Das EU-Parlament in Straßburg.
Sonntag, 26.05.2019 20:07 von | Aufrufe: 1191

GESAMT-ROUNDUP 2: EU-Wahlfiasko für SPD und Union - In Bremen CDU wohl vorn

Das EU-Parlament in Straßburg. pixabay.com

(durchgehend aktualisiert)

BRÜSSEL/BERLIN/BREMEN (dpa-AFX) - Historische Wahlniederlagen für SPD und Union, aber für die CDU immerhin ein kleiner Trost: Bei der Europawahl werden beide Berliner Regierungsparteien schwer abgestraft

- bei der Wahl des Landesparlaments in Bremen dagegen überflügelt die

Union erstmals seit dem Krieg die SPD. Großer Gewinner beider Abstimmungen sind nach den Hochrechnungen die Grünen: Sie lösen zum ersten Mal bei einer bundesweiten Wahl die SPD als zweite Kraft ab und gewinnen als Machtfaktor deutlich an Gewicht. Auch europaweit haben Christdemokraten und Sozialdemokraten verloren, Rechte dagegen hinzugewonnen.

Bei der Europaabstimmung stürzen SPD wie Union jeweils auf ihr schlechtestes EU-Ergebnis überhaupt und unterbieten auch noch weit ihre historisch schwachen Bundestagswahlergebnisse von 2017. Der SPD droht in ihrer einstigen Hochburg Bremen womöglich erstmals der Gang in die Opposition: Rot-Grün ist abgewählt, ein Bündnis mit der CDU haben die Sozialdemokraten ausgeschlossen.

Für das Machtgefüge in Berlin bedeutet das erneut eine schwere Belastung. Ungewiss war am Sonntagabend zunächst noch, welche Konsequenzen vor allem die SPD aus den abermaligen Klatschen der Wähler zieht. Bereits vorher stand Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles intern in der Kritik. Zudem ist ein Teil des linken Flügels die ungeliebte große Koalition mit der Union schon lange leid, doch eine vorgezogene Bundestagswahl könnte bei derart schwachen Beliebtheitswerten für die SPD verheerend enden.

Aber auch in der CDU mit ihrer neuen Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer dürfte angesichts des schwachen Abschneidens bei der Europawahl eine Diskussion über die Aufstellung im Bund nicht ausbleiben. Für Anfang Juni hat Kramp-Karrenbauer bereits eine Führungsklausur angesetzt.

Ohnehin ist eine kleine Kabinettsumbildung nötig, weil die EU-Spitzenkandidatin der SPD, Katarina Barley, nach Brüssel wechselt und daher bereits ihren Rückzug als Justizministerin angekündigt hat.

Nach den Europawahl-Hochrechnungen von ARD und ZDF für Deutschland (ca. 19.00 Uhr) bleibt die Union zwar weitaus stärkste Kraft, verliert aber noch einmal stark auf 28,1 bis 28,3 Prozent (EU 2014: 35,4 Prozent; Bundestag 2017: 32,9). Noch weit schlimmer ist das Ergebnis für die SPD: Sie kommt mit 15,2 bis 15,7 Prozent nur noch auf den dritten Platz (EU: 27,3; Bundestag: 20,5).


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Die Grünen gewinnen kräftig hinzu und fahren mit 20, bis 21,1 Prozent ihr mit Abstand bestes EU-Ergebnis ein (EU: 10,7; Bundestag: 8,9). Die AfD etabliert sich mit 10,6 Prozent (EU: 7,1; Bundestag: 12,6). Die FDP bleibt mit 5,4 bis 5,6 Prozent weit unter ihrem Bundestagsergebnis (EU: 3,4; Bundestag: 10,7). Die Linke schwächelt mit 5,5 bis 5,6 Prozent (EU: 7,4; Bundestag: 9,2). Die Wahlbeteiligung hat auf etwa 60 Prozent (48,1) stark zugelegt.

Eine große Rolle hat offensichtlich das Thema Klimaschutz gespielt: Die Grünen gewinnen von SPD und Union jeweils mehr als eine Million Wähler hinzu: nach einer Analyse von Infratest dimap 1,37 Millionen Wähler von der SPD und 1,25 Millionen von der Union - und zwar vor allem junge Wähler. Unter den 18- bis 24-Jährigen machen 34 Prozent die Grünen zur stärksten Partei.

SPD-Chef Nahles nannte das Ergebnis am Abend "extrem enttäuschend". Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte: "Das Ergebnis kann nicht ohne Folgen bleiben." Er wandte sich aber gegen Personaldebatten.

Für CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer entspricht das EU-Ergebnis nicht dem Anspruch der Partei, auch wenn das Ziel erreicht sei, stärkste Partei zu werden. Die CDU freue sich aber über den Bremer Schritt in Richtung Regierungswechsel.

Europaweit sieht es für Christ- und Sozialdemokraten ähnlich düster aus, die Rechtspopulisten legen zu. Deutliche Zugewinne verbuchen nach den ersten Trends Liberale und Grüne.

Unter den 751 Europaabgeordneten kommt die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) demnach auf 174 Sitze, 43 weniger. Die Sozialdemokraten schaffen noch 147 Mandate (minus 39). Die Liberalen liegen bei 79 (plus 11), allerdings offenbar ohne die Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, mit der sie sich verbünden wollen. Dahinter kommen die Grünen mit 66 Sitzen (plus 14). Die Linke kommt auf 47 (minus 5).

Die bisher drei rechtspopulistischen und nationalistischen Fraktionen kommen zusammen auf 177 Sitze, 23 mehr als bisher. Es wird allerdings erwartet, dass Fraktionen sich neu sortieren und womöglich noch weitere Parteien für eine Allianz (Allianz Aktie) hinzugewinnen.

Im kleinsten Bundesland Bremen hängt jetzt alles von den Grünen ab: Wer sie für ein Bündnis gewinnen kann, dürfte Regierungschef werden. Rechnerisch möglich wäre es, dass das bisherige rot-grüne Bündnis um die Linken erweitert wird und der Sozialdemokrat Carsten Sieling doch noch Bürgermeister bleibt. Mindestens genauso gut denkbar wäre aber auch eine Jamaika-Koalition von CDU, Grünen und FDP unter dem CDU-Spitzenkandidaten Carsten Meyer-Heder, einem IT-Unternehmer und politischen Quereinsteiger. Die Grünen halten sich nun beide Optionen offen.

Laut den Bremer Prognosen von ARD und ZDF (18.00 Uhr) büßt die SPD mit 24,5 Prozent (2015: 32,8) erstmals seit 73 Jahren ihren Nimbus als stärkste Kraft an der Weser wohl ein. Die CDU hingegen legt auf 25,5 bis 26,5 Prozent (2015: 22,4) zu und erreicht wieder ihr Niveau von Mitte der 2000er Jahre. Die Grünen erreichen mit 18 bis 18,5 Prozent (15,1 Prozent) die Stellung, die sie auch im Bund anstreben: Ohne sie geht nichts. Die Linke steigert sich auf 12 Prozent (9,5), die FDP liegt bei 6 (6,6), die AfD bei 5 bis 7 Prozent (5,5).

Bremens Regierungschef Carsten Sieling (SPD) nannte die Zahlen "durchaus enttäuschend". Aber: "Wir gucken in die Zukunft und wollen gestalten." Persönliche Konsequenzen lehnte er ab.

Zur Wahl des Europaparlaments waren in den 28 EU-Mitgliedstaaten mehr als 400 Millionen Menschen wahlberechtigt. Das Parlament hat wichtige Kompetenzen in der EU-Gesetzgebung und muss etwa dem EU-Haushalt zustimmen. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Nachfolge des bisherigen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Um den Posten ringen die EVP mit ihrem bisherigen Fraktionschef, dem Deutschen Manfred Weber (CSU), und die Sozialdemokraten mit dem bisherigen Vize-Kommissionspräsidenten, dem Niederländer Frans Timmermans.

In Österreich wird Kanzler Sebastian Kurz, gegen den am Montag im Parlament ein Misstrauensantrag ansteht, bei der Europawahl massiv gestärkt. Laut Trendprognosen legt seine konservative ÖVP kräftig zu und liegt meilenweit vor der SPÖ. Sein gefeuerter Koalitionspartner, die rechte FPÖ, fällt leicht. Die Koalition war an den Folgen eines FPÖ-Skandalvideos zerbrochen./and/hot/DP/fba

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