Kuppeln des Moskauer Kremls
Dienstag, 01.03.2022 21:03 von | Aufrufe: 1656

GESAMT-ROUNDUP 4: Russland nimmt Kiew ins Visier - Explosion beim Fernsehturm

Kuppeln des Moskauer Kremls ©iStock

(aktualisierte Fassung)

KIEW/MOSKAU (dpa-AFX) - Trotz aller internationalen Friedensappelle hat Russland seine Angriffe auf die Ukraine verschärft und nimmt die Hauptstadt Kiew immer stärker ins Visier. Bei einem mutmaßlichen Raketenangriff auf den Fernsehturm in Kiew wurden am Dienstag mindestens fünf Menschen getötet, wie der Zivilschutz mitteilte. Auf die Hauptstadt bewegte sich ein riesiger Militärkonvoi von mehr als 60 Kilometern Länge zu. Auch aus der zweitgrößten Stadt Charkiw wurde eine heftige Explosion gemeldet. Nach US-Angaben scheinen die russischen Truppen beim Vormarsch jedoch Probleme mit der Versorgung zu haben. Darüber hinaus sei der Widerstand der ukrainischen Streitkräfte wohl größer als von russischer Seite erwartet.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und UN-Generalsekretär António Guterres forderten den russischen Präsidenten Wladimir Putin erneut auf, den Krieg sofort zu beenden. Die Vereinten Nationen stellen sich auf die Versorgung von bis zu vier Millionen Flüchtlingen ein.

Die militärische Lage

Die russischen Angriffe konzentrierten sich am Tag sechs des Einmarsches weiter auf die großen Städte, die nach Darstellung des ukrainischen Außenministeriums jetzt mit Raketen beschossen werden. Aus Kiew wurde von der Agentur Unian ein Raketenangriff auf den Fernsehturm gemeldet, der aber stehenblieb. Darüber hinaus gab es einen Luftangriff in der Nähe der Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar in Kiew. Bürgermeister Vitali Klitschko bezeichnete die Lage als "bedrohlich". Das Verteidigungsministerium in Moskau hatte der Agentur Interfax zufolge kurz zuvor mitgeteilt, die Informationsinfrastruktur des ukrainischen Geheimdienstes in Kiew gezielt angreifen zu wollen.

Das ukrainische Außenministerium veröffentlichte bei Twitter ein Video, das einen Raketeneinschlag direkt auf dem zentralen Freiheitsplatz in Charkiw zeigt. "Russland führt Krieg unter Verletzung des humanitären Völkerrechts", twitterte das Außenministerium in Kiew. Moskau weist den Vorwurf zurück.

Die ukrainische Regierung beschuldigt Russland, Zivilisten zu töten und zivile Infrastruktur zu zerstören. Unabhängig überprüfen lassen sich die Informationen über das Kriegsgeschehen nicht. Dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zufolge wurden bislang mindestens 136 Zivilisten getötet.

Als sicher gilt, dass die russischen Truppen ihren Vormarsch auf Kiew fortsetzen. Satellitenbilder aus der Nacht zum Dienstag zeigten einen gewaltigen Konvoi aus Panzern und anderen Militärfahrzeugen. US-Verteidigungskreisen zufolge will das russische Militär die Hauptstadt trotz des starken ukrainischen Widerstandes einnehmen.

Die Hafenstadt Mariupol im Südosten der Ukraine ist weiter heftig umkämpft. Die russischen Separatisten kündigten an, für Einwohner zwei "humanitäre Korridore" einzurichten. Die Menschen könnten die Stadt bis Mittwoch verlassen, sagte der Sprecher der Aufständischen im Gebiet Donezk der Agentur Interfax zufolge.


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Die Ukraine wiederum bot russischen Soldaten Straffreiheit und Geld an, wenn sie sich ergeben. Geboten werden jedem Soldaten umgerechnet mehr als 40 000 Euro. Ukrainischen Angaben zufolge sollen bisher mindestens 200 russische Soldaten gefangen genommen worden sein.

Das US-Verteidigungsministerium erklärte derweil, die russischen Truppen hätten inzwischen Probleme, die eigenen Soldaten mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Insgesamt hätten die Russen bei ihrer Offensive zuletzt keine größeren Fortschritte gemacht. Auf mehrfache Nachfrage, auf welchen Informationen und Quellen genau die Angaben über Probleme auf russischer Seite beruhten, äußerte sich der Pentagon-Vertreter ausdrücklich nicht. Dazu könne er öffentlich keine Angaben machen. Hinweise darauf, dass belarussische Truppen in die Ukraine einmarschierten, gebe es nicht.

Politische Verteidigungs- und Angriffslinien

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verlangte in einem emotionalen Appell an das Europaparlament die Aufnahme seines Landes in die Europäische Union. "Wir kämpfen für unsere Rechte, für unsere Freiheit, für unser Leben. Und nun kämpfen wir ums Überleben", sagte er zu Beginn einer Sondersitzung in einer Videobotschaft.

Russlands Präsident Wladimir Putin bekräftigte dagegen seine Bedingungen für eine Beendigung der "Militär-Operation". Die Regierung in Kiew müsse die "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk sowie Russlands Souveränität über die Schwarzmeer-Halbinsel Krim anerkennen, teilte der Kreml mit. Zudem müsse die Ukraine entmilitarisiert und in einen neutralen Status überführt werden.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow warf der Ukraine eine Bedrohung der internationalen Sicherheit vor. Die Regierung in Kiew wolle eigene Atomwaffen, sagte Lawrow per Video vor der Ständigen Abrüstungskonferenz in Genf. Auf dem ukrainischen Territorium befänden sich noch sowjetische Nukleartechnologie und die Mittel, so bestückte Waffen abzuschießen, sagte Lawrow der englischen UN-Übersetzung zufolge. Von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA hatte es in der vergangenen Woche geheißen, sie sehe keinerlei Belege für die Behauptungen über ein mögliches Atomwaffenprogramm in der Ukraine.

Aus Protest gegen den russischen Krieg in der Ukraine verließen Diplomaten in Genf vor Lawrows Rede den Saal des UN-Menschenrechtsrats. An der vorab koordinierten Aktion waren die deutsche Botschafterin Katharina Stasch sowie Dutzende weitere Delegationen beteiligt.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schloss eine Beteiligung des Militärbündnisses am Ukraine-Krieg erneut aus.

Zahl der Flüchtlinge steigt

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind nach UN-Angaben bereits 677 000 Menschen in Nachbarländer geflüchtet. Rund die Hälfte sei in Polen angekommen, sagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, in Genf. Rund 90 000 seien in Ungarn und Zehntausende in anderen Nachbarländern wie Moldau, Slowakei und Rumänien.

Auch in Deutschland treffen immer mehr Menschen aus der Ukraine ein. Bis Dienstagmorgen habe die Bundespolizei die Einreise von 3063 Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine festgestellt, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Die tatsächliche Zahl der eingereisten Kriegsflüchtlinge könne aber bereits wesentlich höher sein.

Hilfen für die Ukraine

Die USA planen weitere milliardenschwere Hilfen für die Ukraine. Die Regierung von Präsident Joe Biden beantragte beim Kongress ein Paket mit einem Umfang von 6,4 Milliarden Dollar (Dollarkurs) (5,7 Milliarden Euro), das zusätzlich zur jüngsten militärischen Soforthilfe der US-Regierung mit einem Volumen von 350 Millionen Dollar kommen soll.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte in einer Sondersitzung des EU-Parlaments 500 Millionen Euro an humanitärer Hilfe an. Die Summe soll die bereits angekündigten 500 Millionen Euro der Europäischen Union für Waffenlieferungen an die Ukraine ergänzen.

Schulterschluss der westlichen Welt - Putin zunehmend isoliert

Der russische Angriff hat nach Einschätzung der US-Regierung zu einem Schulterschluss innerhalb der Nato und anderer westlicher Verbündeter geführt. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, nannte Putin "einen der größten Einiger der Nato in der modernen Geschichte". Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock rief zum internationalen Schulterschluss gegen Putin auf. "Wir wollen, dass so viele Staaten wie möglich Farbe bekennen gegen Putins Krieg", sagte die Grünen-Politikerin im polnischen Lodz. Bei ihrer Abreise nach New York, wo sie am späten Abend bei der Dringlichkeitssitzung der UN-Vollversammlung für eine breite Verurteilung des russischen Angriffs werben wollte, sagte sie: "Wenn es um Krieg und Frieden geht, ist Heraushalten keine Option."

Debatte über Wehrpflicht

Der russische Angriff auf die Ukraine hat eine neue Debatte über die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht in Deutschland ausgelöst. Politiker aus Union und SPD forderten eine Diskussion über einen solchen Schritt, der Wehrdienst und soziale Dienste vereint. Dagegen erklärte FDP-Fraktionschef Christian Dürr eine Neuauflage der Wehrpflicht in Deutschland für ausgeschlossen./wn/DP/he

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