Samstag, 16.07.2016 13:35 von Frank Biller | Aufrufe: 940

Nie wieder Zinsen in der Eurozone?!


Die Reaktion an den Zinsmärkten nach dem Brexit war bemerkenswert – und sie könnte wegweisend sein, für das, was die Anleger bei Zinsen in der Eurozone langfristig zu erwarten haben: Nichts. Doch nicht der Brexit ist daran schuld – sondern die Eurozone selbst.

Der Kapitalmarkt erwartet eine extrem lange Nullzinsphase

In den vergangenen Wochen brachen die Erwartungen für Zinserhöhungen der EZB ein. Die Instrumente (Geldmarktforewards), an denen die Zinserwartungen abzulesen sind, signalisieren, dass keine Abkehr der EZB von der Nullzinspolitik vor 2023 am Kapitalmarkt zu erwarten ist. Gleichzeitig weisen nun auch die zehnjährigen Bundesanleihen einen negativen Zins auf. Das zeigt, für eine sichere Geldanlage ist nicht nur kein Zins mehr zu bekommen, sondern Anleger müssen sogar noch Geld draufzahlen. Sicherlich gibt es auf diese jüngste Entwicklung eine Gegenreaktion, die auch schon eingesetzt hat. Und vielleicht gibt es, wenn die Inflation wieder eindeutig positiv ist, auch wieder geringfügig positive Zinsen. Doch an der grundsätzlichen Perspektive ändert sich nichts: Die Eurozone versinkt trotz scheinbarer Ruhe immer tiefer im Schuldensumpf.

Verschuldungsspirale dreht sich immer weiter

Positive Zinsen werden zunehmend unmöglich, da sie aufgrund der Höhe der Verschuldung vieler Staaten nicht tragbar sind. Gleichzeitig haben Gesetzgeber und Notenbank starke Fehlanreize konstruiert, die die Problematik immer weiter verschärfen. Am dramatischsten stellt sich das derzeit in Italien dar. Die Banken haben laut aktuellen Meldungen faule Kredite im Umfang von 360 Mrd. Euro in den Bilanzen und brauchen dringend frisches Eigenkapital. Doch anstatt diese Banken, wie es durch neues EU-Recht vorgesehen ist, abzuwickeln und die Kapitalgeber haften zu lassen, wird schon wieder über Staatshilfen diskutiert. Und auch hierfür gibt es eine Hintertür in der EU – bei einer drohenden Störung der Volkswirtschaft sind zur Bewahrung der Finanzstabilität Staatshilfen für Banken weiter möglich. Damit wird der Weg zur Beschleunigung der Schuldenspirale geebnet. Der italienische Staat kommt schon jetzt nur an frisches Geld, weil die Banken massiv Staatsanleihen kaufen. Dieser von den Banken abhängige Staat muss nun eben diesen Bankensektor stützen. Diese fatale Symbiose kann nur aufrecht erhalten werden, weil die Banken für den Kauf der Staatsanleihen kein Eigenkapital einsetzen müssen und diese Papiere gegen neues Geld bei der EZB parken können. Das heißt, Banken können praktisch unbegrenzt Staatsanleihen erwerben und diese einfach in frisches Geld für neue Käufe umwandeln. Das sind die perfekten Zutaten für eine Schuldenspirale, die sich immer weiter dreht. Und weil die Summen so gewaltig sind – Italien ist mit rund 2,2 Bill. Euro bzw. 135% der Wirtschaftleistung verschuldet – würde jede Zinsanhebung das Kartenhaus zum Einstürzen bringen und die Eurozone wirtschaftlich in den Abgrund reißen. Höhere Zinsen werden deshalb also von der EZB über extrem lange Zeit verhindert werden. Zudem ist die steigende Verschuldung und das Ignorieren von Regeln kein ausschließlich italienisches Problem, sondern eines der gesamten Eurozone. Und es ist keine Trendwende absehbar.

Ignorieren von Regeln hat in der Eurozone Tradition

Bezüglich des starken Anstiegs der Verschuldung stehen derzeit auch Portugal und Spanien im Fokus. Sie haben im vergangenen Jahr die Obergrenze für die Neuverschuldung überschritten und Empfehlungen nicht umgesetzt. Doch das nun laufende Defizitverfahren der EU wird, wie bei ähnlichen Fällen in der Vergangenheit, im Sande verlaufen und höchstens symbolische Maßnahmen zur Folge haben. Da keine Abkehr von dieser Politik in der Eurozone absehbar ist und die Schuldenberge gewaltig sind ist, derzeit über Jahre oder gar Jahrzehnte kein Szenario mit deutlich höheren Zinsen in der Eurozone denkbar.

Anleger sollten verstärkt außerhalb Europas investieren

Was ist die Konsequenz aus dem Szenario für die Anleger? Alles in Aktien und Gold? Die damit verbundenen Schwankungen kann oder will nicht jeder tragen. Deshalb müssen Anleger für hohe Sicherheit auf Rendite verzichten. Darüber hinaus sollten sie aber auch Währungen in Erwägungen ziehen, bei denen die zugehörige Notenbank nicht immer neues Geld schafft und damit die Zinsen manipuliert.  Dabei kommen Anleihen von wirtschaftlich stabilen Schwellenländern oder moderat verschuldeten Industrieländer in Frage. Aber auch ausgewählte Anlagen mit Kreditrisiken - z.B. High Yield - können eine sinnvolle Beimischung sein. Für Anleger, die die Investments nicht selbst auswählen wollen, gibt es diverse Fonds mit entsprechenden Ausrichtungen. Warten auf deutlich höhere Zinsen ist jedoch keine erfolgsversprechende Strategie – die Perspektive der Eurozone gibt das nicht her.


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Fonds transparent
Frank Biller verantwortet bei Fonds transparent, einem anbieterunabhängigen Finanzdienstleister, die Kapitalmarkt- und Fondsanalyse. Dafür greift der Volkswirt und Bankkaufmann auf seine langjährige Berufserfahrung am Kapitalmarkt und im Research zurück. Internet: www.fonds-transparent.de
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