Ein Containerschiff in einem Hafen (Symbolbild).
Montag, 12.09.2016 05:24 von | Aufrufe: 191

Wo die Dinge den richtigen Weg nehmen: Der Duisburger Hafen wird 300

Ein Containerschiff in einem Hafen (Symbolbild). pixabay.com

DUISBURG (dpa-AFX) - Auf den Zentimeter genau muss Kranführer Christoph Weyers den tonnenschweren Container auf das Fahrgestell des Lastwagens bugsieren. In seiner Krankabine 15 Meter über dem Container sieht Weyers die genauen Absetzpunkte dabei nicht. "Wir müssen genau absetzen. Es gibt keinen Spielraum", erzählt der 32-Jährige.

Er bedient eine sogenannte Containerbrücke im Duisburger Hafen, genauer gesagt, im Logistikzentrum "logport I" auf der linken Rheinseite. Noch genauer gesagt: auf dem Gelände des Unternehmens D3T. Das steht für "Duisburg Trimodal Terminal". Trimodal bedeutet, dass die drei Verkehrsträger Schiff, Bahn und Lkw gleichermaßen bedient werden können. Willkommen in der Welt der Logistik.

Vor 300 Jahren fasste der Rat der damals noch eigenständigen Stadt Ruhrort den Beschluss, einen Hafen zu bauen. Er gilt als die Keimzelle des heutigen Duisburger Binnenhafens, der der größte der Welt sein soll. Am kommenden Freitag jährt sich der Ruhrorter Magistratsbeschluss von 1716 zum 300. Mal.

Wie funktioniert eigentlich so ein Binnenhafen, hunderte Flusskilometer vom offenen Meer entfernt? Das Grundprinzip ist einfach: "Mit dem Schiff kommt die Ware", erklärt Heiner Paesch von der Duisburger Hafen AG, die seit dem Jahr 2000 unter der Marke "duisport" auftritt. Kommt die Ware in Containern, hebt ein Kran diese vom Schiff. "Wenn es geht, werden die Container dann gleich auf Waggons oder Lastwagen gesetzt und zum Bestimmungsort gebracht." "Feinverteilung" nennt der Logistiker das.

Ganz so simpel ist es dann aber doch nicht. Die Container werden oft nicht sofort weitertransportiert, sondern auf dem Terminalgelände zwischengelagert. Ein Computer merkt sich, wo die Container stehen, damit man sie später auch wiederfindet. Sollen sie ihre Reise fortsetzen, stehen mitunter andere Container auf ihnen. Sie müssen dann erst weggeräumt werden. Das kostet Zeit und damit Geld.

Und wie setzt man nun einen schweren Container auf einen Laster, ohne dass etwas kaputt geht? "Jahrelange Erfahrung", sagt Weyers und drückt sanft gegen den Joystick in seiner Linken. Er sitzt in einer schallgedämpften Kabine und kann durch Glasscheiben nach unten sehen. Auch mit der Rechten bedient er einen Joystick. Mit ihnen kann er die stählernen Kästen präzise bewegen.

Rechts hängt ein Computerbildschirm, der ihm genau sagt, welche Kiste er mit seiner 140 Meter langen Brücke als nächstes raussuchen muss. Wie schwer sie sein soll und wie schwer sie wirklich ist, und vor allem: Wo in dem Containergebirge er sie findet. Wenn alles gut läuft, setzt er 20 Container in der Stunde auf Schiff, Laster oder Bahn.

Bis zu 5000 TEU, also Standardcontainer, können auf dem Gelände von D3T lagern. Die Abkürzung TEU steht für "Twenty-foot Equivalent Unit" und ist die international gängige Maßeinheit in der Containerwelt. Ein solcher Standardcontainer ist etwa sechs Meter lang, 2,60 Meter hoch und gut 2,40 Meter breit, hat also eine Fläche von knapp 15 Quadratmetern - Kinderzimmergröße.

Die größten Container-Schiffe, die noch den Duisburger Hafen nutzen können, gehören zur "Großen Containerschiff-Klasse" und können rund 500 Standardcontainer aufnehmen. Zum Vergleich: Auf den Weltmeeren fahren mittlerweile Schiffe, die mehr als 19 000 TEU laden können.


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"logport I" in Duisburg-Rheinhausen wurde nicht auf der grünen Wiese errichtet. Auf dem 265 Hektar großen Gelände stand bis in die 1990er Jahre das Hüttenwerk Rheinhausen der Firma Krupp, das seinerzeit modernste Stahlwerk Europas. Im Zuge der Stahlkrise Ende der 1980er Jahre sollte es geschlossen werden. Monatelang protestierten die Beschäftigten dagegen, besetzten eine Rheinbrücke, die Autobahn und die Villa Hügel, die ehemalige Familienvilla der Krupps in Essen.

Das endgültige Aus konnten sie am Ende nicht verhindern. 1993 war Schluss. 1998 kaufte dann die Hafengesellschaft das Gelände, 2002 wurde das erste Containerterminal eröffnet. Seitdem siedelten sich zahlreiche Logistikunternehmen dort an. 2014 meldete "duisport", dass nun das ganze Gelände vermarktet ist. Längst gibt es in Duisburg auch "logport II" und "logport III". Nr. IV und V entstehen derzeit in Kamp-Lintfort und Oberhausen - auf ehemaligen Steinkohlen-Lagerflächen. Und auch ein "logport VI" ist schon in Planung. Strukturwandel halt. Wo früher Erz für das Stahlwerk lagerte, stapelt Herr Weyers heute seine Container.

International angebunden ist der Hafen nicht nur über den Seeweg, sondern auch über die Schiene. Seit 2012 fahren die sogenannten Yuxinou-Züge zwischen China und Duisburg. Für die je nach Strecke 10 000 bis 12 000 Kilometer braucht der Zug 16 bis 19 Tage: Schneller als auf dem Seeweg und günstiger als mit dem Flieger. Schon spricht man von einer "neuen Seidenstraße". Auch die chinesische Staatsführung misst der Verbindung einige Bedeutung bei: Im März 2014 besuchte Staatspräsident Xi Jinping den Duisburger Hafen und nahm einen Zug aus China im Empfang. Mittlerweile geht täglich ein Zug nach Fernost. Deutsche Autohersteller schicken beispielsweise Autos und Autoteile, chinesische Unternehmen senden etwa Textilien und Elektronikartikel nach Europa.

Eine andere Sicht auf den Hafen als nur die wirtschaftliche hat man zwei Straßen weiter: Dr.-Hammacher-Straße 10 in Ruhrort, Sitz des Evangelischen Binnenschifferdienstes und der Deutschen Seemannsmission in Duisburg. Pfarrer Frank Wessel leitet den Dienst seit 1994. "Wir versuchen, dafür zu sorgen, dass die Menschen auch in der Fremde ein Stück Geborgenheit erfahren", erzählt er.

Vor allem zwei Zielgruppen haben er und sein Team im Blick: Zum einen die Binnenschiffer, zum anderen die Seeleute, die auf Küstenmotorschiffen regelmäßig etwa zwischen der britischen Insel und Duisburg pendeln. Weil seine Gemeindeglieder zumeist an ihre Schiffe gebunden sind, kommt der Schifferpastor zu ihnen - mit einem Kirchenschiff. "Johann Hinrich Wichern" heißt es. Es ist eine schwimmende Kirche mit Gottesdienstraum.

"Der typische Partikulier ist mit seinem eigenen Schiff unterwegs", sagt Wessel. "Manchmal ist er 360 von 365 Tagen im Jahr an Bord." Auch das komplette Familienleben spiele sich dann dort ab. Es gebe aber auch viele Angestellte, die im Schichtbetrieb fahren: Zwei Wochen Arbeit, zwei Wochen frei oder ein 3 zu 1-Rhythmus.

Viele Binnenschiffer kenne er schon seit vielen Jahren. Oft habe er sie schon als Schüler im Schifferberufskolleg in Duisburg kennengelernt, wo er nebenamtlich evangelische Religion unterrichtet. "Plötzlich kommen sie dann und sagen: Ich will heiraten. Machst Du das? Oder: Taufst Du mein Kind?" Beides natürlich auf dem Kirchenboot.

Die Beschäftigten auf den Küstenmotorschiffen, die auch schon mal mehrere Monate am Stück auf einem Schiff arbeiten, haben dagegen oft andere Sorgen. Da ist der Seemann aus der Ukraine, der sich um seine Familie in der Krisenregion um Donezk sorgt und sich freut, wenn jemand fragt, wie es ihm geht. Da sind die Matrosen von den Kapverden, die keinen Zugang zu Nachrichten aus ihrer Heimat haben. Für sie stellt Wessels Kollegin, die Sozialpädagogin Gitta Samko, dann aus dem Netz eine Übersicht zusammen, bevor sie an Bord kommt.

Mal bringen die Seelsorger eine Zeitung aus der Heimat mit, mal geben sie eine Telefonkarte, damit die Seeleute zuhause anrufen können. Die Hilfe ist manchmal auch noch umfangreicher. Wessel erzählt von einem Seemann aus Brasilien, der sich einst im Hafen ernsthaft am Rücken verletzt hatte und ins Krankenhaus musste. Sein Schiff konnte nicht warten und so lag dieser einsame Mann nun in einem Duisburger Krankenhaus und hatte erstmal nichts. Wessel half mit Kleidung. Als der Matrose dann aus der Klinik entlassen wurde, war er noch nicht reisefähig. "Er hat dann ein Zimmer bei uns im Haus der Seemannsmission bekommen."

Ein großes Problem für die Seeleute sei, dass sie oft aus Sicherheitsgründen nicht von ihren Schiffen kämen. Grund sind Sicherheitsbestimmungen zum Schutz vor terroristischen Anschlägen. Die USA haben diese Bestimmungen nach den Terroranschlägen vom 11.9. 2001 eingeführt. Ist ein Hafengelände eine sogenannte ISPS-Hafenanlage, wird es etwa in der Nacht hermetisch abgeriegelt. "Die Seeleute sitzen dann die ganze Zeit in ihrer Blechkiste und kommen da nicht runter." Aber auch die Binnenschiffer, die abends nochmal ein Bierchen trinken wollten, hätten ein Problem.

Auch sonst hat sich einiges geändert in den vergangenen Jahren: "Der Druck für die Beschäftigten ist größer geworden", sagt Wessel. Die Erträge seien gesunken. "Als ich anfing, konnte eine Binnenschifferfamilie gut leben, wenn sie 15 bis 20 Reisen pro Jahr nach Berlin machte." Heute müsse sie das Doppelte machen, um das Gleiche zu verdienen. "Die Arbeit ist verdichtet worden. Die Ruhezeiten haben gelitten."/tob/DP/zb

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