Krim Delko, New York ⋅ Der Kursverfall bei den Aktien von K+S hat sich am Dienstag beschleunigt. Die Titel stürzten bei erneut hohem Umsatz um bis zu 13% ab und notierten so niedrig wie seit Anfang Oktober 2006 nicht mehr. Wegen der Auflösung des Kalipreiskartells in Russland in der vergangenen Woche kann der Dünger- und Salzproduzent K+S nicht an seiner Gewinnprognose festhalten. Gebrochen wurde das jahrelang gepflegte Kartell vom russischen Kaliproduzenten Uralkali. Das Unternehmen gab Ende Juli bekannt, dass es in Zukunft auf eigene Faust arbeiten werde.
Hohe Kursverluste
Konzernchef Vladislav Baumgertner bedauert zwar in der karg verfassten Pressemitteilung, dass dadurch die Preise für Kali wahrscheinlich sinken werden. Doch sein Unternehmen sollte gut damit fertig werden, da es eine der tiefsten Kostenstrukturen der Branche aufweist. An der Wall Street hat die Nachricht wie eine Bombe eingeschlagen. Der Bruch eines Kartells ereignet sich nicht jeden Tag, und die Reaktion war dementsprechend dramatisch. Sämtliche Düngemittelhersteller mussten Einbussen ihrer Aktienkurse von bis zu 20% hinnehmen. Den Marktteilnehmern bietet sich eine seltene Möglichkeit, Finanz- und Wirtschaftstheorie in Echtzeit mitzuerleben.
Zwar sind Kartelle illegal, doch es gibt sie trotzdem. Gerade im Rohwarenbereich versuchen Hersteller ihre Interessen zu bündeln und so die Preise hochzutreiben. Im Fall von Kali beherrschen Russland und Kanada den globalen Markt, weil dort die meisten Vorkommen erschlossen worden sind. Andere Länder mit nennenswerten Reserven sind die USA, Weissrussland und Israel. Uralkali hatte mit dem weissrussischen Hersteller Belaruskali seit Jahren ein Abkommen, den weissen Stoff gemeinsam zu vertreiben.
Vor 2005 war der Rohstoff Kali an der Wall Street kaum bekannt. Dann kamen gleich zwei Faktoren zusammen, die dem Sektor innert Kürze Kultstatus verliehen. Zum einen stiegen plötzlich die Umsatzvolumen, was in Branchenkreisen auf den vermeintlichen Nachfrageanstieg aus China zurückgeführt wurde. Zum anderen hielten die grossen Hersteller besser zusammen und trieben dadurch den Preis je Tonne von rund 250 $ bis auf 1000 $ im Jahr 2008.
Der spektakuläre Preisanstieg blieb an der Wall Street nicht unbemerkt. Fondsmanager in Manhattan fanden plötzlich Interesse an der Landwirtschaft. Konferenzen zum Thema Düngemittel und Maisproduktion waren gut besucht, und Portfoliomanager aus New York flogen regelmässig in den Mittleren Westen, um sich vor Ort die Maisernte anzusehen. Der Sektor wurde von der Wall-Street-Prosa als sicherer Wert für die Zukunft angepriesen, zumal die Welt immer mehr Nahrung brauche und die Produktivität der Landwirtschaft direkt mit dem Einsatz von Kali als Düngemittel erhöht werden könnte. Die Aktienkurse der Kalihersteller wie Uralkali, Potash Corp. oder Mosaic stiegen. Selbst nach dem Kollaps des Finanzsystems 2008 fand der Sektor schnell zurück auf die Beine.
Die Kalibranche ist ein typischer Bergbausektor. Der weisse Stoff wird in der Regel durch den Abbau unter Tage gefördert und weist die Kostenstrukturen der Bergbaubranche auf. Dank den kartellähnlichen Verhältnissen hielten sich die Preise lange weit über den Produktionskosten, was den Herstellern hohe Margen bescherte. Selbst heute liegen die Preise mit rund 350 $ je Tonne über den Herstellungskosten der meisten Produzenten. Zu verdanken haben die Aktionäre diese Bonanza offenbar der starken Nachfrage aus China.
Doch die hohe Nachfrage nach Düngemitteln kommt nicht nur aus China, sondern ist auch auf das gesetzlich vorgeschriebene Mandat in den USA zurückzuführen, wonach dem Benzin hierzulande Maisethanol beigemischt werden muss. Rund die Hälfte der Maisernte wird in den USA inzwischen für Treibstoff verwendet. Dies ist der Hauptfaktor für die höheren Preise von Mais an den Weltmärkten. Dank den hohen Maispreisen ist auch die Nachfrage nach Kali und anderen Düngemitteln seit Jahren robust.
Zum anderen ist die kartellähnliche Marktstruktur instabil. Der Hersteller aus Weissrussland hatte laut Branchenmeinung schon länger mehr Volumen als vereinbart an den Markt gebracht. Das habe Uralkali schliesslich dazu bewogen, aus dem Bündnis auszutreten.
Spieltheorie in der Praxis
Als John von Neumann und Oskar Morgenstern 1944 ihr Buch «Theory of Games and Economic Behavior» zur Spieltheorie veröffentlichten, hätten sie sich kaum ein besseres Praxisbeispiel vorstellen können. Als Konzept der Mathematik findet die Spieltheorie sehr viel Anwendung in der Wirtschaftstheorie, wo die Verhaltensweisen von Marktteilnehmern unter bestimmten Konstellationen studiert werden.
Kartelle sind dabei ein Spezialfall, zumal sie eine Situation darstellen, bei der die Teilnehmer besser dastehen, wenn sie sich gemeinsam an die Regeln halten. Problematisch wird es, wenn ein Teilnehmer den Anreiz hat, zu betrügen. Dann kann das Kartell schnell zusammenbrechen – zum Schaden aller. Warum das gerade jetzt im Kaligeschäft geschehen ist, bleibt offen. Sicher ist, dass nun alle Teilnehmer zumindest in der kurzen Frist mit tieferen Margen und erheblich tieferen Aktienkursen leben müssen.