Montag, 18.05.2020 14:45 von Frankfurter Börsenexperten | Aufrufe: 418

"Es ist falsch, Wirtschaft und Pandemiebekämpfung gegeneinander auszuspielen"

Nach Ansicht des Fondsmanager Peeters sollten Maßnahmen nicht schwarz-weiß entweder gut gegen die Pandemie oder gut für die Wirtschaft sein. Im globalen Wettbewerb zähle ein differenzierter Einsatz der Mittel.

18. Mai 2020. FRANKFURT (pfp Advisory). Die Covid-19-Pandemie, aber auch die durch die rigide Bekämpfung vielerorts ausgelösten wirtschaftlichen Turbulenzen halten die ganze Welt in Atem. Mit jedem Tag Fortsetzung scheint sich nicht nur in der Sache, sondern auch in der Diskussion über die angemessene Vorgehensweise eine dynamische Eskalation zu entwickeln. Immer mehr ist der rote Faden dabei ein Abwägen gesundheitspolitischer Maßnahmen gegen wirtschaftliche Konsequenzen. Angetrieben wird ein sich verstärkender Dissens durch Scheuklappenbetrachtungen und gezieltes Gegeneinander-Ausspielen, selbst von Verantwortungsträgern aus der Politik, die in Talkshows vermeintliche Zwangsläufigkeiten benennen, um ihren Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen. Oft werden regelrechte Drohkulissen aufgebaut, die etwa sinngemäß so lauten: „Haltet euch gefälligst an Abstandsregeln, sonst sehen wir uns gezwungen, die Wirtschaft wieder runterzufahren.“

Ich halte dies in vielerlei Hinsicht für falsch und gefährlich und gewinne immer wieder den Eindruck, dass vielen Mandatsträgern die Tragweite entweder der Epidemie oder des nunmehr wohl unabwendbaren größten Absturzes der Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg nicht vollkommen bewusst ist. In dieser Situation greifen monothematische Ansätze zu kurz. Sinnvoller erscheint ein interdisziplinäres Denken, wirtschaftliche und pandemiebekämpfende Strategien zu kombinieren. Interessiert las ich in dem Kontext etwa eine jüngst eine vom ifo-Institut und vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung gemeinsam herausgegebene Studie, die eine Szenariorechnung beinhaltet und das „gemeinsame Interesse von Gesundheit und Wirtschaft“ schon in der Überschrift unterstreicht.

Und ich würde noch weiter gehen: Länder, die es nicht schaffen, die Pandemie wirklich intelligent zu bekämpfen und in Schach zu halten, werden in den kommenden Jahren im globalen Wettbewerb gnadenlos abgehängt. Europa gibt diesbezüglich in weiten Teilen im Vergleich zu Fernostasien zumindest bislang kein optimales Bild ab. Hier überwiegt meiner Meinung nach im digitalen Zeitalter eine fast schon anachronistisch anmutende Bekämpfung „mit der Schrotflinte“, bei der 100 Prozent der Bevölkerung in manchen Ländern durchaus weitreichend in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit eingeschränkt werden, um einen weiterhin sehr kleinen Teil der Bevölkerung - die Infizierten - davon abzuhalten, das Virus (natürlich unabsichtlich) weiter zu verbreiten. Das war im ersten Schritt, auch weil alles massiver eintrat, als es erwartet wurde, vertretbar, keine Frage. Doch es sollte sich auch bei einem möglichen neuen Verstärken der Pandemie nicht noch mal wiederholen.

Denn es geht deutlich effizienter, wie man sich vor allem in Südkorea aber auch in Hongkong, Singapur, Taiwan, Thailand oder Vietnam anschauen kann. Diese zugegebenermaßen in Pandemien mitunter erfahrenen Länder setzen zumeist gezieltes „Tracking & Tracing“ ein und schöpfen die technischen Möglichkeiten der Neuzeit effektiv aus. Während hierzulande gefühlt sehr lange diskutiert wird, ob und wie eine möglicherweise freiwillig einzusetzende App denn aussehen könnte und die Gesundheitsämter versuchen mit Telefonen und Befragungen Infektionsketten zu nachzuverfolgen, werden dort vielerorts bestehende GPS-Daten effizient genutzt. Die Bedeutung von „Tracking & Tracing“ für eine wirksame Pandemiebekämpfung hob kürzlich etwa auch die „London School of Hygiene & Tropical Medicine“ in einem Statement hervor.

Man darf nicht unerwähnt lassen: Natürlich ist der Preis für ein solch wirksames Vorgehen eine nicht für jeden einfach hinzunehmende Einschränkung an Privatsphäre, etwa wenn Bewegungsdaten zur Pandemiebekämpfung benutzt werden, aber man hat ebenso unstrittig positive Konsequenzen: Deutlich weniger an Covid-19 erkrankte Erkrankte und Verstorbene und keine historischen Experimente mit einer Vollbremsung der gesamten Wirtschaft, was global zig Millionen in die Armut treiben wird und ebenfalls zahlreiche Menschenleben kostet kann und wohl wird.

Solch ein Vorgehen wie in den genannten asiatischen Ländern ist also eben gleichermaßen  medizinisch und wirtschaftlich sinnvoll, somit ein viel versprechendes Bewerbungsschreiben im Bemühen um Kapital und dem Schaffen neuer Arbeitsplätze. Und dieser Wettbewerb wird immer mehr von der Qualität der Pandemiebekämpfung geprägt, wie man an populären Beispielen erkennt.

Wirtschaftlicher Wettlauf nutzt allen

Bei dem ausgesprochen streitbaren Unternehmer Elon Musk darf man sicher nicht alles auf die Goldwaage legen, was er über Twitter so in die Welt trägt, aber zu lesen lohnt es sich durchaus, auch weil er vielleicht nur direkter ausspricht, was andere denken. Seine plumpe Drohung, ein Tesla-Werk aus dem eher rigide vorgehenden Land Kalifornien in einen anderen Bundesstaat zu verlegen, machte hellhörig. Interessant auch, wie etwa Texas oder Nevada anschließend Begehrlichkeiten gezeigt haben. Was hier im Kleinen abläuft, wird sich im Großen, damit meine ich global, wiederholen. Es gibt natürlich wie immer einen wirtschaftlichen Wettlauf, der für gewöhnlich auch allen nutzt.

Verlieren werden in diesem Wettlauf künftig sicher die, die von Covid-19 oder auch künftigen und noch gefährlicheren Pandemien massiv getroffen sind. Verlieren werden meiner Ansicht nach aber auch die, die den Teufel mit dem Belzebub austreiben und (gut gemeint) eine Pandemie mit einem wenig differenzierten Massivschlag gegen die eigene Wirtschaftskraft begegnen. Gewinnen werden am Ende diejenigen, die es schaffen, mit intelligenten, technisch hochgerüsteten und konsequenten Maßnahmen vorzugehen. Wohl nicht nur ich würde mich freuen, wenn wir in Europa dazu gehören.

von Roger Peeters, 18. Mai 2020, © pfp Advisory

Roger Peeters ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Christoph Frank steuert der seit über 20 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow Fonds (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds. Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Peeters ist weiterhin Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) e.V.. Roger Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt


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