(Symbolfoto) Mit passivem Investieren können die Kosten der Wertpapieranlage minimiert werden.
Dienstag, 08.08.2017 12:04 von | Aufrufe: 9345

Dr. Gerd Kommer: „Passiv investieren bedeutet:
Es kommt nicht auf die Namen an“

(Symbolfoto) Mit passivem Investieren können die Kosten der Wertpapieranlage minimiert werden. - © Duncan_Andison istock.com

ARIVA.DE:  Warum überschätzen viele von uns immer noch ihre eigenen Fähigkeiten oder die der Fondsmanager und glauben, dauerhaft erfolgreicher zu investieren als andere?
Gerd Kommer: Auf diese Frage gibt es Dutzende von Antworten. Auf alle Fälle ist es in der Tat ein Kernergebnis aus 50 Jahren empirischer Kapitalmarktforschung, dass die allermeisten aktiv gemanagten Strategien hinter einer angemessenen Benchmark zurückbleiben, insbesondere wenn man Kosten, Risiko und Steuern berücksichtigt. Das gilt nicht nur für Investmentfonds, sondern auch für Direktanleger, Hedgefonds und andere institutionelle Fonds. Die kleine Gruppe der Outperformer, die es schafft, in einem bestimmten Zeitfenster besser zu sein als der Markt, ändert sich im Zeitablauf. Sie ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit zufallsbestimmt. Trotz dieser eindeutigen Forschungsergebnisse aus fünf Jahrzehnten setzen die meisten auf aktive Strategien.

Sachbuchautor Dr. Gerd Kommer
© Gerd Kommer Invest GmbH 

ARIVA.DE: Ist aktives Investieren damit nichts anderes als eine Lotterie? Wie beim Lotto-Spielen wissen wir zwar, dass der große Gewinn unwahrscheinlich ist, hoffen aber dennoch darauf?
Kommer: Was die Frage der Verteilung von Überrenditen unter den Anlegern anbelangt, letztlich ja. Warum spielen Menschen Lotterien, obwohl der Gewinnerwartungswert negativ ist? Bei aktiven Investmentstrategien ist im Gegensatz zum Lotto nicht ganz so offensichtlich, dass die Verteilung von Überrenditen – also Abweichungen von Marktdurchschnitt – wohl sehr weitgehend auf Zufall basiert. Auf der englischen Wikipedia-Seite gibt es unter dem Stichwort "List of Cognitive Biases" eine Liste von über 200 wissenschaftlich untersuchten und dokumentierten Denkfehlern. Sehr viele davon spielen beim aktiven Investieren eine Rolle. Nehmen Sie als Beispiel das, was man als Recency Bias bezeichnet: Wir geben jüngeren Renditedaten ein stärkeres Gewicht als solchen, die weiter zurückliegen. Wenn ein Fonds seit zehn Jahren existiert und man ihn unbedingt auf Basis von historischen Renditen bewerten will – was ich ohnehin für einen Fehler halte – dann müsste man jedes einzelne Jahr und jeden Zeitabschnitt in diesen zehn Jahren gleich hoch gewichten. Aber wir wissen, dass Anleger die letzten drei Jahre viel wichtiger nehmen als zum Beispiel die ersten drei Jahre. Bei Fondsrenditen oder Asset-Klassen-Renditen ist das irrational. Aber so sind wir Menschen.
 

"Fast alle von uns werden als aktive Anleger geboren. Man könnte sagen, dass das in unserer DNA so angelegt ist."


ARIVA.DE: Klingt so, als hätten auch Sie schlechte Erfahrungen gemacht.
Kommer: Ja. Das ist zwar schon lange her, aber so war es auch bei mir. Fast alle von uns werden als aktive Anleger geboren. Man könnte beinahe sagen, dass das in unserer DNA so angelegt ist. Eine kleine demütige Minderheit lernt jedoch aus ihren Fehlern, anerkennt sie, zieht Schlussfolgerungen daraus und wird dann irgendwann ein rationaler, passiver Anleger.

ARIVA.DE: Nun bedeutet passives Investieren ja nicht einfach nur, Indexfonds zu kaufen. Diese sind, wenn ich Sie Recht verstehe, nur das Vehikel, um ein Portfolio abzubilden, was den gesamten Markt abbildet. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Fehler, die privaten Anlegern unterlaufen, wenn sie zum passiven Investieren wechseln?
Kommer: Ein häufiger Fehler ist, dass ein Portfolio gewählt wird, das Überlappungen und Klumpenrisiken aufweist. Oft wird zum Beispiel nur in Blue Chips investiert. Wenn Sie aber einen ETF auf den S&P 500 oder den Dow-Jones-Index kaufen, dazu noch einen ETF auf den DAX und vielleicht noch einen auf den MSCI World Index, dann haben Sie vielfache regionale Überlappungen, und Sie bewegen sich primär im Large Cap-Bereich. Der Theorie nach sollten Sie jedoch wirklich den gesamten Weltaktienmarkt abbilden, lückenlos und überlappungsfrei. Das klingt furchtbar trocken und akademisch, ist aber relevant. Klumpen im Portfolio bedeuten sinnloses Zusatzrisiko, das vom Markt nicht kompensiert wird.

ARIVA.DE: Im Internet findet man zuhauf gute Ratschläge, wie man sein Portfolio aufteilen sollte. Nach dem Core-Satellite-Ansatz zum Beispiel sollen Anleger ein diversifiziertes Kerninvestment aus Indexfonds auf Standardwerte in Industrieländern halten und dieses durch aktive Wetten auf Nischenmärkte oder Small-Cap-Werte ergänzen.
Kommer: Die Core-Satellite-Strategie ist plausibel klingender Nonsens. Aktiv investieren funktioniert in sogenannten Randsegmenten des Kapitalmarktes genauso wenig wie in den Kernsegmenten, jedenfalls, wenn man Kosten, Risiko und Steuern berücksichtigt und richtig vergleicht.
 

"Persönliche Vertrautheit mit einer Aktie macht mich nicht zu einem besseren Anleger."


ARIVA.DE: Aber ein privater Anleger, der zum Beispiel in einen ETF auf den Hang Seng Index investiert, der weiß doch in der Regel gar nicht, welche Werte dort überhaupt enthalten sind. Macht es trotzdem Sinn, dies zu tun?
Kommer: Schauen Sie, der globale Aktienmarkt besteht aus knapp 10.000 Aktien, wenn man von Microcaps absieht, die nicht regelmäßig gehandelt werden und extrem hohe Transaktionskosten haben können. Diese 10.000 Aktien stammen aus rund 45 Ländern, die Hälfte davon Industrieländer, die andere Hälfte Schwellenländer. Ich kenne davon vielleicht ein paar Namen – Siemens, RWE, General Electric, Samsung und so weiter. Von 95 Prozent der 10.000 Namen habe ich noch kaum je oder noch gar nie gehört. Passiv investieren bedeutet, es kommt nicht auf die Namen an. Persönliche Vertrautheit mit einer Aktie oder Anleihe bringt mir nichts, sie macht mich nicht zu einem besseren Anleger in diesem Wertpapier.

ARIVA.DE: Dabei wird doch immer propagiert, dass gerade Börsenneulinge auf Unternehmen setzen sollten, die sie kennen, die hinter den großen Marken stehen.
Kommer: Für jemanden wie Warren Buffet mag dieser eher überinterpretierte Spruch gelten, für normale Menschen wie Sie und ich ist er ein Fehler, weil er ein falsches Verständnis von 'ein Unternehmen kennen' zugrundlegt. Vertrautheit ist kein richtiges Wissen, es ist – was Investieren anbelangt – Pseudowissen. Natürlich kennen wir alle Apple, weil wir die Produkte von Apple nutzen und mal ein Video von Steve Jobs gesehen haben. Aber das hat nichts mit Wissen zu tun, das man beim Investieren gewinnbringend einsetzen kann. Das, was Sie und ich vernünftigerweise über Apple oder Siemens oder sonst einen Konzern herausfinden können, ist eingepreist, also schon im Aktienkurs enthalten. Mit eingepreistem Wissen kann man keine Überrendite erzielen. Wäre es anders, würde es einer viel größeren Zahl von privaten und institutionellen Anlegern gelingen, dauerhaft und konsistent den Markt zu schlagen.

ARIVA.DE: Nach welchem Kriterium wird beurteilt, ob die getroffene Auswahl den gesamten Aktienmarkt realitätsgetreu repliziert? Ist es die Marktkapitalisierung?
Kommer: Ja, vom Grundsatz her ist es die Marktkapitalisierung. Damit fangen wir immer an. Den Weltaktienmarkt kann man im Rahmen von passivem Investieren allerdings auch auf der Basis anderer Gewichtungskriterien abbilden.

ARIVA.DE: Da möchte ich einhaken. In dem Ansatz, den Sie in Ihrem Buch beschreiben, sind Sie in einem global aufgestellten und über ETFs abgebildeten Portfolio durchaus bereit, Small-Caps und Schwellenländer stärker zu gewichten, als es nach der Marktkapitalisierung angemessen wäre. Ist das noch passives Investieren?
Kommer: Aus meiner Sicht schon, weil auch ein nicht vollständig nach Marktkapitalisierung gewichtetes Weltportfolio aus Aktien passives Investieren darstellt, sofern es prognosefrei und auf Buy-and-Hold-Basis gebildet wurde. Zum Beispiel hat eine Gewichtung der wesentlichen globalen Aktienmarktregionen nach dem Bruttoinlandsprodukt in den letzten Jahrzehnten besser rentiert als eine Gewichtung nur nach Marktkapitalisierung. Der Grund dafür ist aber nicht Geheimwissen, sondern schlicht, weil die BIP-Methode bestimmte Faktorprämien stärker gewichtet als die Marktkapitalisierungsmethode. Dazu gehören der sogenannte Small-Cap-Effekt, der Value-Effekt und der Political-Risk-Effekt.


ARIVA.DE Börsen-Geflüster

ARIVA.DE: Könnten Sie das bitte genauer erklären?
Kommer: Nach der BIP-Methode gewichten Sie in einem Weltportfolio zum Beispiel die Schwellenländer mit 20 bis 25 Prozent oder – je nach Messmethode – sogar noch höher. Nach Marktkapitalisierung dürften die Schwellenländer aber nur knapp zehn Prozent des Portfolios ausmachen. Der Unterschied entsteht, weil Schwellenländer tendenziell kleinere Börsen haben. Relativ zur Größe der Volkswirtschaft sind dort weniger Unternehmen gelistet als in Industrieländern. Aber die Börsen der Schwellenländer haben aufgrund des politischen Risikos in diesen Märkten eine höhere erwartete Rendite als die der Industrieländer. Was ist politisches Risiko? In Schwellenländern ist typischerweise die Rechtsstaatlichkeit geringer, es gibt häufiger Unruhen oder Bürgerkriege, die makroökonomische Steuerung ist weniger professionell, der Wechselkurs schwankt stärker, die Zentralbankpolitik ist fragiler. Dieses politische Risiko wird vom Markt eingepreist. Deswegen haben die Schwellenländer höhere erwartete Renditen. Renditen sind primär Risikoprämien.

ARIVA.DE: Und für die Chance, diese Faktorprämien einzustreichen, sind Sie bereit, mehr Risiko zu gehen?
Kommer: In gewissen Grenzen ja. Es existieren noch weitere Faktorprämien – früher nannte man sie Risikoprämien – , die man bei der Zusammenstellung des Portfolios berücksichtigen könnte: den bereits erwähnten Small-Size-Effekt und den Value-Effekt.  Beim Small-Size-Effekt werden Nebenwerte im Portfolio höher gewichtet als es die Marktkapitalisierung vorgeben würde. Die Wissenschaft hat gezeigt, dass das Ausnutzen des Small-Size-Effektes die Rendite positiv beeinflusst. In einem systematisch global diversifizierten Aktien- und Anleihenportfolio wird die erwartete Volatilität des Gesamtportfolios durch eine gewissen Übergewichtung von Nebenwerten nur geringfügig steigen.  

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Lesen Sie im zweiten Teil unseres Sommerinterviews, was Dr. Gerd Kommer über Robo-Advisor und über unterschiedliche Konstruktionsarten von Indexfonds denkt.
 "Market-Timing produziert Zusatzkosten ohne zuverlässigen Zusatznutzen"


Interview: Eike Schäfer

Zur Person: Dr. Gerd Kommer ist Geschäftsführer der Gerd Kommer Invest GmbH, München. Das Anfang 2017 gegründete Unternehmen berät vermögende Privatkunden, Family Offices, Stiftungen und mittelständische Unternehmen in Finanzangelegenheiten. Zuvor war Kommer 24 Jahre lang bei europäischen Großbanken und Asset Management-Unternehmen tätig. Kommer hat BWL, Steuerrecht und Politikwissenschaft in Deutschland, USA und Liechtenstein studiert. Er ist Autor mehrerer Bücher zu Investmentthemen. 2016 wurde Gerd Kommer für das Buch "Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs" mit dem Deutschen Finanzbuchpreis ausgezeichnet.

 

"Souverän investieren mit Indexfonds & ETFs "

Pressetext des Verlages:
"Aktives Investmentmanagement – der Versuch, den Markt zu übertreffen – scheitert fast immer grandios. Gerd Kommer stellt eine einfache und fundierte Alternative vor: Investieren mit Indexanlagen."

Für dieses Buch wurde Dr. Gerd Kommer 2016 mit dem Deutschen Finanzbuchpreis ausgezeichnet. Der Preis wird von der Citigroup Global Markets Deutschland AG und der Börse Frankfurt Zertifikate AG gestiftet.


Dr. Gerd Kommer
Souverän investieren mit Indexfonds & ETFs
Wie Privatanleger das Spiel gegen die Finanzbranche gewinnen

320 Seiten, kartoniert
2015, 4. aktualisierte Auflage erschienen 
bei Campus

 

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