Dienstag, 05.05.2020 08:18 von Frankfurter Börsenexperten | Aufrufe: 244

„Es gibt ein Leben nach der Corona-Krise"

Fondsmanager Frank denkt über Anlegerwelt nach der Krise nach, über Branchen, Geschäftsmodelle und die Bedeutung von Dividenden.

5. Mai 2020. FRANKFURT (pfp Advisory). Manchen mag es reichlich früh erscheinen, schon jetzt über die Zeit nach der Corona-Krise nachzudenken. Schließlich werden uns der Virus und die Eindämmungsmaßnahmen noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Ich glaube indes, dass es für Anleger sinnvoll ist, sich gerade jetzt Gedanken darüber zu machen, wie die Welt nach Corona aussehen könnte. Denn die Börse nimmt die Zukunft meist mehrere Quartale vorweg.

Eines gleich zu Beginn: Die Welt wird auch diesmal nicht untergehen. Und die Menschheit wird nicht ins Mittelalter zurückfallen. Davon bin ich fest überzeugt. Unsere Spezies hat deshalb ihren Siegeszug angetreten, weil sie sich bei Herausforderungen immer wieder angepasst und Lösungen gefunden hat. Das wird sie auch diesmal schaffen. Wir Menschen werden lernen, mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 umzugehen, und ebenso mit den vielen Viren, die diesem folgen werden.

Gleichwohl ist diese Virus-Krise eine Zäsur. Vieles wird danach anders sein als zuvor. Aber nicht alles. Das gilt für die Gesellschaft, global wie regional wie lokal, aber auch für die Wirtschaft. Viele so genannte Probleme, über die wir kurz vor der Krise noch hyperaufgeregt debattiert haben, erkennen wir heute als genau das, was sie sind: Nebensächlichkeiten. Durch die Krise lernen wir gerade auf die harte Tour, was wichtig ist und was es nur gerne sein würde. Und wer wirklich „systemrelevant“ ist und wer es nur gerne wäre.

Vermeintliche Wachstumsmärkte

Für die Börse bedeutet Corona ebenfalls eine Zäsur. Nicht nur durch die zwischenzeitlich hohen Kursverluste, sondern auch, weil die Krise auch in der Investmentwelt einiges durcheinanderwirbeln wird. Das gilt z. B. für die Einschätzung von Branchen und Strategien durch Investoren. Kurz- und mittelfristig werden Aktien von Fluggesellschaften, Tourismusunternehmen, Kreuzfahrtanbietern, Carsharing-Firmen oder Flughafenbetreibern, die zuvor in vermeintlichen Wachstumsmärkten operiert haben, sehr viel kritischer beäugt werden. Einige dieser Unternehmen werden die Krise nicht überstehen, die Überlebenden künftig möglicherweise deutlich kleinere Brötchen backen müssen.

Automobilhersteller, Zulieferer, Maschinenbauer, Restaurantketten, Hotelketten, Betreiber von Casinos, Anbieter von Messen und anderen Großveranstaltungen, Modefirmen und spezialisierte Einzelhändler werden durch den wochenlangen Shut-down viele Narben davontragen. Firmen mit überoptimierten Just-in-Time-Konzepten und in aller Herren Länder verästelten Strukturen werden Strategien und Lieferketten grundlegend überdenken (müssen). Gesellschaften mit schlanken Produktionsprozessen, idealerweise aufsetzend auf einer einheitlichen Plattform, werden dagegen bis auf Weiteres im Vorteil sein. Ein gewisser Anteil von Kunden aus dem öffentlichen Bereich ist in Krisenzeiten ebenfalls vorteilhaft, da diese Auftraggeber Projekte im Schnitt seltener stornieren als Privatunternehmen.

Am anderen Ende des Spektrums stehen Firmen aus den Sektoren Informationstechnologie, Software, Onlinehandel, Medizintechnik oder Pharma, die teilweise direkt von Corona profitieren, häufig aber zumindest danach mit einer dauerhaft höheren Nachfrage rechnen dürfen. Vielleicht schaffen ja endlich auch ein paar 3D-Druck-Anbieter ihren schon oft angekündigten Durchbruch, sollten Unternehmen ihre Fertigung ganz oder teilweise in die Industrieländer zurückholen.

Dividende der neue Zins?

Ebenso wie Branchen hat Corona auch einige Strategien „aufgemischt“. Ein Beispiel: Vor Corona galten Dividendenstrategien als eine Art „Wunderwaffe“ im Niedrigzinsumfeld. Die Dividende ist der neue Zins, hieß es vollmundig bei vielen Anbietern entsprechender Produkte. Ein paar Wochen Corona-Krise genügten, um diese vermeintlichen Gewissheiten zu zermalmen. Einige frühere „Dividendenaristokraten“ sind wegen eines kleinen Virus keine mehr, weil sie ihre Ausschüttungen erstmals nach Jahrzehnten gestrichen haben. Die Annahme, dass Dividenden doch immer gezahlt würden und einen sicheren Cashflow ermöglichten, hat sich als fatales Wunschdenken entpuppt. Auf Dividenden(erwartungen) aufsetzende komplexere Strategien haben sich teilweise ebenfalls als Fata Morgana erwiesen und ihren Anwendern Verluste beschert, die bei manchen dieser Fonds höher ausfielen als bei Aktienfonds. Auch viele vermeintlich erprobte exotische Strategien (z. B. basierend auf der Volatilität) haben während der Krise überhaupt nicht funktioniert. Einige dieser Fonds werden denn auch bereits hektisch geschlossen.

Und dennoch: Es wird vieles, aber eben nicht alles anders werden. 

Einige Trends, die bereits vor der Krise dominant waren, bleiben auch danach intakt. Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten, sie wird durch die Krise sogar einen zusätzlichen Schub erhalten. Schließlich haben viele Firmen in den vergangenen Wochen live miterlebt, dass virtuelle Meetings, Telearbeit und Cloud-basierte IT-Infrastrukturen prächtig funktionieren. Gut für die Anbieter, die solche virtuellen Welten bauen und betreiben.

Dagegen haben die meisten Banken m. E. nach wie vor ein durch Niedrigzinsen gefährdetes Geschäftsmodell. Das ist nach der Krise nicht anders als vorher. Firmen mit robustem Geschäftsmodell, solider Bilanz und hohen Cash-Reserven bleiben im Vorteil, zumal sie die Krise nutzen können, um kleinere Wettbewerber aus dem Markt zu drängen oder aufzukaufen. Nach diesen Kriterien ausgewählte Aktien dürften tendenziell auch nach der Krise renditestärker sein. Dagegen waren nur auf „Deep Value“ basierende Aktienselektionsstrategien schon vor der Krise wenig erfolgreich und werden es nach meiner Einschätzung danach erst recht bleiben, zumal diese Aktien oft deshalb preiswert erscheinen, weil die Firmen schwache Bilanzen aufweisen und daher in einer Rezession besonders gefährdet sind.

Und last but not least: Nicht anders sein wird nach der Krise, dass die Wirtschaft nach dem Tal der Tränen wieder wachsen wird, mit ihr die Gewinne der börsennotierten Unternehmen und damit langfristig auch deren Aktienkurse.

So oder so: Es gibt ein Leben nach Corona, oder ich sollte vielleicht besser schreiben: Es gibt ein Leben mit Corona. Packen wir es an.

von Christoph Frank, 4. Mai 2020, © pfp Advisory

Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters steuert der seit über 20 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds. Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Frank schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.


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