Quelle: frank-meyer.eu/blog/...04&more=1&c=1&tb=1&pb=1
„Blendende“ Arbeitsmarktdaten
29.07.10 20:40
von Ronald Gehrt
Also diese Amerikaner, die mogeln ja dauernd mit ihren Arbeitslosenzahlen herum, damit niemand merken soll, wie finster die Lage wirklich ist. So was gäb’s bei uns nicht, solche Mauscheleien. Wozu auch ... Arbeitslosigkeit ist in Deutschland überhaupt kein Thema mehr. Erste „Experten“, denen offensichtlich die Sommerhitze zu schaffen machte, faseln sogar schon von baldiger Vollbeschäftigung. Recht haben Sie! Haben Sie?
Sie werden sich wundern ... aber zuerst mal zu den Amerikanern: Denn da fallen so viele aus der Statistik, dass die angeblich 9,5% in Wirklichkeit ca. 16% sind, weil die ganzen unfreiwillig Teilzeitbeschäftigten und andere Bereiche einfach nicht in die Statistik einfließen. Mit diesen Berechnungskapriolen, so die allgemeine Ansicht, will man verhindern, dass der Konsum derer, die Arbeit und darüber hinaus auch noch genug Geld zum konsumieren haben, durch Angst vor Arbeitslosigkeit beeinträchtigt wird. Denn das könnte dazu führen, dass das stabile Wachstum, angeschoben von Staatsmilliarden und geschürter Hoffnung, in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus. Und damit hat man ja in den letzten Jahren unschöne Erfahrungen gemacht. Dumm nur, dass solche Beruhigungspillen nicht mehr verfangen. Auftragseingänge, Einzelhandelsumsätze, Verbrauchervertrauen, private Nettoneuverschuldung ... alles wies in den letzten Monaten auf einmal nach unten. Nur die Sparraten nicht. Die stiegen.
Wir hingegen, wir haben es natürlich besser gemacht. Die deutschen Großunternehmen melden fröhlich kräftige Gewinnsteigerungen, also muss ja alles bestens sein. Von den kleinen Firmen und Selbständigen hört man ja selten etwas. Was heißt: Denen muss es also auch blendend gehen. Oder? Gut, in meinem Umfeld, das so klein nicht ist, höre ich das Gegenteil. Aber vielleicht lebe ich in der falschen Region. Im Badischen gibt es traditionell weniger Arbeitslose als in den meisten anderen Regionen. Vielleicht also haben klagende Selbständige hier bloß ein Luxusproblem! Bestimmt!
Gerade heute überraschte uns die Bundesagentur für Arbeit mit neuen, herausragenden Zahlen. Im Juli ist die Zahl der Arbeitslosen leicht gestiegen, aber weniger, als für einen Juli normal wäre. Davon abgesehen haben wir wunderbare 271.000 Arbeitslose weniger als im Juli 2009. Jetzt sind es gerade noch 3,19 Millionen oder 7,6%. Passt also alles. Freuen wir uns! Da können wir den Amis mit ihren angeblichen 9,5% die lange Nase zeigen. Und das hebt die Stimmung ... was den Aufschwung noch beschleunigen muss, keine Frage ... und es reduziert die Neigung, mal ein klein wenig genauer hinzusehen ... oder gar (Gott behüte) mal nachzudenken.
Würde man ein wenig genauer hinsehen, würde einem im besten Fall schwindlig. Denn nein, wir machen es dem Amerikanern nicht nach, wenn es um das „Pflegen“ von Statistiken geht. Wir sind, wie es sich gehört, mal wieder Marktführer in diesem Bereich!
Denn diese 3,19 Millionen oder 7,6% ... das sind genau gesagt keine Arbeitslosen, sondern offiziell registrierte Arbeitssuchende entsprechend eng gefasster Kriterien. Faktische Arbeitslose hätten wir ein paar wenige mehr. Wollen wir mal schauen, wer da alles durchs statistische Gitter rutscht... und noch vor Jahren mitgezählt wurde ... bevor die erfreulichen Daten veröffentlicht werden? Das ist gar nicht so wenig. Mich erinnern die Daten, die heute in den Schlagzeilen stehen, an einen Dönerspieß kurz vor Feierabend, so viel wurde da heruntergesäbelt.
Fangen wir mal an.
Arbeitslose, die älter als 58 sind (da fehlen noch allerhand Jahre bis zur Rente!) und ein Jahr lang kein Jobangebot mehr erhalten haben, fliegen einfach aus der Statistik. Das sind momentan ca. 350.000!
Wer zu ein Euro-Jobs „abkommandiert“ ist, wird nicht gezählt. Das sind momentan ca. 310.000 Menschen.
Wer sich in Kursen befindet, die man als berufliche Weiterbildung ansehen kann (also fast alles), ist nicht erfasst. Das sind momentan über 190.000 Personen.
Wer zu anderen Arbeitsvermittlern abgeschoben wurde, ist aus der Statistik raus. Das sind 200.000 Menschen.
Wer krank ist (!), steht dem Arbeitsmarkt somit gerade nicht zur Verfügung, also schwupp raus aus der Statistik. Momentan sind das ca. 35.000 Personen.
Auch nicht dabei sind Personen, deren Arbeit vom Arbeitsamt mit- oder fast vollfinanziert wird und Leute in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, auch noch mal insgesamt ca. 35.000.
Insgesamt müssten wir also noch mal 1,1 Millionen Personen dazurechnen. Dann kämen wir auf 4,3 Millionen oder, auf unsere „job force“ von ca. 42 Millionen gerechnet, auf eine Arbeitslosenquote von knapp über zehn Prozent.
Würde man nun aber die Kriterien anlegen, die man bei den Amerikanern anlegt, wenn man die oben genannten 16% berechnet, wären wir damit noch lange nicht fertig.
Was ist nämlich mit all denen, die zwar keine Arbeit haben, aber nicht beim Arbeitsamt gemeldet sind, weil sie keine Ansprüche haben und ohnehin keine Chance sehen, von dort einen neuen Job vermittelt zu bekommen? Glauben sie nur nicht, das wären nur ein paar wenige. Ich selbst kenne viele, die so vorgegangen sind. Denken Sie nur, als Beispiel, an Hausfrauen, die nach längerer Zeit wieder arbeiten wollen und nach einer Stelle suchen. Wie viele könnten das sein? Niemand weiß es. Sind 200.000 zu viel? Wohl eher viel, viel zu wenig. Aber wir wollen mal defensiv rechnen ... also 200.000.
Was ist mit denen, die unfreiwillig wenig arbeiten? Als arbeitslos (oder eben besser „arbeitssuchend“) gilt laut Agentur für Arbeit nur, wer weniger als 15 Stunde pro Woche arbeitet. Was ist mit denen, die 20 Stunden arbeiten und mit den Kurzarbeitern? Solche Personen werden in der „großen“, inoffiziellen Statistik bei den Amerikanern (die mit der 16%-Quote) ja mitgerechnet. Alleine gut 480.000 Kurzarbeiter kämen da noch hinzu ... plus die nicht ermittelbare Zahl derer, die nur 20 Stunden arbeiten, aber dringend nach einer vollen Stelle suchen (auch da kenne ich selbst nicht wenige). Wären wir richtig naiv, würden wir diese Gruppe mit nur 200.000 beziffern. Also machen wir das mal.
Mit Kurzarbeitern kommen wir dann auf weitere knapp 900.000. In Relation zu der „großen“ US-Statistik wären wir dann bei 5,2 Millionen. Oder 12,1%. Und das ist sehr konservativ gerechnet. Sehr!
Mal ehrlich: Ist es wirklich angebracht, von baldiger Vollbeschäftigung zu reden (das wären Quoten unter vier Prozent) ... oder wäre es nicht klüger, sich die wirkliche Lage vor Augen zu führen? Und dabei vielleicht einzubeziehen, dass die Entwicklung laut der Stimmung der Verbraucher und großen Unternehmen zwar momentan „Partylaune“ suggeriert ... aber die Prognosequalität solch subjektiver Einschätzungen war auch schon Anfang 2008 fatal, als man wirklich und ernstlich glaubte, die Krise in den USA würde uns nicht tangieren, immerhin sei da noch China.
In den USA wird es gerade wieder finster und China tritt auf die Wachstumsbremse. Ich habe sehr den Eindruck, dass viele, die von Krisen nichts außer fallenden Preisen im Einzelhandel mitbekommen, weil sie selbst noch Arbeit haben, die Lage nach einem Jahr „Aufschwung-Propaganda“ in allen Kanälen ein wenig zu rosig sehen. Diese Arbeitsmarktzahlen aus deutschen Landen sehen blendend aus ... aber in Wahrheit sind sie nur „Blender“!
Mit den besten Grüßen
Ihr Ronald Gehrt