EU-Taxonomie beschlossen: EU-Greenwashing: Investments in Atom und Gas jetzt nachhaltig – Expertenstimmen

Viele ESG-Investoren sind geschockt: Investments in Atomkraft und Erdgas werden von der EU-Taxonomie als nachhaltig eingestuft. Wir haben Experten um eine Einschätzung gebeten.

Investments in bestimmte Atom- und Gaskraftwerke werden in der EU zukünftig sehr wahrscheinlich als nachhaltig eingestuft werden können. Das EU-Parlament billigte gestern die Einstufung. Ein Antrag dagegen fand keine Mehrheit.

Die sogenannte EU-Taxonomie klassifiziert Wirtschaftsaktivitäten und Finanzprodukte nach deren Nachhaltigkeit. Mit ihrer Hilfe soll privates Kapital in grüne Wirtschaftsaktivitäten und -zweige gelenkt werden. Das soll im Kampf gegen den Klimawandel helfen. Die Taxonomie sieht vor, bestimmte Erdgas- und Atomkraftaktivitäten übergangsweise als klimaschutzdienlich einzustufen.

Im EU-Parlament stimmten gestern lediglich 278 dafür die EU-Taxonomie zu blockieren. Um das Vorhaben zu stoppen, wären jedoch die Stimmen der absoluten Mehrheit von 353 Abgeordneten nötig gewesen. 328 stimmten dagegen die EU-Taxonomie zu blockieren. 33 enthielten sich.

Nur ein Veto von 20 der 27 EU-Mitgliedsstaaten könnte die Taxonomie-Regeln für den Finanzmarkt jetzt noch stoppen. Das gilt jedoch als äußerst unwahrscheinlich. Damit dürfte die EU-Taxonomie aller Vorrausicht nach am 1. Januar 2023 in Kraft treten.

Kritik kommt von Umweltverbänden, NGOs und nachhaltigen Banken. Volker Weber, Vorstandsvorsitzender des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG), erklärte: "Mit der heutigen Entscheidung verliert die Taxonomie ihre Glaubwürdigkeit und Anwendbarkeit. (…) Das ist ein schlechter Tag – nicht nur für die Erreichung der Pariser Klimaziele und der UN-Nachhaltigkeitsziele, sondern auch für die Finanzbranche".  Das FNG habe sich wiederholt gegen die Aufnahme von Atomenergie in die EU-Taxonomie ausgesprochen.

"Der Beschluss, Gas- und Atomkraftwerke als nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu klassifizieren, ist eine große Enttäuschung und zerstört die Glaubwürdigkeit des gesamten Sustainable Finance-Prozesses," findet Wirtschafts- und Sozialethiker Klaus Gabriel, Vorstand bei CRIC – einem Verein zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage.

Und weiter: "Leider haben sich politische Interessen gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen durchgesetzt. Die Aufbruchstimmung, die viele erfasste, schwindet, Resignation macht sich breit", so Gabriel im Gespräch mit wallstreet:online.

Thomas Jorberg, Vorstandssprecher bei der nachhaltigen GLS Bank, erklärte: "Die Taxonomie sollte ein Güte- und Vertrauenssiegel für Anleger darstellen, die ökologisch besonders nachhaltige Unternehmen und Projekte finanzieren wollen. Ohne soziale Kriterien, aber mit Atomenergie und Gaskraftwerken im Portfolio, setzt sie niedrigere Standards bei den Qualitätsmerkmalen als fast sämtliche grüne Anlagen am Markt."

Scharfe Kritik kommt auch von jungen Klimaschützern: "Wir sind fassungslos, dass das EU-Parlament zugestimmt hat, Gas- und Atomenergie als nachhaltig einzustufen. Das ist offensichtliches Greenwashing und tritt die Bemühungen unzähliger junger Klimaaktivist*innen sowie die Interessen der gesamten jungen Generation mit Füßen. Gas und Atom sind nicht grün (…) ", schreibt die BUNDjugend.