Mittwoch, 03.06.2009 10:13 von Jochen Steffens | Aufrufe: 412

GM insolvent und ISM Index ohne wirkliche Aussagekraft

Wie Sie sicherlich bereits gehört haben: General Motors (GM) hat Konkurs angemeldet. Mit dieser Insolvenz wird ein radikaler Umbau des Konzerns eingeleitet, der ihn konkurrenzfähig machen soll. Vorrübergehend übernehmen die USA die Mehrheit an dem Unternehmen. GM will dabei das Insolvenzverfahren schnell abschließen. Es sind kurze 60 bis 90 Tage im Gespräch. Ich bin gespannt. Wie angekündigt wird GM aufgeteilt, defizitäre Marken werden abgestoßen. Im Unternehmen bleiben sollen die Kernmarken (wie Chevrolet, Cadillac und Buick).


Was sich auf den ersten Blick so positiv anhört, ist auf den zweiten Blick natürlich auch mit unschönen Folgen verknüpft. So werden mindestens 21.000 Stellen sofort wegfallen, 11 Fabriken werden endgültig, weitere drei vorrübergehend geschlossen.


Interessant ist auch, dass 40 % der 6.000 Händler abgeschafft werden. Nicht herauszufinden war, welche Folgen diese Insolvenz auf die Zulieferer und andere Branchen hat, die mit GM direkt oder indirekt verbunden sind. Wahrscheinlich werden wir das in den nächsten Wochen anhand der Arbeitsmarktberichte erkennen können. Auch hierauf darf man gespannt sein.


Was ebenfalls gerne verheimlicht wird, ist, dass die schnellen Restrukturierungen durch die Insolvenzverfahren von Chrysler und GM natürlich nur dann dauerhaft funktionieren, wenn der US-amerikanische Automarkt wieder anzieht. Immerhin sind die Autokäufe auf dem US-Markt auf den niedrigsten Stand seit 50 Jahren gesunken. Wenn man sich nun die Entwicklung auf dem US-Arbeitsmarkt in den letzten Monaten anschaut, fragt man sich schon, woher die Belebung kommen soll.

 

Ich bleibe also dabei: Ich vermute, dass die Folgen dieser Insolvenz unterschätzt werden. Der Markt reagierte aber erst einmal positiv. Das lag aber unter anderem auch daran, dass mit der Nachricht eine Unsicherheit vom Markt verschwand. Börse hasst Unsicherheiten. In den nächsten Tagen und Wochen wird sich herausstellen müssen, wie gut oder schlecht diese Insolvenz tatsächlich ist. Wir werden es an den Marktreaktionen erkennen.

 

ISM-Index überrascht positiv

 

Eine zweite Nachricht hatte gestern entscheidende Einfluss auf die Märkte. Gestern wurde der ISM-Index des verarbeitenden Gewerbes veröffentlicht. Dieser ist von zuvor 40,1 Punkten auf nunmehr 42,8 Punkte angestiegen und damit deutlicher als von Analysten erwartet. Wie am Freitag bereits geschrieben, hatten Analysten lediglich mit einem Anstieg auf 42-Punkte gerechnet. Mit dieser Veröffentlichung hat sich der ISM-Index nun deutlich von den Tiefstwerten bei 32,9 Punkten im Dezember 2008 erholt. Die Märkte reagierten in einem sowieso schon positiven Umfeld mit einem deutlichen Kursanstieg auf diese Nachricht.

 

Wirtschaftliche Expansion auch bei Werten unter 50 Punkten möglich

 

Grundsätzlich weisen beim ISM-Index des verarbeitenden Gewerbes erst Werte über 50 Punkte auf ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in den USA hin. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass eine wirtschaftliche Expansion auch bereits möglich ist, wenn der ISM-Index längere Zeit über 42-43 Punkten notiert (verschiedene Analysten geben hier unterschiedliche Werte an).

 

Dieser Wert wurde mit der gestrigen Veröffentlichung erreicht. Sollte sich der ISM-Index des verarbeitenden Gewerbes längerfristig über dieser Marke halten können oder sogar noch weiter steigen, wäre das ein Hinweis darauf, dass sich die US-Wirtschaft tatsächlich wieder stabilisiert. Die bisherige Dynamik seit dem Tief (siehe Chart weiter unten) weist auf eine solche Entwicklung hin. Damit würden sich auch die Aussagen diverser FED-Mitglieder bestätigen, die mittlerweile davon ausgehen, dass die US-Wirtschaft bald langsam aber nachhaltig auf den Wachstumspfad zurückfinden wird. In diesem Fall lägen die Kurstiefs dieses Crashs hinter uns.

 

ISM-Index im Crash der Jahre 2000-2003

 

Wenn es doch nur immer so einfach wäre. Ein Blick zurück auf den letzten crashartigen Kurseinbruch der US-Aktienmärkte in den Jahren 2000-2003 belegt, dass Euphorie zurzeit verfrüht wäre.

 

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Sie sehen hier den ISM-Index des verarbeitenden Gewerbes seit 1995 im Vergleich zum S&P500. Das erste Tief in den Crashjahren damals bildete der ISM-Index bereits im Mai 2001 aus, während die Kurse in dieser weiter zurückgingen. Als Signal kam dieses Tief demnach deutlich zu früh. Im Oktober 2001 kam es zu einem Anstieg, der den ISM-Index auf Werte über 50 Punkte trieb. Dieser Anstieg wurde von einer deutlichen Kurserholung an den Märkten begleitet. Doch auch dieses Signal war noch kein Hinweis auf den abschließenden Boden der US-Indizes.


Es wird demnach deutlich, dass ein sich von einem Tief verbessernder ISM-Index nicht unbedingt auf eine insgesamt bessere Wirtschaftsentwicklung beziehungsweise Marktentwicklung hinweist. Um also beurteilen zu können, ob der aktuelle Anstieg des ISM-Index auf eine nachhaltigere Erholung der Märkte hinweist oder nicht, muss zunächst geklärt werden, wie dieser Index zustande kommt.

 

Der ISM-Index

 

Um den ISM-Index des verarbeitenden Gewerbes berechnen zu können, werden mehr als 400 Einkaufsmanager aus 20 verschiedenen Bereichen des verarbeitenden Gewerbes nach ihrer Einschätzung der Entwicklung der verschiedenen Bereiche des Unternehmens befragt.

 

Es wird nach den Auftragseingängen, der Produktion, den Zulieferern, den Auftragsrückständen, den

Lagerbeständen, den Preisen, der Beschäftigung, dem Export und Import gefragt. Es soll dabei angegeben werden, ob sich die Situation in den jeweiligen Bereichen verbessert oder verschlechtert hat.

 

Aktuelle Situation

 

Der ISM-Index war im Dezember 2008 mit 32,9 Punkten auf ein Tief gefallen, das zuvor in der gesamten Geschichte des ISM ansonsten nur zwei Mal erreicht wurde: Im Mai 1980 und im Dezember 1974. Beide Tiefs hingen mit den Ölkrisen zusammen. Auslöser für das aktuelle Tief im ISM-Index war natürlich der in Folge der Finanzkrise entstandene extreme Rückgang der US-Wirtschaftsleistung im vierten Quartal.


Wir müssen also im Moment erst einmal davon ausgehen, dass der ISM-Index lediglich eine technische Gegenreaktion nach diesem historischen Einbruch gestartet hat. Der Index notierte einfach auf einem Niveau, bei dem es kaum noch ein „schlechter“ hätte geben können.  Die scheinbar positive Entwicklung des ISM-Index sagt damit bisher lediglich folgendes aus: Die US-Wirtschaft hat, nachdem sie kurzeitig in eine Art Schockstarre geraten ist, wieder zu atmen angefangen. Und das ist offenbar auch das, was die US-Aktienmärkte im Moment umsetzen.

Mehr aus diesem Anstieg zum jetzigen Zeitpunkt heraus interpretieren zu wollen, ist meines Erachtens nicht möglich. Tatsächlich müsste der ISM-Index entweder nachhaltiger die 50-Punkte-Marke überwinden oder sich über einen längeren Zeitraum über der 42er-Marke stabilisieren, damit eine bessere und nachhaltigere Prognose möglich ist.


S&P500 vor wichtigen Widerständen

 

Es ist demnach auch nicht verwunderlich, dass wir in den Indizes eine ähnliche Situation erkennen.

 

http://www.stockstreet.de/newsletter/steffens-daily/090602.gif
 

 

So notiert der S&P500 immer noch unterhalb der wichtigen Widerstandszone zwischen 950 und 1.000 Punkten. Wenn Sie sich die bisherige Gegenbewegung im Vergleich zur gesamten Abwärtsbewegung seit Ende 2007 anschauen, ist zu erkennen, dass es sich tatsächlich bisher noch um nichts weiter als eine technische Gegenreaktion handelt, die sogar durchaus auch noch bis zur 1077- und 1170-Punkte-Marke gehen könnte.

 

Fazit:

 

Die Verbesserung des ISM-Index muss man zurzeit noch im Kontext mit den Extremen sehen, die sich zuvor ausgebildet haben. Hieraus kann man noch keine verlässlicheren Prognosen für den weiteren Kursverlauf an den Börsen erstellen. Auch die kleine Kursrallye, die wir im Moment erleben, kann sich noch als einfache technische Gegenreaktion nach dem Crash herausstellen.

 

Ich bleibe noch dabei: Die 5.000-Punkte-Marke wird den DAX noch eine Weile beschäftigen. Mittlerweile machen wir uns wie erwartet in Richtung oberer Begrenzung der möglichen Seitwärtsbewegung auf. Die entscheidenden Marken sind hier: 5.200 und 5.350 Punkte.

Zum Verfall am 19.06. rechne ich, solange diese Marken nicht nachhaltig und dynamisch nach oben gebrochen werden, mit einem Indexstand von 5.000 Punkten.

 

 

Viele Grüße

 

Jochen Steffens

 


Über den Autor

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Stockstreet GmbH
Jochen Steffens ist als Chefredakteur diverser Fachpublikationen im Bereich Börse und als bekannter Kolumnist tätig. Seit mehr als zwölf Jahren arbeitet er als eigenverant-
wortlicher Daytrader mit dem Schwerpunkt Future-
handel. Als Geschäftsführer der Stockstreet GmbH ist er für die Börsenseite stockstreet.de verantwortlich.
Dort gibt er den täglich erscheinenden Börsen-
newsletter: „Steffens Daily“ heraus.

Für mehr Information: www.stockstreet.de
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