Ja, ich weiß, ich bin schlimm. Immer wenn die Börsen in Euphorie verfallen und die meisten Leser von mir bestätigende optimistische Worte hören wollen, fange ich an zu warnen (siehe Sommer 2007). Und wenn die Börsen im tiefsten Elend versinken, komm ich und erzähle, alles sei doch prima. Und jetzt, nach dieser fulminanten Rally gestern bei den Amis, nachdem nun die ersten Analysten etwas von „Boden“ schreiben, muss ich auch wieder ein paar warnende Hinweise geben, so bin ich einfach. Doch zuvor noch etwas zum Thema Analysten:
Am Wochenende hatte ich ein Gespräch mit einem Kollegen. Wir kamen auf die bekannte Börsenpresse und Berichterstattung zu sprechen. Ich sagte etwas wie: Ich verstehe die Redakteure in diesen Zeitungen nicht, die sind doch auch schon seit 10 oder 20 Jahren dabei. Und trotzdem schaffen sie es immer wieder, zyklisch zu berichten. Wenn die Börsen bereits massiv eingebrochen sind, kommen diese mit Horrorszenarien. Die Redakteure müssten doch auch wissen, dass diese Untergangsstimmung in den meisten Fällen am Tief auftritt. Umgekehrt, springen diese Börsenzeitschriften auf jeden Trend erst dann auf, wenn er schon sehr alt ist und wirklich jeder davon spricht. Und auch hier schaffen diese Zeitungen es sehr oft, genau dann mit einem Thema groß zu titeln, wenn die Anlageklasse kurz davor steht „unterzugehen“.
Der unter Tradern bekannteste Indikator in diesem Sinne ist der „Bild-Zeitungs-Indikator“. Wenn sogar die Redaktion dort mitbekommt, dass es an den Börsen in irgendeiner Anlageklasse Geld zu verdienen gibt, und entsprechend eine Schlagzeile mit dem Tenor „Kaufen Sie JETZT unbedingt XXXX“, auftaucht, muss man sehr vorsichtig werden – ebenso andersherum, wenn die Bildzeitung vom verkaufen redet. Das funktioniert natürlich umso besser, weil die „Bildzeitung“ keine Börsenzeitung ist und die Redaktion ein solches Thema nur dann aufgreift, wenn es bereits in aller Munde ist. Dort werden also nur die ganz großen Trendwenden markiert. Aber in den anderen Blättern wird nahezu jedes Konsolidierungstief und markante Markthoch mit den entsprechenden Headlines gesäumt, welche die Anleger in die falsche Richtung treiben.
Fear Sells
Mein Kollege sagte dann dazu: "Ich glaube gar nicht, dass die Redaktionen so dumm sind und nicht lernen, die können wahrscheinlich nicht anders". Und genau das ist es. Ich habe hier im Investor’s Daily schon oft geschrieben: „Fear sells“ - Angst verkauft sich. Ein Spruch, der besonders an den Börsen gilt. Natürlich, wenn ein fett investierter Anleger, der sowieso schon ein sehr mulmiges Gefühl in der Magengegend hat, an einem Kiosk vorbeiläuft, vielleicht nicht einmal mit der Absicht eine Zeitung zu kaufen, und dort zufällig eine Headline liest: „Notenbankchef aus XX sagt: Weltweite Rezession erwartet!“ Untertitel: Verkaufen Sie sofort alle Aktien!“, glauben Sie, dass dieser an der Zeitung vorbeigehen kann, ohne sie zu kaufen? Wahrscheinlich nicht.
Es geht um Quote
Dieses Wissen ist es wohl, was diverse Redaktionen dazu bringt, derartige Titel zu erfinden und sich in solchen Situationen gegenseitig mit Horrormeldungen zu übertreffen. Sie brauchen einfach gute Verkaufsquoten. Quote ist letzten Endes alles...
Also, Sie sollten sich immer auch fragen: Wer hat welche Motivation, welche Nachrichten besonders hervorzuheben. In den meisten Fällen sind die Motive vergleichsweise simpel und wesentlich weniger verschwörerisch, als viele denken...
Nun zu der Warnung
Nachdem am Montag bekannt geworden ist, dass J.P. Morgan mittlerweile 40 % der Aktien an Bear Steans erworben hat und das Angebot auf ca. 10 € je Aktie erhöhte, starten die Märkte in den USA eine Rallye. Allein die Aktien von Bear Stearns stiegen nach dieser Nachricht um über 100 %. Man hörte aus den USA sogar Stimmen, die von einem Ende der Kreditmarktkrise ausgehen.
Für weiteren Aufwind sorgte die Nachricht, dass die Häuserverkäufe um 2,9 % angestiegen sind. Analysten werteten das als möglichen Lichtblick.
Ich glaube, dass wir am Montag lediglich eine Nachwirkung des Verfalltages gesehen haben. Ich denke, einige haben Ihre Absicherungspositionen verkauft. Aber gut, das sei einmal dahingestellt. Wichtiger werden auf jeden Fall die nächsten Tage.
Inverse SKS im Dax?
Gehen wir einmal theoretisch davon aus, dass wir in dieser Woche steigende Kurse erleben und dass sich tatsächlich eine Boden entwickelt
Wenn sich dieser bildet steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Mai / Juni noch einen scharfen Einbruch erleben, der die Kurse wieder auf das aktuelle Niveau treiben wird. dazu folgender Chart:
Wenn der Dax nun in Richtung 7050 -7100 Punkte läuft, kann es gut sein, dass er sich mit dieser Marke schwer tun wird. In diesem Fall könnte es zu einer Umkehrformation in Form einer inversen SKS kommen (so wie im Chart eingezeichnet).
Eine solche inverse SKS stellt eine Art Umkehrformation dar, die tatsächlich dafür sprechen würde, dass die Kreditmarktkrise vorbei ist und dass wir eine Wahlrallye in den USA erleben werden, die mindestens bis Ende 2008 laufen wird.
Einbruch im Juni?
Auf der anderen Seite müssen wir, wie Sie im Chart erkennen können, in diesem Fall damit rechnen, dass die Kurse in der rechten Schulter auch noch einmal, um den Juni herum, massiv wegbrechen werden. Auslöser für diesen Einbruch können eine Nachricht, eine weitere Bankpleite o.ä. sein...
Sie wissen, wenn Sie den Investor’s Daily schon lange lesen, dass Charts einen seltsamen Hang zu Symmetrie haben und dass sich diese oft schon vorher abzeichnet. Hier in diesem Fall fällt insbesondere die für eine inverse SKS so typische Umsatzentwicklung auf. Jeweils an den entscheidenden Tiefs kommt es zu großen Umsatzspitzen. Das ist insoweit erst einmal typisch für Bodenformationen.
Also, wenn der Dax sich ähnlich der gestrichelten Linie entwickelt, müssen wir im Juni noch einmal sehr, sehr vorsichtig werden. Insbesondere, wenn das heutige Aufwärtsgap (hier durch das grüne Rechteck gekennzeichnet) nicht noch geschlossen wird. Wenn es zu diesem Einbruch kommen sollte, wird die Untergangsstimmung wahrscheinlich einen neuen Höhepunkt erleben! Alle Anleger, die gerade mit neuer Hoffnung eingestiegen sind, würden mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Markt gespült. Wenn im Anschluss daran die Börsen die Rallye starten, werden wahrscheinlich viele Anleger nicht mehr den Mut haben, noch einmal einzusteigen und die Börse hätte einmal mehr gezeigt, dass sie am liebsten den Weg des allergrößten Schmerzes geht.
Das andere Szenario
Sollten jedoch die Kurse auf dem Weg zur 7000er Marke bereits anfangen zu schwächeln, sollten sich also keine neuen "höheren Hochs" ausbilden, würde ich mir langsam anfangen, Sorgen zu machen. Zum einen, weil dann die Chance auf einen Boden im Umfeld zum Verfallstag nicht genutzt wurde, zum anderen, weil die Bullen in diesem Fall einfach immer noch nicht die Kraft haben, neue höhere Hochs auszubilden.
Bricht jedoch die 7000-7100 Punkte Marke im Dax nachhaltig, besteht berechtigter Grund zum Optimismus. Bei einem neuen Allzeithoch wird es dann sehr bullish.
Also bleiben Sie vorsichtig, aber optimistisch, zumindest bis das Gegenteil bewiesen ist. Ich halte Sie wie immer auf dem Laufenden.
Viele Grüße
Jochen Steffens