Praxis heißt, dass auf einen unqualifizierten Beitrag entsprechend bissige Kommentare öffentlich gepostet werden.
Weil viele Finanz-Talker regelmäßig im gleichen Forum diskutieren, kennt man sich, weiß, wer ein Dummschwätzer ist und wer offensichtlich Ahnung von der Materie hat. Die Experten werden dann auch gerne gezielt um Meinungen zu bestimmten Aktien und Unternehmen gebeten. Dennoch bleibt die Frage nach der Herkunft der Tipps.
Nickname-Nebel
"Wenn der Analyst einer Bank eine Empfehlung gibt, dann weiß ich, was ich davon zu halten habe", sagt Petra Krüll. So würden möglicherweise Aktien gelobt, die in den Fonds der Banken liegen. Schließlich steige mit dem Wert der Aktien auch der Wert des Fonds. Oder eine Bank hat ein Unternehmen an die Börse geführt und will bei einer Kapitalerhöhung wieder verdienen.
Auf jeden Fall wisse man, woher die Empfehlung komme, meint Krüll. Im Chatroom ist das anders. Wer TecTrader ist, wissen die anderen Chatter nicht, Nicknames schaffen Anonymität. Im Junge Karriere-Testchat waren zum Beispiel auch je ein Mitarbeiter der Dresdner Bank und einer von Infineon dabei. Beide unter Pseudonym, aber durch die Internet-Adresse konnte Kumpfmüller nachvollziehen, aus welchem Firmennetz sich die beiden zugeschaltet hatten.
Um welche Personen es sich handelt, wäre im Zweifel auch herauszubekommen, betont Kumpfmüller. Das ist wichtig, denn schon mehrfach hat bei Wallstreetonline die Staatsanwaltschaft angeklopft, zum Beispiel wegen des Verdachts auf Insiderhandel. Wer Unternehmensinterna ausplaudert, macht sich nämlich nach dem Wertpapierhandelsgesetz strafbar.
Rege Fantasie
In den USA hat das FBI vor wenigen Wochen den größten organisierten Betrug an Anlegern in der Geschichte des Landes auffliegen lassen. 120 mutmaßliche Täter - auch aus Mafia-Kreisen x sollen auch in Chatrooms in betrügerischer Absicht Aktien als wertvoll angepriesen und zu deren Kauf verlockt haben.
Ein anderer Fall: Anfang April hatte ein Ingenieur von Pair-Gain Technologies im Internet die Falschmeldung verbreitet, das Unternehmen werde von einem israelischen Rivalen übernommen, was den Kurs der Firma klettern ließ. Ihm kam letztlich die US-Börsenaufsicht SEC auf die Schliche.
Auch in Deutschland wird die Internetbetrugsszene immer reger. Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel in Frankfurt leitete im Frühjahr einen Fall an die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft weiter. Die Mitarbeiter der Behörde beobachten stichprobenhaft Chaträume und Foren und hatten entdeckt, dass am Brokerboard eine gefälschte Reuters-Meldung hing.
Kopf einschalten
Tipp hin, Tipp her. Letztendlich sei ohnehin jeder für seine Anlageentscheidung selbst verantwortlich, meint Petra Krüll: "Niemals sollte ein Einzeiler am Brokerboard für eine Kaufentscheidung ausreichen."
Frank Kumpfmüller rät: "Bloß nicht alles glauben und blind irgendwelchen Chatgurus folgen. Immer mehrere Quellen anzapfen, bevor man sich eine Aktie zulegt." Mit einer gesunden Skepsis kann man dann gefahrlos nach Herzenslust weiter chatten.