Robert Kurz, der Radiakl-Ökonom von konkret

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Robert Kurz, der Radiakl-Ökonom von konkret

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05.10.01 16:04
hat sich einen Web-Auftritt geschaffen, der sagenhaft ist: was ich bei Robert Kurz so schätze (und ich lese seit mehr als 10 Jahren dieses Heft und auch seine, jeweils unmittelbar bevorstehenden Kollapsszenarien): er HAT SICH IMMER GEIRRT ... ein absoluter Kontraindikator. Das Schlimmste sollte also ausgestanden sein ....

Hier der Link und ein Auszug aus der neuesten, doch umfangreichen Web-Präsentaion, natürlich nur für Interessierte:

www.nadir.org/nadir/archiv/...scheStroemungen/krise/node5.html


... Daß auch der Westen in der Krise ist, war schon vor dem Zusammenbruch des Staatssozialismus nicht gänzlich aus der Welt. Seit Anfang der achtziger Jahre ist das Stichwort von der Krise der Arbeitsgesellschaft auch im Westen aufgetaucht. Ich kann mich genau erinnern, wie besorgniserregend es war, als in Deutschland Anfang der achtziger Jahre die Arbeitslosigkeit erstmals die Millionengrenze überschritt. Heute wäre das schon wieder eine Erfolgsmeldung; damals hat man sich gefürchtet, es wurden sogar Stimmen laut, ob der Osten vielleicht doch die bessere Systemalternative sei. Sogar das gab es damals noch. Und dann kam dieser große Zusammenbruch. Das ganze System im Osten hat sich wie eine Mumie in Staub aufgelöst, und in der Folge hat man die eigene Krise erst mal ein bißchen verdrängt und vergessen, obwohl ja die sozialen Prozesse, die damit verbunden waren, die Massenarbeitslosigkeit und neue Armut, immer noch da waren. Schon zehn Jahre vorher sind in großen Teilen der Dritten Welt ganze Nationalökonomien zusammengebrochen. Die Misere Afrikas fing damals an, in Lateinamerika begann die Epoche der Hyperinflation und der Deindustrialisierung. Das verlorene Jahrzehnt, wie es dann Ende der achtziger Jahre genannt wurde. Man hat es also erst mal verdrängt und den Zusammenbruch des vermeintlichen Gegensystems zum Anlaß genommen, sich etwas in die Tasche zu lügen.

Damit verknüpft wurde die Erwartung, daß sich mit der Öffnung des Ostens wunderbare neue Märkte auftun würden, ein neuer Akkumulationsschub des Kapitals wie nach dem Zweiten Weltkrieg zu erwarten sei und der Westen seine Krise gerade mit dem Zusammenbruch des Ostens lösen könne. Mittlerweile sind wir nahezu eine halbe Dekade weiter, und es zeigt sich immer deutlicher, daß diese Hoffnungen Trugbilder sind, die man sich aus dem Kopf schlagen kann. Im Gegenteil: Nicht nur kehrt die Krise in den Westen zurück (streng genommen war sie ja nie weg), sie wird auch in ihrem Ausmaß immer deutlicher erkennbar. Die Rückkoppelungsprozesse aus den Zusammenbrüchen im Osten ereilen auch uns allmählich, es kommt also eher Negatives aus diesen Zusammenbruchsregionen auf die westliche Ordnung zu. Das läßt sich in verschiedene Richtungen ausleuchten.

Ein Aspekt dabei ist sicherlich, daß die Krise im Osten »Flüchtlingsströme«, Arbeitsimmigration, neue Formen von Massenkriminalität hervorbringt - früher hatten wir die Mafia nur im Süden, jetzt haben wir sie auch im Osten -, die unter anderem Anlaß für rassistische Reaktionen in der westlichen und gerade auch in der deutschen Bevölkerung sind. Das sind Erscheinungen dieser Krise, die sich mit ihrem Andauern fortsetzen werden. Wesentlich ist, daß sich die Hoffnung auf die neuen Märkte nicht erfüllt hat und daß, so paradox es vom Standpunkt der alten Kapitalismuskritik auch klingen mag, diese riesigen Massen im Osten für das westliche Kapital größtenteils nicht ausbeutungsfähig sind. Auf jeden Fall haben die großen Investitionsströme nach Osten bis jetzt nicht stattgefunden. Es gibt auch keine erkennbaren Tendenzen oder Absichten, diese geöffneten und sozusagen wehrlosen riesigen Regionen in einer anderen Weise zu annektieren, sie sich anzueignen, unter den Nagel zu reißen - sie stellen die verbrannte Erde der Marktwirtschaft oder der Modernisierung dar, und der Westen weiÿSMB€adt anfangen soll. Der Osten jagt ihm wieder Angst ein, vielleicht sogar stärker als zu Zeiten der alten Sowjetunion, denn jetzt könnte es ja sein, daß diese riesige, waffenstarrende, mit Atombomben vollgestopfte Region plötzlich völlig unkontrollierbare Gestalten hervorbringt, die wesentlich weniger berechenbar sind, als es der gute alte Breschnjew war.

Was nun die gemeinsame Krise angeht, geisterte bei uns ein schönes Stichwort im Hinblick auf die deutsche Vereinigung durch die Zeitungen: statt Aufschwung Ost Abschwung West. Das bezog sich eher auf die Konjunktur und die Rezession der letzten beiden Jahre. Jetzt macht man sich wieder Hoffnungen auf Konjunkturbelebungen, aber es ist selbst in den offiziellen Kommentaren spürbar, daß dieser Aufschwung wohl auf sich warten lassen wird - zumindest ist ein säkularer Boom, der die jetzige Krise beheben könnte, nicht absehbar.

Das hat etwas damit zu tun, daß wir es nicht mehr mit einer rein zyklischen Bewegung zu tun haben. Der sozusagen normale Zyklus der kapitalistischen Bewegung wird überlagert von einem anderen Problem, oft strukturelle Krise genannt. Deswegen spricht man mittlerweile von struktureller Massenarbeitslosigkeit und nicht mehr bloß von zyklischer. Das bedeutet, daß die Arbeitslosigkeit im sogenannten zyklischen Aufschwung der Konjunktur nicht mehr zurückgeht, sich statt dessen sogar eher noch ausdehnt.

Das hat es in der Geschichte der Modernisierung noch nie gegeben. Die Massenarbeitslosigkeit (sofern es sie gab, vor allem während der Weltwirtschaftskrise) stellte ein zyklisches Phänomen dar, das mit dem ebenfalls zyklischen konjunkturellen Aufschwung immer wieder abgebaut wurde. Marx nannte das die »industrielle Reservearmee«. Die Arbeitslosen wurden nur als Reservearmee für den nächsten Aufschwung betrachtet und damit für die Reabsorption ihrer Arbeitskraft in die Verwertungsbewegung des Kapitals bereit gehalten. Das scheint nun vorbei zu sein. Denn von Zyklus zu Zyklus, ganz unabhängig von dessen Auf und Ab, hat sich die sogenannte Sockelarbeitslosigkeit erhöht. Ich habe vorhin erwähnt, für die Bundesrepublik Deutschland wäre es heute eine Erfolgsmeldung, »nur« eine Million Arbeitslose zu haben, mittlerweile sind es ca. vier Millionen. Und dabei ist das gar nicht die reale Zahl, denn in Wirklichkeit ist die Massenarbeitslosigkeit viel größer, würde man die ganzen Auffangmaßnahmen - Vorruhestand, ABM (sogenannte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ) - und die statistischen Tricks einbeziehen. Dieses Wegretouchieren eines Teils der Massenarbeitslosigkeit durch statistische Tricks ist in fast allen Ländern heute üblich, welche überhaupt noch eine Arbeitslosenstatistik führen. Für die Bundesrepublik heißt das, daß man sich bis vor ein paar Jahren noch auf die Gesamtzahl der ArbeitnehmerInnen bzw. die Lohnabhängigen bezogen hat. Inwischen bezieht man sich auf die Gesamtzahl der sogenannten Erwerbspersonen, inklusive sämtlicher Selbständiger und mithelfender Familienangehöriger, und wie die statistischen Bezeichnungen lauten, um damit die Statistik zu schönen. Dies nur als Beispiel; diese Tricks sind von Land zu Land verschieden, werden aber angewandt.

Steigende Sockelarbeitslosigkeit ist also unabhängig von Zyklen, das ist nicht nur ein deutsches oder mitteleuropäisches, sondern ein globales Phänomen. Im Frühjahr 1994 hat die Internationale Arbeitsorganisation in Genf eine Analyse herausgebracht, wonach heute im Weltmaßstab real dreißig Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitslos sind, de facto arbeitslos. In dieser kritischen Analyse wurden einige der erwähnten Tricks durchleuchtet; diese Zahl kommt der Wahrheit näher als die offiziellen Statistiken, sie übersteigt die Arbeitslosenrate der Weltwirtschaftskrise von 1929/33. Vor allem hatte die damalige Weltwirtschaftskrise, trotz ihres Namens, nicht so globale Auswirkungen wie die heutige strukturelle Massenarbeitslosigkeit. Man kann also in der Tat von einer veritablen Krise der Arbeitsgesellschaft sprechen. Dabei gibt es zwei Merkwürdigkeiten: Die eine ist, daß sämtliche Modernisierungsideologien, Marxismus und Liberalismus eingeschlossen, Arbeit als eine ontologische oder anthropologische Grundgegebenheit verstehen. Man geht davon aus, daß die Menschen, seit es sie gibt, »gearbeitet« haben, und Arbeit erscheint als etwas, das außerhalb der Geschichte liegt. Wenn man nun von der Krise der Arbeitsgesellschaft redet, widerspricht man der eigenen Basisideologie, wonach die Arbeit etwas sei, was den Menschen vom Tier unterscheide. Und dann kann natürlich die Arbeit als solche nie in die Krise kommen.

Der Widerspruch zeigt sich darin, daß hier ein Zusammenhang in die Krise kommt, der bisher nicht als historischer, das heißt als gewordener und wieder vergehender, betrachtet worden ist, sondern als menschlicher Grundsachverhalt schlechthin. Es handelt sich nicht um das, was Marx als Stoffwechselprozeß mit der Natur bezeichnet hat, der ist unaufhebbar, solange es Menschen gibt. Heute scheint vielmehr der Begriff des Verwandlungsprozesses von Arbeit in Geld in die Krise zu kommen, was Marx die abstrakte Arbeit nennt, nämlich die Verausgabung von Nerv, Muskel und Hirn in die gesellschaftliche Geldform und damit die Reproduktion des Menschen im Kontext von Arbeit, Geld und Warenkonsum - diese Verknüpfung von Arbeit mit Geld ist historisch und keineswegs überhistorisch.

Das zweite, was paradox erscheint, ist, daß wenn man früher von der möglichen Krise oder zukünftigen Krise des Kapitalismus sprach, meinte man die Krise der Geldverwertung, und das scheint heute mega-out zu sein. Das Kapital ist ja anscheinend überhaupt nicht in der Krise, nur die Arbeit. Das ist insofern paradox, als diese beiden Momente Pole ein- und desselben Verhältnisses sind. So wie es unmöglich ist, daß sich dieses Abstraktum der Moderne, die Arbeit, vom Kapital emanzipieren und für sich alleine weiterarbeiten kann, wie das die Staatsreligion im Osten war oder auch die Grundauffassung des Marxismus darstellt, ebensowenig ist es möglich, daß die Arbeit für sich alleine in die Krise kommt und das Kapital munter weiterakkumuliert - dann würde ich eher an die katholische Transsubstantiationslehre oder an die unbefleckte Empfängnis glauben als daran, daß ein Kapital sich ohne eine entsprechende Höhe an Vernutzung von abstrakter Arbeitskraft, rein als Geldvermehrung, weiterverwerten kann. Hier scheint etwas nicht zu stimmen. Und darauf will ich jetzt näher eingehen. Ich möchte die Analyse dieser gemeinsamen Krise mit vier Stichworten kurz umreißen: 1. Rationalisierung, 2. Globalisierung, 3. Tertiarisierung, 4. Fiktionalisierung.



zombi17:

Bei so langen Artikeln , solltest du......

 
05.10.01 17:34
....ein paar Flaschen Bier dazu stellen.
z
Reila:

... oder eine Zusammenfassung, zombi.

 
05.10.01 17:39
Aber vielleicht hat er das alles selbst nicht verstanden.

R.
hjw2:

wer liest denn so einen Scheiss...?

 
05.10.01 19:13
54 Halbintelligenzler bis jetzt.  1x informativ
Schnorrer:

Ich. Und weil R. Kurz wieder mal gekotzt hat,

 
01.08.02 21:25
will ich Euch das Ergebnis nicht vorenthalten. Mein Kurzkommentar vorab dazu: im Prinzip eine feine Aufarbeitung der jüngsten Historie, aber er hat nur einen einzigen eigenen Gedanken im Sinne einer Prognose eingebracht ... und der Gedanke ist m. E. wieder mal einfach nur daneben. Was soll's, er will wohl einfach die Welt retten, notfalls auch gegen Ihren Willen und gegen jede Realität (PS: findet Ihr die Schieflage im Gedankengebäude?)


Einmal um die ganze Welt

Enron, WorldCom, AOL - in den USA folgt eine Firmenpleite der anderen. Geht der Konjunkturlokomotive der Welt die Puste aus? von robert kurz
Fauler Zauber. Der Jahrhundertboom in den USA ist vorbei. Und nach dem Wirtschaftswunder folgt der Absturz an den Börsen. Jetzt lahmt die globale Konjunktur und stürzt den Weltmarkt in eine Krise neuer Dimension.


Wenn die USA husten, so heißt es, bekommt der Rest der Welt eine Lungenentzündung. Denn nicht nur politisch und militärisch, sondern auch ökonomisch sind die USA die letzte Weltmacht. Noch in den achtziger Jahren galt Japan als großer Konkurrent, der womöglich die USA aufkaufen würde. Nach dem Untergang der Sowjetunion sollten die »Märkte im Osten« ein neues Wirtschaftswunder gebären. Später machten die asiatischen Tigerstaaten von sich reden, und das »pazifische Jahrhundert« wurde ausgerufen. Auch Chile und Argentinien, die Musterschüler des Neoliberalismus in Lateinamerika, durften sich als Hoffnungsträger einer neuen Ära des Wachstums feiern lassen.

Von allen diesen Mythen des kapitalistischen Optimismus ist nichts als ein Häufchen Asche übrig geblieben. In Wirklichkeit hat es immer nur ein einziges ökonomisches »Wunder« gegeben, von dem alle anderen abhängig waren: nämlich den Jahrhundertboom der achtziger und vor allem der neunziger Jahre in den USA.

Dabei handelte es sich aber nicht mehr um eine herkömmliche nationalökonomische Binnenkonjunktur. Die USA bildeten nicht etwa ein wirtschaftspolitisches Vorbild, dem aufgrund seines Erfolgs alle anderen in ihren eigenen vier Wänden nacheiferten, wie es die offizielle Propaganda sehen wollte. Vielmehr entwickelte die früher wegen ihrer schieren Größe selbstgenügsame US-Ökonomie eine tatsächliche, nicht bloß ideologische Saugwirkung auf die gesamte Weltwirtschaft. Der Prozess der Globalisierung war im Wesentlichen identisch mit einer »Amerikanisierung« der globalen Geld- und Warenströme.


Nur eine Richtung

In der Vergangenheit verliefen die Konjunkturzyklen in den verschiedenen Weltregionen, vor allem in den drei großen Zentren Japan, USA und Westeuropa, asynchron. Dem Aufschwung hier stand meistens ein Abschwung dort gegenüber, sodass mit verstärkten Exporten in die jeweilige Aufschwungregion und durch die zyklische Umkehrung dieses Vorgangs ein langfristiger Ausgleich hergestellt werden konnte.

In den achtziger und noch mehr in den neunziger Jahren wurde dagegen die Weltwirtschaft konjunkturell synchronisiert, weil die so genannte Globalisierung nichts anderes war als eine zunehmende globale Ausrichtung auf die US-Ökonomie. Immer mehr Länder schickten seither immer größere Warenüberschüsse über die Exporteinbahnstraße in die USA. Von den damit erzielten Gewinnen floss ebenfalls ein immer größerer Teil als Export von Geldkapital prompt zurück in die Finanzanlagen der USA. Auch immer mehr Direktinvestitionen aus aller Welt gingen dorthin, um den scheinbar unerschöpflichen US-Markt direkt vor Ort zu bedienen.

Die betriebswirtschaftliche Ausnutzung des globalen Kostengefälles und die damit verbundene transnationale Verflechtung sind integrale Bestandteile dieser Entwicklung. Was formal als Export- und Importstrom von Waren zwischen den verschiedenen Nationalökonomien erscheint und in Wirklichkeit Ausdruck einer globalen Zerstreuung von verschiedenen Komponenten der betriebswirtschaftlichen Produktion ist, wird wesentlich durch die allgemeine einseitige Ausrichtung auf die USA vermittelt.

Ein erheblicher Teil der Exporte zwischen den verschiedenen Weltregionen, vor allem aus Europa nach Asien und umgekehrt, aber auch innerhalb Asiens und Europas selbst, wird nicht im jeweiligen Bestimmungsland verbraucht, sondern es handelt sich um Importe von Maschinen, Know-how, Vor- und Zwischenprodukten usw., deren Endzweck wiederum der Export aus dem jeweiligen Land in die USA ist. Die globale Saugwirkung der US-Ökonomie ist also viel größer, als es der direkte Anteil der US-Importe am Welthandel anzeigt. Um das wahre Ausmaß zu erkennen, muss auch der Teil des Welthandels eingerechnet werden, der indirekt durch die globale Exportflut in die USA bestimmt ist.


Die New Economy

Kein Wunder also, dass die US-Ökonomie zur Konjunkturlokomotive der Welt wurde. Das Wunder ist eher, wie sie es werden konnte. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass dieser Boom im Wesentlichen eine Finanzblasen-Konjunktur und die rapide Globalisierung dieser Ära im Wesentlichen eine Finanzblasen-Globalisierung war. Der industrielle Kapitalismus ist an innere Grenzen seiner Entwicklung gestoßen. Die neue Technologie der Mikroelektronik schafft keine zusätzlichen Arbeitsplätze und keine neue Basis für eine erweiterte reale Akkumulation des Kapitals mehr, sondern macht im Gegenteil immer mehr Arbeit überflüssig und immer mehr Produktionskapazitäten unrentabel.

Deshalb wurde zum ersten Mal in der modernen Geschichte die spekulative Blase, die aus der Erschöpfung einer alten - der fordistischen - Industrie resultierte, durch die gesellschaftliche Installation einer neuen - der mikroelektronischen - Basistechnologie nicht etwa frühzeitig mit einem Knall beendet, um zu einer neuen Ära der realen Akkumulation überzuleiten, sondern sie wurde im Gegenteil immer weiter aufgeblasen.

Es bedurfte des weltweiten Vertrauens auf die Wunderkraft der letzten Weltmacht, um diese unwahrscheinliche New Economy als glaubwürdig erscheinen zu lassen. Deshalb konnte die zentrale Blase nur in den USA entstehen, während sich in der gesamten übrigen Welt sekundäre Blasen mehr oder weniger großen Umfangs bildeten.

Neu an dieser Entwicklung war nicht die fiktive spekulative Wertschöpfung der Börsen an sich, sondern deren systematische und großräumige Rückkopplung an die reale Ökonomie. In der ganzen Welt gab es Wachstum, Investitionen, Beschäftigung und Konsum, die nicht aus realwirtschaftlichen Gewinnen und Löhnen bezahlt wurden, sondern aus der fiktiven Geldvermehrung. Der Löwenanteil entfiel natürlich auf die USA, das Zentrum des ganzen Mechanismus.

Die Logik dieses Scheinwachstums ist einfach. Es wird real gekauft, ohne dass vorher real verkauft wurde. Das Geld ist sozusagen aus der Luft gekommen, ohne Arbeit, ohne Maschinen, ohne produzierte Waren, ganz immateriell aus den Kurssteigerungen an den Börsen. Und mit diesem immateriellen Geld kauft man dann materielle Arbeit, Maschinen, Waren. Der Ausgangspunkt ist irreal, als ob man einen Wolkenkratzer bauen würde, der kein Fundament hat.

Nicht nur der Konsum und die Investitionen, sondern auch der gewaltige Militärapparat der letzten Weltmacht wurden zu einem großen Teil aus diesem globalen Kreislauf des »fiktiven Kapitals« finanziert, in dem die USA stets den Ausgangs- und Endpunkt bildeten. Die Folge waren ständige Wertsteigerungen des Dollar und ein ebenso ständig wachsendes Defizit der Handels- und Leistungsbilanz der USA.

Allen alten Ressentiments gegen die USA zum Trotz weiß die vom »fiktiven Kapital« abhängig gewordene marktwirtschaftliche Welt, was sie an ihrer letzten Weltmacht hat. Das gilt nicht zuletzt für die postmoderne Kultur, die den Finanzblasen-Kapitalismus theoretisch und künstlerisch repräsentiert, und die deshalb in den USA ihre eigentliche Heimstätte gefunden hat, obwohl sie ursprünglich eine französische Kreation war.


Allerlei Abstürze

Der postmoderne Kult von Ambivalenz, Virtualität und »immaterieller Arbeit« begann sich in den US-Imperialismus zu verlieben. Nach den islamistischen Terroranschlägen des 11. September 2001 entdeckten auch ehemalige radikale Linke ihr Herz für das Sternenbanner und für die von den USA repräsentierten »westlichen Werte«, obwohl diese längst moralisch so substanzlos sind, wie es das Finanzblasen-Kapital ökonomisch ist. Auch in seinen scheinoppositionellen Varianten ahnt das virtualisierte Bewusstsein der hektischen Warenkonsumenten, dass seine eigene Subjektform mit der Scheinökonomie der USA steht und fällt.

Eine ganze Reihe von sekundären Blasen in verschiedenen Ländern ist inzwischen geplatzt. Den Anfang machte schon vor mehr als zehn Jahren Japan; es folgten die südostasiatischen Tigerstaaten, Mexiko, Russland, die Türkei, Argentinien. Jedesmal kam es auch zu schweren Einbrüchen der realwirtschaftlichen Binnenkonjunktur, die in Japan bis heute nicht wieder auf die Beine gekommen ist.

Aber trotzdem blieb die große ökonomische Katastrophe aus, weil sich die zentrale Blase in den USA und die Sekundärblase in Europa noch weiter ausdehnen konnten. Seit dem Frühsommer des Jahres 2000 ist es mit dieser Expansion vorbei. Die Börsen der USA und der EU wurden von der größten Baisse der Nachkriegsgeschichte erfasst. Die US-Technologiebörse Nasdaq hat inzwischen über 80 Prozent eingebüßt, der globale Schlüsselindex Dow Jones ist um gut 30 Prozent eingebrochen.

Die schon länger befürchtete Kernschmelze der US-Finanzmärkte droht sich zu realisieren. Bilanzskandale und Megapleiten häufen sich, von Enron bis zur Insolvenz von WorldCom, der bislang größten in der gesamten Wirtschaftsgeschichte. Riesige fiktive Vermögenswerte werden vernichtet, der Zufluss des globalen Geldkapitals in die USA stockt, der Dollar fällt, die Finanzierung des immer noch anschwellenden Handels- und Leistungsbilanzdefizits der USA ist gefährdet.

Die entscheidende Frage ist jetzt, in welchem Ausmaß die Krise der Finanzmärkte auf die Realökonomie zurückschlägt und die Fähigkeit der USA erlischt, die »überschüssigen« Warenströme der Welt anzusaugen. Apologetische Ökonomen und Politiker behaupten, diesen Rückschlag werde es nicht geben, weil die US-Ökonomie so überaus »stark« sei.


Probleme der Infrastruktur

Das Argument ist paradox, denn wäre es so, dann könnten die USA in ihrer Außenbilanz nicht die Defizitstruktur eines peripheren Landes aufweisen. Dahinter verbirgt sich keine überlegene ökonomische Substanz, sondern eine Realökonomie, die auch sonst in vielerlei Hinsicht den Krisenregionen der Peripherie ähnelt.

Die Infrastruktur ist wie in Großbritannien großenteils veraltet und verrottet, das Straßennetz defekt, die privatisierten Verkehrsmittel sind marode. Sogar die ebenfalls privatisierte Energieversorgung ist verschuldet und arbeitet unzuverlässig, in Kalifornien wurde bekanntlich periodisch der Strom abgeschaltet. Das Ausbildungssystem ist nur in einigen teuren Eliteuniversitäten erstklassig, in der Breite dagegen ebenfalls so miserabel wie in Großbritannien.

Die angelsächsischen Länder weisen die bei weitem höchste Rate von sekundären Analphabeten in der entwickelten Welt auf. Das viel gerühmte angebliche Produktivitätswunder der USA beruht hauptsächlich auf großen Billiglohnsektoren in allen Bereichen, während der Anteil mikroelektronischer Robotisierung in der Industrie geringer ist als in Japan und in der EU.

Nur in wenigen Spitzenbereichen sind die USA führend, so in der Softwareindustrie (Microsoft) und natürlich vor allem in den High-Tech-Rüstungsschmieden; in der Breite dagegen ist das industrielle System veraltet, viele Produkte werden in den USA gar nicht mehr hergestellt. Nur wegen der realen indus-triellen Schwäche ist der Anteil des Dienstleistungssektors höher als in allen anderen Industrieländern. Wie in der so genannten Dritten Welt wird das Erscheinungsbild durch eine Masse von »Elendsunternehmern« und von unqualifizierten Dienstboten aller Art bestimmt.

Die letzte Weltmacht ist durch das monströse Missverhältnis eines überdimensionierten Wasserkopfs von High-Tech-Militärapparaten und Rüstungsindustrien auf einem unterentwickelten ökonomischen Körper gekennzeichnet, der durch den permamenten äußeren Zufluss von Geldkapital- und Warenströmen künstlich ernährt werden muss. Die überlegene Rüstung bildet letztlich keine überlegene Ökonomie, sondern einen kapitalistisch unproduktiven Kostenfaktor. Die Entzauberung der USA ist unvermeidlich, und sie scheint begonnen zu haben.

Gebremst wird der Absturz vorläufig von mehreren Faktoren, die aber allesamt nicht nachhaltig sind. So hat die Bush-Administration mehrfach Rüstungskäufe terminlich vorgezogen, vor allem im Sektor der Kraftfahrzeuge. Das verschönt die Statistik der Autoindustrie ebenso wie die hohen Rabatte und die Kundenkredite zum Nulltaruf, mit denen die großen US-Hersteller wie schon einmal Ende der achtziger Jahre ihren Absatz trotz Krise steigern.


Nichts als Schulden

Aber im Unterschied zur damaligen Situation ist heute die Obergrenze der privaten Verschuldung erreicht. Die Subventionierung des Absatzes auf Kosten der Gewinne kann nicht lange durchgehalten werden. Und auch der Rüstungsboom der »Reaganomics« ist nicht wiederholbar. Nach einer kurzen Pause während der Jahre der extremen Finanzblasen-Expansion bis 1999 ist inzwischen das Staatsdefizit auf hohem Niveau zurückgekehrt; eine weitere Expansion der Staatsverschuldung würde viel schneller an Schmerzgrenzen stoßen als in den achtziger Jahren.

Es sind weniger die Reste der Rüstungs- und der Rabattkonjunktur, die den Absturz verzögern, es ist vielmehr eine Verschiebung im Finanzkapitalismus. Gegenläufig zum Crash der Aktienmärkte hat sich in den USA eine Spekulationsblase der Immobilienwerte gebildet, die nun ebenso kräftig für den Konsum beliehen werden wie vorher die aufgeblähten Aktienwerte.

Der Vermögensverlust an den Börsen ist dadurch jedoch nicht auszugleichen; und auch die Immobilienblase wird platzen. Gegenwärtig konsumieren die an völligem Realitätsverlust leidenden 25- bis 40jährigen Start-up-Bohemiens des abgestürzten Internet-, Telekom- und Mediensektors in den USA und in der gesamten westlichen Welt weiter, als wäre nichts geschehen. Aber die »Generation Bankrott« wird ihre Kreditfähigkeit bald absolut erschöpft haben und unsanft auf dem harten Boden der Tatsachen landen.

Wenn die Konjunkturlokomotive USA stehen bleibt, bleibt die ganze Weltwirtschaft stehen. Die Entzauberung der USA verlagert das ökonomische und militärische Machtzentrum nicht an einen anderen Ort, sondern sie stürzt den Weltmarkt in eine neue Dimension der Krise, beschleunigt den globalen gesellschaftlichen Zerfall und macht die historische Obsoletheit des modernen Waren produzierenden Systems handgreiflich.



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