Der Ohnmacht nahe
Ge- und enttäuschte Kleinanleger mucken auf - doch was können sie tatsächlich bewirken?
In der Hauptversammlung der Intershop Communications AG gefielen sich die Firmengründer Stefan Schambach, 30, und Wilfried Beeck, 41, in der Rolle der jungen, siegreichen Tribunen. Aktionärsvertreter trugen Ergebenheitsadressen vor; Kleinaktionäre standen Schlange für ein Autogramm von Vorstandschef Schambach. Ein schöner Tag.
Intershop-Anführer Schambach: Dem Unternehmen steht eine stürmische Hauptversammlung bevor. Der Kursturz sorgt für Unruhe.
Schade nur, dass sich all dies bereits im vergangenen Jahr zutrug. Die diesjährige Hauptversammlung am 13. Juni dürfte nicht so angenehm verlaufen. Katastrophale Umsatzeinbrüche in den USA, Schambach hat sich vom operativen Geschäft verabschiedet, der Aktienkurs ist seit dem Höchststand um über 90 Prozent eingebrochen. Beeck richtet sich auf Aktionärsproteste ein: "Als Vorstand werde ich dafür bezahlt, dass ich in der Hauptversammlung den Kopf hinhalte."
Die harmonischen Zeiten scheinen endgültig vorbei zu sein. Frustriert von den Kursverlusten der letzten Monate, mucken immer mehr Kleinaktionäre auf. Erboste Anteilseigner und findige Anwälte strengen eine Vielzahl von Klagen an, zum Beispiel:
in Sachen Intershop: Das Grünwalder Anwaltsbüro Rotter will den Beweis antreten, dass Schambach und Beeck die Öffentlichkeit "über den schleppenden Gang ihrer US-Geschäfte getäuscht haben"; die Kanzlei hat beim Bezirksgericht San Francisco eine Sammelklage gegen die auch an der Nasdaq gelistete Softwarefirma eingereicht;
im Fall Daimler-Chrysler: Amerikanische Anleger klagen gegen den fusionierten Autokonzern, die früheren Chrysler-Aktionäre fühlen sich von Jürgen Schrempp getäuscht; die Fusion sei in Wahrheit eine Übernahme durch Daimler gewesen, Schrempp habe die Chrysler-Aktionäre um die bei einer Übernahme fällige Kaufprämie geprellt;
in der Angelegenheit Deutsche Telekom: Kleinaktionäre haben Strafanzeige gegen Vorstand und Aufsichtsrat gestellt und prüfen die Chancen einer Prospekthaftungsklage; der Vorwurf: Die Telekom habe es jahrelang unterlassen, den Wert ihrer Immobilien korrekt zu bilanzieren und im Börsenprospekt auszuweisen; die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelt gegen Ron Sommer.
Auch gegen Gesellschaften wie EMTV, Infomatec und Metabox sind Klagen in Vorbereitung oder wurden bereits eingereicht.
Ob die juristischen Schritte freilich mehr darstellen als Drohgebärden, erscheint fraglich. Ärger bereiten sie den Unternehmen auf jeden Fall.
Schadensersatzklagen von Anlegern, geschweige denn Urteile, hat es in Deutschland bisher nicht gegeben. "Wir betreten juristisches Neuland", sagt die Münchener Rechtsanwältin Daniela Bergdolt, die einige EMTV-Aktionäre vertritt. Entsprechend unsicher erscheint der Ausgang der Verfahren. Sicher ist nur eines: Die Sache dauert. Sollten sich Anleger und Unternehmen bis hin zum Bundesgerichtshof bekriegen, würde ein Prozess locker drei bis fünf Jahre dauern, prognostiziert Bergdolt.
Noch unwägbarer sind die Aussichten von Klagen in den Vereinigten Staaten. Deutsche Anleger könnten davon profitieren, dass US-Gerichte sich in ausländischen zivilrechtlichen Streitigkeiten schnell für zuständig erklären. Oft reicht es bereits, wenn das beklagte Unternehmen eine US-Tochter hat. Unter dem Druck der anlegerfreundlicheren Rechtsprechung lassen sich Unternehmen häufig frühzeitig auf einen Vergleich ein.
Neben den Gerichtssälen werden die Hauptversammlungen zum Feld der Auseinandersetzungen zwischen Vorständen und Investoren.
Für Unternehmenslenker hatte das typische Aktionärstreffen bislang den Charakter einer Parodontose-behandlung: langwierig und lästig - aber notwendig.
(© DPA)
Daimler-Chef Schrempp: Im Feuer wegen der Übernahme von Chrysler
Für Jürgen Schrempp könnte die Prozedur in diesem Jahr erstmals mit echten Schmerzen verbunden sein. Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre und die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz wollen Vorstand und Aufsichtsrat von Daimler-Chrysler die Entlastung verweigern. Wie viel Prozent Gegenstimmen die Opponenten auf sich vereinigen können, bleibt bis zum 11. April offen.
Auch bei Intershop ist die Situation unberechenbar: 5 Prozent gehören Wagniskapitalgebern, die den Ausstieg nicht rechtzeitig geschafft haben; 67 Prozent der Aktien befinden sich im Streubesitz.
Klagen, Anzeigen, Ermittlungen, Gegenanträge - wird 2001 zum Revolutionsjahr im Börsenland? Wohl kaum. Bei den meisten deutschen Aktiengesellschaften hält sich das Überraschungspotenzial trotz Kursfrusts auch in der diesjährigen Hauptversammlungssaison in Grenzen.
Und dies selbst bei der in Negativschlagzeilen geratenen Deutschen Telekom. In der Hauptversammlung darf nach Kräften gemotzt werden, doch über die Zukunft von Vorstandschef Ron Sommer entscheiden andere: entweder der Großaktionär Bundesrepublik oder die Gerichte, falls die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu einer Anklage führen sollten.
Wirtschaftsprofessor und Aktionärsschützer Ekkehard Wenger glaubt denn auch nicht an einen Erfolg des Anlegeraufstands. "Zuerst machen die Kleinaktionäre ihrem Ärger Luft, anschließend stimmen die institutionellen Anleger für die Entlastung."
Eva Buchhorn/Christian Rickens
Ge- und enttäuschte Kleinanleger mucken auf - doch was können sie tatsächlich bewirken?
In der Hauptversammlung der Intershop Communications AG gefielen sich die Firmengründer Stefan Schambach, 30, und Wilfried Beeck, 41, in der Rolle der jungen, siegreichen Tribunen. Aktionärsvertreter trugen Ergebenheitsadressen vor; Kleinaktionäre standen Schlange für ein Autogramm von Vorstandschef Schambach. Ein schöner Tag.
Intershop-Anführer Schambach: Dem Unternehmen steht eine stürmische Hauptversammlung bevor. Der Kursturz sorgt für Unruhe.
Schade nur, dass sich all dies bereits im vergangenen Jahr zutrug. Die diesjährige Hauptversammlung am 13. Juni dürfte nicht so angenehm verlaufen. Katastrophale Umsatzeinbrüche in den USA, Schambach hat sich vom operativen Geschäft verabschiedet, der Aktienkurs ist seit dem Höchststand um über 90 Prozent eingebrochen. Beeck richtet sich auf Aktionärsproteste ein: "Als Vorstand werde ich dafür bezahlt, dass ich in der Hauptversammlung den Kopf hinhalte."
Die harmonischen Zeiten scheinen endgültig vorbei zu sein. Frustriert von den Kursverlusten der letzten Monate, mucken immer mehr Kleinaktionäre auf. Erboste Anteilseigner und findige Anwälte strengen eine Vielzahl von Klagen an, zum Beispiel:
in Sachen Intershop: Das Grünwalder Anwaltsbüro Rotter will den Beweis antreten, dass Schambach und Beeck die Öffentlichkeit "über den schleppenden Gang ihrer US-Geschäfte getäuscht haben"; die Kanzlei hat beim Bezirksgericht San Francisco eine Sammelklage gegen die auch an der Nasdaq gelistete Softwarefirma eingereicht;
im Fall Daimler-Chrysler: Amerikanische Anleger klagen gegen den fusionierten Autokonzern, die früheren Chrysler-Aktionäre fühlen sich von Jürgen Schrempp getäuscht; die Fusion sei in Wahrheit eine Übernahme durch Daimler gewesen, Schrempp habe die Chrysler-Aktionäre um die bei einer Übernahme fällige Kaufprämie geprellt;
in der Angelegenheit Deutsche Telekom: Kleinaktionäre haben Strafanzeige gegen Vorstand und Aufsichtsrat gestellt und prüfen die Chancen einer Prospekthaftungsklage; der Vorwurf: Die Telekom habe es jahrelang unterlassen, den Wert ihrer Immobilien korrekt zu bilanzieren und im Börsenprospekt auszuweisen; die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelt gegen Ron Sommer.
Auch gegen Gesellschaften wie EMTV, Infomatec und Metabox sind Klagen in Vorbereitung oder wurden bereits eingereicht.
Ob die juristischen Schritte freilich mehr darstellen als Drohgebärden, erscheint fraglich. Ärger bereiten sie den Unternehmen auf jeden Fall.
Schadensersatzklagen von Anlegern, geschweige denn Urteile, hat es in Deutschland bisher nicht gegeben. "Wir betreten juristisches Neuland", sagt die Münchener Rechtsanwältin Daniela Bergdolt, die einige EMTV-Aktionäre vertritt. Entsprechend unsicher erscheint der Ausgang der Verfahren. Sicher ist nur eines: Die Sache dauert. Sollten sich Anleger und Unternehmen bis hin zum Bundesgerichtshof bekriegen, würde ein Prozess locker drei bis fünf Jahre dauern, prognostiziert Bergdolt.
Noch unwägbarer sind die Aussichten von Klagen in den Vereinigten Staaten. Deutsche Anleger könnten davon profitieren, dass US-Gerichte sich in ausländischen zivilrechtlichen Streitigkeiten schnell für zuständig erklären. Oft reicht es bereits, wenn das beklagte Unternehmen eine US-Tochter hat. Unter dem Druck der anlegerfreundlicheren Rechtsprechung lassen sich Unternehmen häufig frühzeitig auf einen Vergleich ein.
Neben den Gerichtssälen werden die Hauptversammlungen zum Feld der Auseinandersetzungen zwischen Vorständen und Investoren.
Für Unternehmenslenker hatte das typische Aktionärstreffen bislang den Charakter einer Parodontose-behandlung: langwierig und lästig - aber notwendig.
(© DPA)
Daimler-Chef Schrempp: Im Feuer wegen der Übernahme von Chrysler
Für Jürgen Schrempp könnte die Prozedur in diesem Jahr erstmals mit echten Schmerzen verbunden sein. Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre und die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz wollen Vorstand und Aufsichtsrat von Daimler-Chrysler die Entlastung verweigern. Wie viel Prozent Gegenstimmen die Opponenten auf sich vereinigen können, bleibt bis zum 11. April offen.
Auch bei Intershop ist die Situation unberechenbar: 5 Prozent gehören Wagniskapitalgebern, die den Ausstieg nicht rechtzeitig geschafft haben; 67 Prozent der Aktien befinden sich im Streubesitz.
Klagen, Anzeigen, Ermittlungen, Gegenanträge - wird 2001 zum Revolutionsjahr im Börsenland? Wohl kaum. Bei den meisten deutschen Aktiengesellschaften hält sich das Überraschungspotenzial trotz Kursfrusts auch in der diesjährigen Hauptversammlungssaison in Grenzen.
Und dies selbst bei der in Negativschlagzeilen geratenen Deutschen Telekom. In der Hauptversammlung darf nach Kräften gemotzt werden, doch über die Zukunft von Vorstandschef Ron Sommer entscheiden andere: entweder der Großaktionär Bundesrepublik oder die Gerichte, falls die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu einer Anklage führen sollten.
Wirtschaftsprofessor und Aktionärsschützer Ekkehard Wenger glaubt denn auch nicht an einen Erfolg des Anlegeraufstands. "Zuerst machen die Kleinaktionäre ihrem Ärger Luft, anschließend stimmen die institutionellen Anleger für die Entlastung."
Eva Buchhorn/Christian Rickens