Der Bürger ist zum Zahlen da
Es war Schwindel erregend. Immer neue Ideen stiegen gleich nach der Wahl aus dem rot-grünen Lager auf. Mal sollte die Tabaksteuer erhöht werden, dann wurden Vermögen- und Erbschaftsteuer genannt. Bald geisterte eine „Weiterentwicklung“ der Ökosteuer durch den Raum. Nach langer Kakophonie ist nun eine faktische Mindeststeuer für Unternehmen vorgesehen. Alle Kursgewinne von Aktien sollen besteuert werden wie auch das Flugbenzin, die Steuer auf Erdgas wird erhöht – um nur einige Beispiele zu nennen. Alles sei im Sinne höherer Gerechtigkeit, behauptet der Kanzler.
Offenbar gibt es in der Politik bei klammen Kassen in erster Linie die Option der Steuererhöhung. Dass man auch mit Sparen ein Defizit verkleinern könnte, kommt in den Köpfen der Politiker kaum vor. Dabei hatte der Kanzler vor der Wahl das Richtige gesagt: „Steuererhöhungen sind in der gegenwärtigen Situation Gift für die Konjunktur.“ Die Worte sind längst vergessen. Die Nebenkosten für die Arbeit werden trotz gegenteiliger Versprechen zum Schaden des Arbeitsmarktes weiter steigen. Hinter den Steuererhöhungen steckt nicht nur die Not des Finanzministers, der seinen Haushalt nicht ausgleichen kann. An der wüsten Steuerdebatte nach der Wahl zeigt sich, welch zweifelhaften Begriff die Politiker vom Staat haben. Offensichtlich haben Bürger und Unternehmen für den Staat da zu sein und nicht umgekehrt.
Mehr Geld für weniger Hilfe
Die Parteien haben im Wahlkampf Versprechungen gemacht, die nicht zu bezahlen sind. In den Koalitionsrunden klagten Rot wie Grün, sie könnten sich nicht profilieren, wenn sie für Wohltaten das Geld nicht hätten. So wird der Bürger offenbar zur Kasse gebeten, damit die Parteien Raum für Selbstdarstellung haben. Dieses Spiel geht bis in die Kommunen. Die Städte seien klamm, weil die Unternehmen keine Steuern mehr zahlten, klagen die Politiker. Also beschränken sie eilig die Möglichkeit, frühere Verluste gegen spätere Gewinne der Firmen zu verrechnen. Die Stadtkämmerer sollen besser planen können. Das ist aufschlussreich: Politiker verlangen Planungssicherheit für sich selbst. Bürger und Unternehmer haben aber offenbar keinen Anspruch auf solche Rücksicht. Sie müssen sich jetzt sogar mit rückwirkenden Steuerplänen herumplagen.
Richtig ist, dass der Staat wichtige Aufgaben hat. Er muss für eine Rechtsordnung sorgen, für eine Infrastruktur wie Straßen oder Schulen und ein soziales Netz. Eine moderne Industrienation muss allen Bürgern ein menschenwürdiges Dasein garantieren, weil soziale und politische Spannungen für ökonomische Instabilität sorgen. Dafür verlangt der Staat zu Recht den Obolus der Bürger.
Doch die Idee des Sozialstaates ist fundamentalen Zweifeln ausgesetzt. Er ist nicht mehr bezahlbar und deswegen eine Fiktion. Er ist sogar weitgehend ungerecht. Seine hohen Steuern und Lohnnebenkosten lähmen die Wirtschaft und bewirken, dass Millionen von Menschen keinen Arbeitsplatz finden. Es hat lange gedauert, bis die deutschen Politiker offiziell das Ende der Vollversorgung eingestanden und den Bürgern ehrlich gesagt haben, dass sie nun zu ihrer Altersversorgung auch selbst beitragen müssen. Trotzdem tut der Berliner Staat so, als habe er soeben seine Leistungen erhöht und dürfe deshalb auch höhere Opfer vom Bürger fordern.
Gesundes Misstrauen
Das liberale Wirtschaftsmodell der USA ist für Deutschland kaum tauglich. Niemand würde hier die sozialen Ungerechtigkeiten Amerikas akzeptieren. Doch in ihrem Verhältnis zum Staat taugen die Amerikaner als Vorbild. Sie misstrauen ihrer Obrigkeit traditionell, obwohl sie viel größere Patrioten sind als die Europäer. Schon als die alten Siedler westwärts zogen, konnte ihnen keine Regierung in Washington gegen Kälte, Stürme oder Indianer beistehen. Noch heute erwarten sie wenig von Präsidenten oder Gouverneuren. Umgekehrt aber haben die Politiker von den Bürgern nicht viel zu erwarten. Folglich wissen die Regierungen in Washington D.C. oder den Bundesstaaten, dass sie dem Bürger zurückhaltend entgegentreten müssen, wenn sie höhere Steuern von ihm wollen. Eine Welle offener und versteckter Steuererhöhungen, wie sie jetzt von Berlin beschlossen wurde, wären in den USA kaum denkbar. Bürger und Medien würden einen Aufstand machen. Die Deutschen sollten ihr Verhältnis zu „Vater Staat“, der alles regelt, auf den Müllhaufen der Geschichte werfen. Die Vorstellung stammt noch aus Feudalzeiten und ist unglaubwürdig.
Der Sozialstaat der bundesdeutschen Nachkriegszeit war im Recht, wenn er seinen Bürgern in die Tasche griff. Er konnte Gegenleistungen bieten: Aufschwung und soziale Sicherheit des einzelnen. Der heutige Staat ist seinen Sozialaufgaben nicht mehr gewachsen und setzt sich dem Vorwurf der Anmaßung aus, wenn er so forsch in die Taschen der Bürger greift wie in diesen Tagen. Mehr Geld zu verlangen für weniger Leistung ist kaum ein Erfolgsmodell. Diese Politik hat keine Zukunft, weil sie keine Jobs schafft und keinen Respekt hat vor der Leistung und dem Eigentum der Bürger.
Sueddeutsche