PORTRÄT: Qiagen-Chef Metin Colpan

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PORTRÄT: Qiagen-Chef Metin Colpan

 
#1
Metin Colpan - Mit fester Hand führt der gebürtige Tatar die Qiagen AG durch alle Krisen. Seine Stetigkeit macht ihn zur Leitfigur der deutschen Biotech-Branche.

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Wenn Metin Colpan in der Qiagen-Zentrale einen Raum betritt, verdichtet sich gleichsam die Atmosphäre.

Das liegt zum einen an den kleinen Butzen des betongrauen Verwaltungsgebäudes in der rheinischen Kleinstadt Hilden. Selbst der Konferenzraum der Vorstandsetage ist kaum geräumiger als das Elternsprechzimmer einer Realschule.

Und das liegt zum anderen an Metin Colpan selbst. Der Mann, Mitgründer der Qiagen AG und heute ihr Vorstandsvorsitzender, wiegt rund 100 Kilo, die sich auf 1,90 Meter Länge verteilen.

Und schließlich beruht der Effekt auch auf der persönlichen Ausstrahlung des gebürtigen Tataren: Der wirkt kompakt - trotz seines Volumens. Und trotz seiner Hemdsärmeligkeit ein wenig rätselhaft, bedeutungsschwer und gehaltvoll.

Mit seinen 46 Jahren ist Metin Colpan schon die graue Eminenz der jungen deutschen Biotech-Szene. Er ist Mr. Qiagen, verkörpert mit all seiner Masse das größte deutsche Unternehmen dieser Zukunftsbranche, den (nach T-Online) zweitgrößten Wert im Nemax.

Einer, der weniger Bodenhaftung mitbringt, wäre fortgerissen worden von dem Orkan, der seit zwei Jahren über das Börsensegment hinwegfegt. Nicht so Metin Colpan. Sein Kurshalten bei Qiagen gibt dem gesamten Geschäftszweig Beständigkeit.

Während Wagniskapitalgeber und Analysten immer neue Techno-Trends verkünden, die wundersamen Namen wie Zauberformeln gegen die Depression aussprechen ("Metabolomik!", "Cellomik!"), verfolgt Qiagen das grundsolide Geschäftsmodell eines Ausrüsters. Die Firma fertigt Laborsets, die Werkzeuge für den Biotech-Boom.


   
Unternehmen

Der Name Qiagen ist eine Erfindung von Marketingstrategen. Ursprünglich sollte die Firma Diagen heißen. Doch der Begriff war rechtlich geschützt.

Der Geschäftssitz ist im niederländischen Venlo angesiedelt - steuergünstig. Die Qiagen-Zentrale steht im rheinischen Hilden.

Die Produkte sind fertige Laborsets für DNA-Analysen. Rund 1500 Mitarbeiter erwirtschaften etwa 250 Millionen Euro Umsatz.

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Von Metin Colpan lernen heißt in diesen Tagen: lernen, die Ruhe zu bewahren. Eine Ruhe, die aus den Weiten seiner östlich-entlegenen Heimat herüberzuwehen scheint.

Wie behält ein Unternehmer, der seit 17 Jahren wenig anderes kennt als Unsicherheit und Wagnis und Gegenwind, solche Festigkeit im hektischen Geschäftsalltag?

Metin Colpan ist stoisch bis ins Herz. Sein Auftreten lässt alles Getöse da draußen auf den Kapitalmärkten leiser erscheinen. Aber auch das auf der Großbaustelle vorm Fenster: Qiagen wächst, errichtet eine neue Werkshalle und zusätzliche, angeblich größere Büros.

All das rückt in die Ferne, sobald sich das Raumklima an die Körpersprache des großen Mannes adaptiert hat. Wenn er spricht, wirkt das, als rede ein Totempfahl.

Plötzlich herrscht Multikulti: Colpan, Sohn ukrainischer Flüchtlinge, wuchs zunächst in der Türkei, dann in Südhessen auf. Letzteres verrät sein Zungenschlag noch heute.

Metin Colpan gefällt sich in seinen Rollen: Intern gibt er den unangefochtenen Chef, sonst den Weltmarktführer für Erbgutanalytik.

Qiagen verdient mit seinen fertig dosierten, praktisch abgepackten Reagenzien an all den vielen tausend Glücksrittern, die neue Unternehmen gründen. Aber auch an den hochseriösen bis nobelpreisverdächtigen Großlabors der Pharmaindustrie und der Uni-Forschung. Colpan ist der Geschäftsmann, der Umsätze macht, wo andere am Fortschritt arbeiten.

Er glaubt, allem Geraune von Rezession zum Trotz, an die Zukunft der Gentechnik. Und damit auch an die Zukunft von Qiagen: Seien die Folgen der aktuellen Turbulenzen erst einmal ausgebügelt, dann werde sein Unternehmen vom heranbrechenden Genom-Zeitalter profitieren. Dann soll der Umsatz, derzeit gut eine Viertelmilliarde Euro, wie vor dem 11. September üblich, jedes Jahr um zweistellige Prozentzahlen wachsen.

Der promovierte Chemiker ist kein wissenschaftlicher Heißsporn wie der amerikanische Branchenprimus Craig Venter von Celera Genomics (siehe mm 7/2001); kein wortreicher Visionär, der mit bunten Präsentationsfolien von einer neuen Ära und einem neuen, gentechnisch geprägten Menschenbild fabuliert.

Seine Aktiengesellschaft kommt, entgegen den Branchen-Gepflogenheiten, ganz ohne genialischen Nimbus aus. Im Gegenteil: Als Säule seiner Strategie nennt Colpan den "Mut zum Verzicht" - etwa auf das Entwickeln gentechnisch hergestellter Arzneimittel und ähnlich spezialisierter Produkte.

Stattdessen hat sich Qiagen auf die Massenproduktion von Bedarfsartikeln verlegt. Und über sein Erfolgsrezept sagt Colpan: "Ich denke in blauen Pappschachteln."

Er meint die in blaue Kartons verpackten Laborsets seiner Firma. Die sollen das Markenzeichen Qiagen zur weltweit anerkannten Ikone des Biotech-Zeitalters machen. In diese Anstrengung steckt er derzeit all seine Energie.

Das ist nicht wenig - wie Colpan in den harten Gründerjahren immer wieder bewies. Zum Beispiel beim Anwerben eines ersten Investors: Ganze 30 Minuten hatten Colpan und seine beiden Mitgründer, um Moshe Alafi, den Mentor der amerikanischen Biotech-Szene, während eines Zwischenstopps auf dem Frankfurter Flughafen von ihrer Geschäftsidee zu überzeugen.

Es klappte. Alafi bewilligte drei Millionen Dollar Startkapital, Colpan, Karsten Henco (Gründer, Ex-Vorstandschef und heutiger Aufsichtsrat der Hamburger Evotec OAI) und Jürgen Schumacher (Gründer und heute CEO der Düsseldorfer New Lab AG) starteten Qiagen.

Jeder der drei Geschäftsführer bekam sein eigenes Arbeitsgebiet: Henco war zuständig für die strategische Orientierung am Bedarf der Forschungslabors. Schumacher kümmerte sich als Organisationschef vor allem um die Belegschaft, die anfangs fast nur aus polnischen Arbeitern bestand. Colpan besorgte die Produktentwicklung und das Marketing. "Metin kann Märkte riechen", sagt Henco noch heute.

Colpan war es, der Qiagens Produktpalette radikal reduzierte. Die Firma konzentrierte sich darauf, portionierte Trockensubstanzen in verschieden großen Reagenzröhrchen zu verkaufen. Die aufwändigeren Produktlinien wurden aufgegeben.

"Metin hat ein einzigartiges Nutzwertversprechen formuliert", sagt Henco: Qiagen-Produkte sparen jedem, der Erbgut analysiert, im Schnitt ein Viertel des täglichen Zeitaufwands. Jenen Teil, der ohne die Qiagen-Laborsets in Colpans "blauen Pappschachteln" für die mühselige Extraktion und Aufbereitung der Substanz per Hand draufginge.

Qiagen, so lässt sich die Idee fortspinnen, befreit von lästiger Routine, gibt den kreativen Köpfen im Labor die Zeit zurück, die sie für die Suche nach Erkenntnis brauchen.

Bevor dieses Geschäftsmodell umgesetzt werden konnte, waren noch weitere Kraftakte nötig. Zweimal, 1987 und 1990, "war es bereits fünf nach zwölf für Qiagen", wie sich Henco erinnert. Das Wagniskapital war aufgebraucht, die jeweils zwei Millionen Mark, die zusätzlich benötigt wurden, ließen sich nicht schnell genug auftreiben. "Streng genommen hätten wir zum Konkursrichter gehen müssen", sagt Henco.

Stattdessen ignorierten die drei Jungmanager die alarmierenden Kontoauszüge und wurschtelten weiter. Wie ein Operationsteam, das nicht aufgibt, obwohl der Patient klinisch tot ist. Wodurch das Unmögliche gelingt: das bereits verloren geglaubte Leben zu retten.

Colpan betrachtet die Krisen aus einem besonderen Blickwinkel: "Ich konnte die Leute nicht entlassen", sagt er. "Ich hatte als Arbeitgeber Verantwortung für die Familien."

Diese Loyalität, die selbst Gesetze dehnt, gehört zu Colpans herausragenden Eigenschaften. Sogar seine Konkurrenten und Kritiker loben ihn deswegen. Er blieb auch gegenüber seinen Geschäftspartnern Henco und Schumacher loyal, als die Qiagen im Zuge der mühsamen Geschäftsentwicklung verließen: Henco ging 1993, Schumacher verließ das Unternehmen im darauf folgenden Jahr.

"Wir stritten wie die Kesselflicker", erinnert sich Henco. "Trotzdem sind wir Freunde geblieben." Henco durfte seine Patente, die er für den Aufbau von Evotec brauchte, bei Qiagen herauskaufen; Schumacher nahm gleich die gesamte Dienstleistungsabteilung der Qiagen mit. Heute betätigen sich die drei als Business- Angels, investieren gemeinsam in junge Biotech-Unternehmen.

Die Krisen in den Frühphasen hat Metin Colpan überwunden, indem er seinem Verkaufstalent vertraute. Mit dem Musterkoffer klapperte er persönlich die US-Labors ab, um den boomenden Markt zu erschließen. "Man darf sich für nichts zu schade sein", lautet seine Erfahrung aus diesen Jahren.

Wer die raue Seite von Metin Colpans Malocherwelt erleben will, muss ans hässlichste Ende des Gewerbegebiets im benachbarten Erkrath fahren.

In einer Flachdachhalle, so groß wie ein Baumarkt, sortieren Arbeiter die einzelnen Bestandteile der Laborsets von Hand in die blauen Pappschachteln. Röhrchen um Röhrchen, Becherchen um Becherchen. Tausende pro Tag, knapp eine Million Kartons pro Jahr.

So lässt sich Metin Colpans Qiagen-Konzept auch anders formulieren: Im Kern setzt der weltweit führende Zulieferer einer futuristischen Hightech-Schlüsselindustrie noch im mer auf Handarbeit. Gemäß seinem Motto darf "man" sich eben auch an dieser Stelle der Wertschöpfung "für nichts zu schade sein".

Nebenan, im vorderen Teil des Werks, pfeifen und zischen, rattern und klappern die Abfüllautomaten für die Reagenzröhrchen. Wie in einer Fabrik aus frühen Phasen der industriellen Revolution. Die altertümliche Produktion schadet offenbar nicht, solange es genügend Aufträge gibt - und der Vertrieb funktioniert.

Der wurde am 11. September unterbrochen. Tagelang war die Auslieferung gestoppt. Die Qiagen-Kartons werden üblicherweise per ÜberNacht-Kurier verschickt. Doch die Frachtmaschinen der Logistikunternehmen hatten Startverbot.

Hinzu kam, dass Großkunden wie etwa das National Institute of Health und andere Wissenschaftszentren in der Nähe von Washington tagelang geschlossen blieben. Zahllose Forschungs- und Entwicklungsprojekte wurden vertagt, verschoben.

Qiagen musste eine Umsatz- und Gewinnwarnung veröffentlichen. Der Aktienkurs, vor dem 11. September über 20 Euro, sackte auf 13 Euro ab. Doch hat er sich schneller erholt als die Kurse der Wettbewerber. Von 37 Analysten, die mm-online zu Rate zieht, empfahlen in der Folge 34 die Aktie zum Kauf. Keiner riet zum Abstoßen.

Doch die Konkurrenz schläft nicht. Schon drängt etwa der amerikanische Laborzulieferer Promega mit einem neuen Verfahren zur Erbgutaufbereitung in den Markt. Das ist zwar wesentlich aufwändiger als die robusten Qiagen-Sets. Doch zumindest die anspruchsvollen Forschungskunden könnten zum Wettbewerber Promega abwandern.

Außerdem muss sich Qiagen gegen den Vorwurf wehren, nur ein schmales Marktsegment zu bedienen. Zwar hat das Unternehmen sein Sortiment unlängst auch auf Reagenzien für die RNA-Analytik ausgeweitet: Die untersucht Substanzen, die Zellen nach dem Bauplan des Erbgutmoleküls DNA synthetisieren. Die Ergebnisse sind dann etwa für die Zukunftstechnologie der Proteomik wichtig (siehe mm 9/2001).

Doch in den RNA-Labors hat der Name Qiagen noch keinen so guten Klang wie bei den Stammkunden. Die Produkte sind nicht so ausgereift, die Reagenzien nicht so verlässlich. Der Verkauf läuft erst langsam an.

Reicht die Ausdauer des gerade mal zweiköpfigen Qiagen-Vorstands, um auch solche Herausforderungen zu meistern? Metin Colpan seufzt, faltet die Hände auf der Tischplatte: Qiagen sei trotz des Chaos nach dem 11. September immer profitabel geblieben, sagt er. Aufsichtsrat und Investoren hätten Vertrauen in die Unternehmensleitung. Seine Mitarbeiter seien hoch motiviert.

Irgendwann verebbt die Litanei der Zuversicht - wie ein Pfeifen im dunklen Wald. Colpan schenkt dem Frager einen tiefen Blick aus seinen dunklen Augen, von dem niemand weiß, ob er nachdenklich oder abgründig ist.

Auch Colpan mag sich an die Bilder aus den Qiagen-Gründertagen erinnern: Als er, das dunkle Haar noch voll, in jede Kameralinse lachte, die sich bot. Als Heiterkeit herrschte, als das Leben und das Unternehmen und die Biotechnologie noch Abenteuer waren, auf die sich alle freuten.

Keine 18 Jahre ist das her. Was hat diese Zeit, was haben die Probleme und Rückschläge, die Roadshows und Hauptversammlungen aus diesem Mann gemacht? Was kommt als Nächstes, nach den Tränensäcken, dem aschgrauen Teint und dem viele Kilo schweren, dicken Panzer zwischen Haut und Knochen?

Die Grübelei währt nur Sekunden. Dann gewinnt die gewichtige Gestalt ihr stabiles Gleichgewicht zurück, Colpan nimmt wieder die Miene eines Totempfahls an. Statt seiner Stimme spricht jetzt sein Körper. Der sagt laut und deutlich: "In der Ruhe liegt die Kraft."


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