Hongkong
Das Ende der Freiheit
Von Stefan Simons, Hongkong
Die "South China Morning Post" entlässt ihren Peking-Bürochef, Politaktivisten kommen wegen "illegalen Protests" vor Gericht, einem Menschenrechtler wird die Einreise verweigert. Macht Peking kritische Stimmen in der früheren britischen Kronkolonie mundtot oder werden in der "Sonderverwaltungszone" Selbstzensur und vorauseilender Gehorsam zur Regel?
Der Chinese, der vor vier Wochen mit einem US-Pass durch die Grenzkontrolle auf dem Hongkonger Flughafen wollte, hatte Pech. Harry Wu, amerikanischer Menschenrechtler, stand auf der schwarzen Liste der Behörden. "Aus Gründen der Sicherheit" dürfe er nicht einreisen, erklärten ihm höflich, aber bestimmt die schwarz uniformierten Beamten.
Die Begründung war mehr als durchsichtig: Denn Wu, erklärter Gegner des chinesischen Regimes, hatte vor Jahren die unerträglichen Zustände des chinesischen Gulag entlarvt. 19 Jahre lang saß er selbst in den Arbeitslagern, bevor er Ende der siebziger Jahre ins US-Exil gehen durfte. Getarnt als Geschäftsmann konnte er Anfang der Neunziger mit verdeckter Kamera die brutale Ausbeutung und Unterdrückung in Arbeitslagern und Gefängnissen der Volksrepublik filmen.
Die aufrüttelnden Dokumente fanden ein weltweites Echo und trugen dem Menschenrechtler den erbitterten Zorn der Pekinger Führung ein. Die späte Folge: Auch in Hongkong, wo Wu ein Büro seiner Organisation gründen wollte, ist der US-Bürger jetzt geächtet.
Ein Einzelfall? Ein peinlicher Fehltritt der Sicherheitsbehörden? Oder versucht die Volksrepublik, die im Inland keine politische Opposition duldet, nun auch in Hongkong Kritiker und Dissidenten mundtot zu machen?
"Das hat Peking gar nicht nötig", sagt Willy Wo-Lap Lam, China-Spezialist im Hongkonger Büro des US-Nachrichtensenders CNN. Die Administration des Hongkonger Regierungschefs Tang Chee-hwa sorge selbst für diskreten Druck, meint Lam. Er macht vor allem die dramatisch wachsende Abhängigkeit der Hongkonger Tycoons von Chinas Boom-Wirtschaft verantwortlich. "Die Interessen von Hongkongs mächtigen Kapitalisten decken sich mit den Zielen der KP-Führung."
Zwar garantiert Pekings in der auf 50 Jahre begrenzte Mini-Verfassung (Motto: "Ein Land, zwei Systeme") Presse- und Meinungsfreiheit, doch seit Hongkong 1997 als "Sonderverwaltungszone" ins sozialistische Mutterland heimgeholt wurde, gibt es, so Lam, "im Rechtssystem eine langsame, aber schrittweise Erosion". Der Spielraum wird enger - mal trifft es Akademiker, mal Studentenführer, mal Journalisten.
So ließ Tang, der unbeliebte "Chief-Executive", einen angesehenen Hochschullehrer unter Druck setzen, weil dessen Umfragen seine sinkende Popularität belegten. Als Taiwans Vizepräsidentin Annette Lu im Interview mit dem regierungseigenen Radiosender RTHK erklärte, die Insel sei ein "unabhängiger und souveräner Staat", wurde die Programmchefin prompt versetzt.
Mit solchen "separatistischen Statements" dürften Taiwans Repräsentanten - in den Augen Pekings nicht mehr als Vertreter einer abtrünnigen Provinz - nicht zur Sprache kommen, rügte ein Pekinger Propaganda-Funktionär und verlangte: "Hongkongs Medien haben die Verantwortung, die Integrität und Souveränität der Nation zu erhalten."
Solch plumpe Einmischung ist bislang die Ausnahme. Bedenklich ist jedoch, dass auch Statthalter Tang gebetsmühlenartig die Slogans Pekings wiederholt, Hongkong dürfe nicht zur "Basis für subversive Aktivitäten" werden.
Was der Chef der Exekutive darunter versteht, ist mehr als nebulös. Der Artikel 23 des Hongkonger Grundgesetzes, jener demokratischen Mini-Verfassung, auf die sich Peking und London vor der Rückgabe der ehemaligen britischen Kronkolonie verständigten, umreißt nur unscharf, was "Subversion" eigentlich bedeutet.
So könnte ein neues "Anti-Subversionsgesetz", das voraussichtlich noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht wird, entweder gewalttätige Ausschreitungen betreffen oder Kritik an der Kommunistischen Partei Chinas, Sympathiebekundungen für die Unabhängigkeit Taiwans, Tibets oder gar das friedfertige Meditieren der in China verbotenen Falun-Gong-Sekte.
Schon jetzt sinkt die politische Toleranz: Vergangene Woche wurden drei Studentenführer festgenommen und angeklagt, weil sie sich für einen eingesperrten Sozialarbeiter eingesetzt hatten. Bei der illegalen, weil unangemeldeten Kundgebung Anfang Februar waren die Politaktivisten mit rund 30 Demonstranten aufgetreten.
Es ist das erste Mal seit der Übernahme der Kronkolonie 1997, dass ein Gericht wegen einer öffentlichen Kundgebung tätig wird; Dutzende von anderen ungenehmigten Protestversammlungen blieben bislang für die Organisatoren folgenlos. Doch das Trio, gegen das die Verhandlungen voraussichtlich im August beginnen, zählt zur Gruppe renitenter Gegner des Pekinger Regimes und wurde, so glauben Vertreter der Demokratiebewegung in Hongkong, nur deshalb zum Ziel juristischer Nachstellungen.
"Der Spielraum wird enger", meint der Hongkonger Gewerkschafter Vincent Sung und sieht beunruhigende Anzeichen einer heimlichen Gleichschaltung in der Justiz und in den Medien - nicht durch Kommandos aus Chinas Parteizentrale, sondern durch "lokale Selbstzensur".
"Propagandistische Sprachregelungen schleichen sich ein", berichtet der Vertreter des unabhängigen Gewerkschaftsverbandes HKCTU. "Da wird beispielsweise Taiwan oft nur noch als 'Region' bezeichnet und seine demokratisch gewählten Vertreter werden als 'Machthaber' verunglimpft. All das gehört zum neuen, patriotische Tonfall."
Auch die Entlassung des Pekinger Korrespondenten der englischsprachigen "South China Morning Post" sei, so meint Sung, ein Beispiel vorauseilenden Kadergehorsams: Jasper Becker, der schon als Journalist des Londoner "Guardian" die dunklen Seiten der kommunistischen Herrschaft beschrieben hat - Hungersnöte, Korruption, Unterdrückung - war wegen seiner profunden Kenntnisse zur "South China Morning Post" geholt worden.
Seit das einst renommierte Blatt von dem malaysischen Wirtschaftstycoon Robert Kuok übernommen wurde, wechselte die Zeitung den Kurs. Kritische Kollegen wurden entlassen, selbst der Karikaturist der "Post" musste gehen.
Beckers Arbeitgeber wirft ihm vor, er habe sich nicht mehr in die Redaktionsarbeit eingefügt und sei deshalb gefeuert worden - eine Anschuldigung, die der langjährige Peking-Korrespondent zurückweist. Umgekehrt werde ein Schuh daraus, erklärt Becker: Die Redaktion habe nicht mehr genügend mit ihrem Pekinger Büro kooperiert: Viele heikle Themen seien plötzlich tabu gewesen, kritische Artikel abgeschwächt worden.
Der Streit um die Entlassung des anerkannten Chinaexperten und Buchautoren ("The Chinese") schlägt weiter Wellen - bis in die Leserbriefspalten der lokalen Konkurrenz. "Zweifellos ist es mit der 'South China Morning Post' in den letzten Jahren bergab gegangen", rügte ein Hongkonger letzte Woche, "aber das ist noch kein Symptom für den Niedergang der Pressefreiheit."
Richtig ist: Unter den chinesischsprachigen Blättern der "Sonderverwaltungsregion" gibt es immer noch unabhängige Stimmen wie "Apple Daily", die mit ihrer massiven Kritik weder vor Hongkongs oberstem Führer Tang noch vor Pekings Regime Halt machen - allerdings mit den entsprechenden Folgen: Journalisten der Tageszeitung "Apple Daily" dürfen zuweilen nicht in die Volksrepublik einreisen.
Allmählich sorgen sich selbst Finanzagenturen und Unternehmensberater um den Ruf Hongkongs als einer vor politischen Übergriffen geschützten Enklave mit einem unabhängigen Rechtssystem: "Wenn die Freiheiten des Territoriums in Gefahr sind", kommentierte die Asien-Ausgabe des "Wall Street Journal" nach dem Einreiseverbot für Harry Wu, "dann müssen wir - die Journalisten und die Geschäftsleute, über die wir schreiben - uns fragen, ob Hongkong langfristig ein sinnvoller Standort in Asien bleibt."
Das Ende der Freiheit
Von Stefan Simons, Hongkong
Die "South China Morning Post" entlässt ihren Peking-Bürochef, Politaktivisten kommen wegen "illegalen Protests" vor Gericht, einem Menschenrechtler wird die Einreise verweigert. Macht Peking kritische Stimmen in der früheren britischen Kronkolonie mundtot oder werden in der "Sonderverwaltungszone" Selbstzensur und vorauseilender Gehorsam zur Regel?
Der Chinese, der vor vier Wochen mit einem US-Pass durch die Grenzkontrolle auf dem Hongkonger Flughafen wollte, hatte Pech. Harry Wu, amerikanischer Menschenrechtler, stand auf der schwarzen Liste der Behörden. "Aus Gründen der Sicherheit" dürfe er nicht einreisen, erklärten ihm höflich, aber bestimmt die schwarz uniformierten Beamten.
Die Begründung war mehr als durchsichtig: Denn Wu, erklärter Gegner des chinesischen Regimes, hatte vor Jahren die unerträglichen Zustände des chinesischen Gulag entlarvt. 19 Jahre lang saß er selbst in den Arbeitslagern, bevor er Ende der siebziger Jahre ins US-Exil gehen durfte. Getarnt als Geschäftsmann konnte er Anfang der Neunziger mit verdeckter Kamera die brutale Ausbeutung und Unterdrückung in Arbeitslagern und Gefängnissen der Volksrepublik filmen.
Die aufrüttelnden Dokumente fanden ein weltweites Echo und trugen dem Menschenrechtler den erbitterten Zorn der Pekinger Führung ein. Die späte Folge: Auch in Hongkong, wo Wu ein Büro seiner Organisation gründen wollte, ist der US-Bürger jetzt geächtet.
Ein Einzelfall? Ein peinlicher Fehltritt der Sicherheitsbehörden? Oder versucht die Volksrepublik, die im Inland keine politische Opposition duldet, nun auch in Hongkong Kritiker und Dissidenten mundtot zu machen?
"Das hat Peking gar nicht nötig", sagt Willy Wo-Lap Lam, China-Spezialist im Hongkonger Büro des US-Nachrichtensenders CNN. Die Administration des Hongkonger Regierungschefs Tang Chee-hwa sorge selbst für diskreten Druck, meint Lam. Er macht vor allem die dramatisch wachsende Abhängigkeit der Hongkonger Tycoons von Chinas Boom-Wirtschaft verantwortlich. "Die Interessen von Hongkongs mächtigen Kapitalisten decken sich mit den Zielen der KP-Führung."
Zwar garantiert Pekings in der auf 50 Jahre begrenzte Mini-Verfassung (Motto: "Ein Land, zwei Systeme") Presse- und Meinungsfreiheit, doch seit Hongkong 1997 als "Sonderverwaltungszone" ins sozialistische Mutterland heimgeholt wurde, gibt es, so Lam, "im Rechtssystem eine langsame, aber schrittweise Erosion". Der Spielraum wird enger - mal trifft es Akademiker, mal Studentenführer, mal Journalisten.
So ließ Tang, der unbeliebte "Chief-Executive", einen angesehenen Hochschullehrer unter Druck setzen, weil dessen Umfragen seine sinkende Popularität belegten. Als Taiwans Vizepräsidentin Annette Lu im Interview mit dem regierungseigenen Radiosender RTHK erklärte, die Insel sei ein "unabhängiger und souveräner Staat", wurde die Programmchefin prompt versetzt.
Mit solchen "separatistischen Statements" dürften Taiwans Repräsentanten - in den Augen Pekings nicht mehr als Vertreter einer abtrünnigen Provinz - nicht zur Sprache kommen, rügte ein Pekinger Propaganda-Funktionär und verlangte: "Hongkongs Medien haben die Verantwortung, die Integrität und Souveränität der Nation zu erhalten."
Solch plumpe Einmischung ist bislang die Ausnahme. Bedenklich ist jedoch, dass auch Statthalter Tang gebetsmühlenartig die Slogans Pekings wiederholt, Hongkong dürfe nicht zur "Basis für subversive Aktivitäten" werden.
Was der Chef der Exekutive darunter versteht, ist mehr als nebulös. Der Artikel 23 des Hongkonger Grundgesetzes, jener demokratischen Mini-Verfassung, auf die sich Peking und London vor der Rückgabe der ehemaligen britischen Kronkolonie verständigten, umreißt nur unscharf, was "Subversion" eigentlich bedeutet.
So könnte ein neues "Anti-Subversionsgesetz", das voraussichtlich noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht wird, entweder gewalttätige Ausschreitungen betreffen oder Kritik an der Kommunistischen Partei Chinas, Sympathiebekundungen für die Unabhängigkeit Taiwans, Tibets oder gar das friedfertige Meditieren der in China verbotenen Falun-Gong-Sekte.
Schon jetzt sinkt die politische Toleranz: Vergangene Woche wurden drei Studentenführer festgenommen und angeklagt, weil sie sich für einen eingesperrten Sozialarbeiter eingesetzt hatten. Bei der illegalen, weil unangemeldeten Kundgebung Anfang Februar waren die Politaktivisten mit rund 30 Demonstranten aufgetreten.
Es ist das erste Mal seit der Übernahme der Kronkolonie 1997, dass ein Gericht wegen einer öffentlichen Kundgebung tätig wird; Dutzende von anderen ungenehmigten Protestversammlungen blieben bislang für die Organisatoren folgenlos. Doch das Trio, gegen das die Verhandlungen voraussichtlich im August beginnen, zählt zur Gruppe renitenter Gegner des Pekinger Regimes und wurde, so glauben Vertreter der Demokratiebewegung in Hongkong, nur deshalb zum Ziel juristischer Nachstellungen.
"Der Spielraum wird enger", meint der Hongkonger Gewerkschafter Vincent Sung und sieht beunruhigende Anzeichen einer heimlichen Gleichschaltung in der Justiz und in den Medien - nicht durch Kommandos aus Chinas Parteizentrale, sondern durch "lokale Selbstzensur".
"Propagandistische Sprachregelungen schleichen sich ein", berichtet der Vertreter des unabhängigen Gewerkschaftsverbandes HKCTU. "Da wird beispielsweise Taiwan oft nur noch als 'Region' bezeichnet und seine demokratisch gewählten Vertreter werden als 'Machthaber' verunglimpft. All das gehört zum neuen, patriotische Tonfall."
Auch die Entlassung des Pekinger Korrespondenten der englischsprachigen "South China Morning Post" sei, so meint Sung, ein Beispiel vorauseilenden Kadergehorsams: Jasper Becker, der schon als Journalist des Londoner "Guardian" die dunklen Seiten der kommunistischen Herrschaft beschrieben hat - Hungersnöte, Korruption, Unterdrückung - war wegen seiner profunden Kenntnisse zur "South China Morning Post" geholt worden.
Seit das einst renommierte Blatt von dem malaysischen Wirtschaftstycoon Robert Kuok übernommen wurde, wechselte die Zeitung den Kurs. Kritische Kollegen wurden entlassen, selbst der Karikaturist der "Post" musste gehen.
Beckers Arbeitgeber wirft ihm vor, er habe sich nicht mehr in die Redaktionsarbeit eingefügt und sei deshalb gefeuert worden - eine Anschuldigung, die der langjährige Peking-Korrespondent zurückweist. Umgekehrt werde ein Schuh daraus, erklärt Becker: Die Redaktion habe nicht mehr genügend mit ihrem Pekinger Büro kooperiert: Viele heikle Themen seien plötzlich tabu gewesen, kritische Artikel abgeschwächt worden.
Der Streit um die Entlassung des anerkannten Chinaexperten und Buchautoren ("The Chinese") schlägt weiter Wellen - bis in die Leserbriefspalten der lokalen Konkurrenz. "Zweifellos ist es mit der 'South China Morning Post' in den letzten Jahren bergab gegangen", rügte ein Hongkonger letzte Woche, "aber das ist noch kein Symptom für den Niedergang der Pressefreiheit."
Richtig ist: Unter den chinesischsprachigen Blättern der "Sonderverwaltungsregion" gibt es immer noch unabhängige Stimmen wie "Apple Daily", die mit ihrer massiven Kritik weder vor Hongkongs oberstem Führer Tang noch vor Pekings Regime Halt machen - allerdings mit den entsprechenden Folgen: Journalisten der Tageszeitung "Apple Daily" dürfen zuweilen nicht in die Volksrepublik einreisen.
Allmählich sorgen sich selbst Finanzagenturen und Unternehmensberater um den Ruf Hongkongs als einer vor politischen Übergriffen geschützten Enklave mit einem unabhängigen Rechtssystem: "Wenn die Freiheiten des Territoriums in Gefahr sind", kommentierte die Asien-Ausgabe des "Wall Street Journal" nach dem Einreiseverbot für Harry Wu, "dann müssen wir - die Journalisten und die Geschäftsleute, über die wir schreiben - uns fragen, ob Hongkong langfristig ein sinnvoller Standort in Asien bleibt."