Nanotechnologie: Warten auf den Boom
Von Tillmann Prüfer, Hamburg
Die Nanotechnologie gilt als eine der Schlüsselindustrien des 21. Jahrhunderts. Sie soll alles umwälzen. Doch nach Firmen in dieser Zukunftsbranche muss man mit der Lupe suchen.
Zunächst ist es kaum sichtbar. Aber es wächst stetig: ein Stecknadelkopf, ein Fünfmarkstück, und bald schon ist klar, dass es nicht aufhören wird, sich zu vermehren, dass es sich von niemandem aufhalten lässt. "Gray Goo" ("Graue Schmiere") heißt die Substanz, die aus winzigen Robotern besteht. Diese Maschinchen beschäftigen sich mit nichts anderem, als Moleküle auseinander zu schneiden und zu neuen Robotern zusammenzubauen.
Was dieser Killerbrei so alles anrichten kann, wenn er will, beschreibt der Populärwissenschaftler Eric Drexler in seinem Buch "Engines of Creation": "Nano-Assembler", wenige millionstel Millimeter große Maschinen, können jedes Material aus einzelnen Atomen zusammenlöten, sich überdies selbst reproduzieren oder - falls schlecht gelaunt - die Welt in Assembler-Gelee verwandeln.
James von Ehr, Chef des kleinen US-Unternehmens Zyvex, will genau solch einen Assembler entwickeln: "Was wir verwirklichen wollen, ist jenseits der Wissensgrenze", prahlt er: "Es erscheint mir unvermeidlich, dass jemand dort in 50 Jahren sein wird. Ich glaube, wenn man es richtig vorantreibt, können wir schon in zehn Jahren so weit sein."
Visionäre der Nano-Ära
Die Visionäre der Nano-Ära sehen die Weltwirtschaft bereits vor einer neuen industriellen Revolution. Auch an der Börse harrt so mancher Investor des großen Geschäfts: "Biotechnologie-Werte werden schon nächstes Jahr uninteressant, der nächste Boom sind die Nanotechnologie-Werte", glaubt Vermögensverwalter Manfred Dobler.
Doch so schnell wird die schöne neue Nano-Welt die Industrie nicht umkrempeln. Noch sind Killer-Gelees Science-Fiction. Noch ist ein Börsengang von Assembler-Pionier Zyvex genauso wenig in Sicht wie dessen Supermaschine. Seit drei Jahren ist die Firma voll damit ausgelastet, die Labors und die Mannschaft aufzubauen.
Mehr als vage Schätzungen zum Nano-Potenzial gibt es bislang nicht. In einer VDI-Studie von 1998 wurde für 2001 ein Weltmarkt von 105 Mrd. DM ausgemacht. Eine amerikanische Studie der National Science Foundation aus diesem Jahr prognostiziert ein langfristiges Umsatzvolumen von 700 bis 800 Mrd. $.
Ob und wann sich das an der Börse bemerkbar machen wird, ist ungewiss: "Wir gehen eher von einer langsamen Durchsetzung der Wirtschaft aus", sagt Bendix Todsen, Nanotech-Experte von der Deutschen Venture Capital Gesellschaft.
Querschnittswissenschaft
Nanotechnologie ist eine Querschnittswissenschaft, die alles beinhaltet, was zwischen einem und 100 Nanometern groß ist. Egal ob Teilchen, Laser oder Löcher. In vielen Produktionsprozesse, ob von Haushaltsgeräten oder Speicherchips, werden Nano-Komponenten eingreifen. Komplexe Endprodukte im Nanoformat werden hingegen die Ausnahme bleiben.
Wer sein Ersparnisse an der Börse dennoch auf den Nanotech-Boom verwetten will, der hat ein Problem: Während unzählige Biotech-Unternehmen den Neuen Markt und die Nasdaq bevölkern, genügt eine Hand, um die Nano-Firmen zu zählen.
An der US-Technologiebörse ist Nanophase notiert, der Neue Markt bietet Lambda Physik auf, mit gutem Willen lässt sich die SDax-Firma Masterflex hinzuzählen. Auch Konzerne wie IBM, Intel, Lucent oder die gute alte Degussa treiben Nanotech-Projekte voran. An Maschinen, die kranke Körper reparieren oder gesunde in graue Schmiere verwandeln, arbeitet allerdings keines dieser Unternehmen.
Insgesamt werkeln in Deutschland rund 30 Firmen an Nanostrukturen. Viele davon beschäftigen nur wenige Mitarbeiter, haben kein professionelles Management und kein Produkt. Sie sind zumeist Ausgründungen von universitären Projekten, forschen an winzigen Getrieben und neuen Datenspeicherverfahren.
Erste Börsengänge frühestens in drei Jahren
Mit ersten Börsengängen rechnen Experten hier zu Lande frühestens in drei Jahren. "Für die Venture-Capital-Gesellschaften ist jetzt die Zeit, sich umzusehen", sagt Christian Claussen von der Münchner Techno-Venture-Management. "Dabei wird man sehr selektiv vorgehen."
"Die meisten Nanotech-Unternehmen sind noch mit Grundlagenforschung befasst," gibt auch Ulrich Eilers von der Investment-Gesellschaft 3i zu bedenken: "Die Risiko-Kapitalisten wollen aber in absehbarer Zeit Produkte sehen, damit sie sich ausmalen können, wie die Firmen Werte schaffen." Etliche Produkte mit Nanotech-Komponenten sind bereits auf dem Markt. Allerdings wären sie Visionär Drexler vermutlich kaum in den Sinn gekommen.
Selbst reinigende Keramik-Beschichtungen für Easy-to-clean-Toiletten, wie sie die Saarbrücker Firma Nanogate herstellt, sind so ein Produkt. Das Startup ist mit einem Umsatz von 5 Mio. DM (2000) das Vorzeige-Nano-Investment von 3i. Sprich: eines der wenigen Nanotech-Engagements in Deutschland überhaupt. Wenn alles gut geht, darf Nanogate in einigen Jahren an die Börse.
Nanogate macht sich Erkenntnisse aus der Materialwissenschaft zunutze - und zeigt, dass schon einfache Effekte Marktpotenzial haben: Mit der Größe wandelt der Partikel eines Werkstoffs auch seine chemischen Eigenschaften. Etwa dadurch, dass die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen stetig zunimmt und sich so die Bindungseigenschaften der Atome zueinander verändern.
Biegsame Keramik
Beispielsweise lässt sich der Schmelz- und Verdampfungspunkt von Aluminium so verändern, dass es mit anderen Metallen leichter legiert werden kann. "Damit werden völlig neue Verbindungen möglich", schwärmt Gerd Bachmeier vom Verein Deutscher Ingenieure: "Eines Tages könnte man sogar biegsame Keramik herstellen." Oder superleichte Kampfflugzeuge, wie Experten in einer VDI-Studie anmerken.
Die Kölner Firma Sunyx Surface Nanotechnologies arbeitet an selbst reinigenden Fensterscheiben. Durch Nanostrukturen auf der Oberfläche wird die Auflagefläche etwa eines Regentropfens von 40 Prozent auf 0,6 Prozent verringert. Nach Einschätzung von Harald Fuchs, Physikprofessor an der Uni Münster, werden schon bald attraktive Produkte auf dem Markt sein; "Man kann einiges sparen, wenn man keine Fenster mehr putzen muss".
Auch die Medizin bietet zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten. Schon ist Sonnencreme weit verbreitet, bei der Titandioxid-Nanopartikel UV-Strahlung absorbieren. Die Berliner Klinik Charité testet derzeit eine Hyperthermie-Therapie. Dabei werden metallische Partikel in Krebstumore gespritzt und anschließend durch Magnetfelder erhitzt, um die bösartigen Zellen zu zerstören. Eine Neuentdeckung sind solche Nanopartikel nicht. Das Patent für das Sol-Gel-Verfahren, mit dem Nanogate seine Pulver herstellt, stammt aus den 30er Jahren.
Erfolgschancen kaum absehbar
Von den Partikeln bis zu Nanorobotern ist es ein weiter Weg. Ein wenige Nanometer großen Brocken lässt sich weitaus einfacher herstellen als eine ebenso große Maschine. "Damit ist erst in 10 bis 15 Jahren zu rechnen", sagt Christine Ziegler. Sie forscht an der Uni Kaiserslautern an einem mobilen Nanomotor, der einmal Medikamente durch den Körper transportieren soll. Ein Startup, das dieses Prinzip vermarkten könnte, ist schon gegründet.
Doch die Erfolgschancen solcher Unternehmen sind noch schwerer abzusehen als die von Gen-Startups. Junge Biotech-Gründer holen sich meist Geld von der Börse, um ihre Produktideen zu verwirklichen. Dagegen sind in der Nano-Robotik die Forschungsaufwendungen so hoch, dass sie nicht über Börsengänge zu finanzieren sind. "Da kommen sie mit 50 Mio. DM nicht weit", sagt Helmut Schmidt vom Saarbrücker Nanotechnologie-Institut für Neue Materialien: "Da brauchen sie Milliarden-Investments. Im Wesentlichen werden einige Großkonzerne diese Dinge umsetzen." Kleine Unternehmen sieht er eher in der Rolle von Zulieferern.
Eine Nische, die schnell eng werden könnte. "In der Nanotechnologie wird mit kleinen Mengen gearbeitet", erklärt Forscherin Ziegler: "Um einen Krebstumor zu bekämpfen, braucht man nicht viele Partikel, man wird sie kaum tonnenweise absetzen können."
Der Saarbrücker Nano-Forscher Uwe Hartmann sieht dennoch Chancen für junge Unternehmen: "Wir sind derzeit in einem so frühen Stadium, dass schon kleine Startups viel bewegen können."
Keinen Forschungsrückstand
Anders als in der Mikroelektronik und der Biotechnologie haben die Deutschen zumindest keinen Forschungsrückstand auf die Amerikaner. In den USA wurde die Nanotechnologie erst zu Beginn des Jahrtausends zur Kernwissenschaft ausgerufen. In Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt bereits eine Reihe von Kompetenz-Zentren. Der erste Nanomotor drehte sich an der Universität Osnabrück.
"Die Nanotechnologie wird unsere industrielle Gesellschaft von Grund auf umkrempeln", prophezeit Hartmann. "Man wird kleine Strukturen nicht mehr aus größeren herausstanzen, -ätzen oder -fräsen, sondern aus einzelnen Atomen aufbauen - ohne Abfall."
Möglicherweise wird es dann Nanomaschinen geben, die alles, was sie zu fassen bekommen, zu Nanomaschinen umbauen und die ganze Welt in einem grauen Schleimball verwandeln können. "Es gibt kein Naturgesetz, was dagegen spricht, wahrscheinlich wird das einmal möglich sein", glaubt Hartmann. "Aber erst in 50 Jahren."
© 2001 Financial Times Deutschland