11. April 2009 Viele Gespräche in deutschen Familien des sogenannten bürgerlichen Mittelstands laufen derzeit etwa so ab: „Wann hast du eigentlich das letzte Mal deinen Depotauszug überprüft?“ „Das ist schon eine Weile her.“ „Aber an den Aktienmärkten geht es doch schon seit Monaten bergab.“
„Ja, aber wir haben doch auch in früheren Krisen unsere Aktien nie verkauft.“ „Das stimmt, aber dieses Mal scheint doch alles etwas schlimmer zu sein als sonst. Und hast du einmal überprüft, ob die ganzen festverzinslichen Wertpapiere, die wir haben, von Staaten und Unternehmen ausgegeben wurden, die noch zahlungsfähig sind? Kannst du denn den Depotauszug einmal suchen?“ „Hier ist er.“ „Danke. Sag mal, was ist denn eigentlich ein ,Vivaldis G.S.L.', Laufzeit bis November 2031?“ „Wie bitte?“ „Wann warst du denn zuletzt bei deiner Anlageberaterin?“ „Ich glaube, ich muss da mal einen Termin ausmachen.“
Die Rede ist hier nicht etwa von Familien, die sich selbst als reich empfinden würden. Vielmehr geht es um Familien, in denen seit Jahrzehnten hart gearbeitet und solide gelebt worden ist, die stets einen großen Anteil an der Steuerlast des Staates getragen haben - und tragen werden. Um Familien, von denen die meisten sogar ihre Kirchensteuern noch zahlen, in denen es möglicherweise auch schon abbezahltes Immobilieneigentum, bei den Kindern aber durchaus auch noch Schulden gibt. Es geht um diejenigen, die die Abwrackprämie für das alte Auto nicht in Anspruch nehmen können, da sie ihre Autos in der Regel immer nach gut fünf Jahren ausgetauscht haben. Und es geht um die, die alles dafür tun, dass ihre Kinder den Anschluss an den globalen Bildungswettbewerb finden, um Familien, in denen noch Bücher (vor)gelesen werden.
Die Rede ist von Menschen, die noch Mitglied im örtlichen Sportverein sind und Freude daran haben, wenn im Garten kein Chaos herrscht. Es geht um Familien, wo in dem kleinen tragbaren Videospiel mit dem Namen „Nintendo DS“ neben Spielen nicht selten auch Programmkassetten wie „Dr. Kawashimas Gehirnjogging“ stecken - auch wenn die Eltern angesichts einer 50- bis 60-Stunden-Woche im Büro kaum Zeit dazu haben, das Gerät überhaupt zu benutzen.......
Doch sie haben viel zu verlieren. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank betrug allein das Geldvermögen der Deutschen im Jahr 2007 insgesamt 4564 Milliarden Euro (siehe Grafik). Nun könnte man einwenden, dass das alles nicht so schlimm ist. Denn wer viel hat, kann auch viel geben, wie Pastoren gerne sagen. Und außerdem hat der Wert 1997 (aus D-Mark-Zeiten umgerechnet) noch bei gerade einmal 2962 Milliarden Euro gelegen - und auch damals ging es den Deutschen ja nicht wirklich schlecht.
Aber: Die Zahlen von 2007 sind zwar die jüngsten, die sich für ein vollständiges Jahr bei der Bundesbank beschaffen lassen, doch für 2008 dürfte der Wert schon deutlich niedriger liegen. Schätzungen amerikanischer Investmentbanken sprechen unisono von einem Minus im Gesamtvermögen der Haushalte von rund 30 Prozent in den Jahren 2008 und 2009. Was die Menschen wirklich umtreibt, ist aber in erster Linie gar nicht das Geld, über das sie heute verfügen könnten, sondern ihre Altersvorsorge. Also Schublade aufziehen und nach den Standmitteilungen der Lebensversicherung suchen. Dort gibt es ja immer auch Hochrechnungen, was man, zum Beispiel im 63. Lebensjahr, für eine Ablaufleistung zu erwarten hat. Besonders ernüchternd ist es, einmal eine Standmitteilung von Mitte 2002 mit der von Mitte 2008 zu vergleichen. Dort kann, trotz stetiger Beitragszahlungen in den dazwischen liegenden Jahren, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Lücke in der Ablaufleistung von mehreren zehntausend Euro zu finden sein.
Und die Frage, was passiert, wenn die Staaten ihre milliardenschweren Rettungsprogramme für Banken und Konjunktur nach einer Deflationsphase letztlich doch mit Inflation bezahlen, beantwortet der Blick auf die Standmitteilung der Lebensversicherung ohnehin nicht. Versicherungen sind der Deutschen liebste Altersversorge, gut ein Viertel des Vermögens der privaten Haushalte ist nach den Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft in ihnen geparkt.....
„Wie soll man darauf nur reagieren?“, fragt selbst der alte Freund, der bei einer Bank arbeitet und dort vermögende Privatkunden berät. Er weiß zwar, was seine Bank empfiehlt. Er sieht aber auch, wie langsam sie auf Marktbewegungen reagiert, wie sehr es seinen Chefs mit ihren Renditevorgaben für die eigene Bank nach wie vor darum geht, den Kunden immer neue Produkte zu verkaufen, an Provisionen zu verdienen, jetzt, wo es auf dem Tagesgeldkonto ja auch praktisch keine Zinsen mehr gibt. Die Dresdner Bank zum Beispiel hat die Zinsen für Tagesgeld am Gründonnerstag auf inzwischen nur noch 1 Prozent gesenkt.
Die Antwort des Banker-Freundes ist die Investition in vermietete Immobilien. „Denn von einem Verfall der Häuserpreise kann in Deutschland ja nun wirklich keine Rede sein“, sagt er. ...
Die Generation der 40 bis 50 Jahre alten Arbeitnehmer steht vor einer echten Herausforderung; erstmals seit Jahrzehnten sind ihre Familien mit der sehr realen Gefahr eines hohen und zugleich langfristigen Vermögensverlustes konfrontiert.
Denn dieser Wirtschaftsabschwung wird sich zu einem großen Gleichmacher entwickeln, dem sich vielleicht nur die ganz Reichen entziehen können, die längst einen Teil ihres Vermögens vollkommen sicher angelegt haben: „Ich war gerade beim Notar und habe Wald gekauft“, sagte jüngst ein vermögender Berater seinem Kunden, dem Vorstandsvorsitzenden eines großen Unternehmens. Der staunte zunächst ungläubig: „Seid ihr jetzt alle verrückt geworden?“ Doch der interessierte Zuhörer merkte, dass er sich den Anlagetipp gewiss gemerkt hat.Denn andere gute Anlagetipps gibt es kaum. Natürlich sind in den vergangenen Wochen und auch am Handelstag vor dem Osterfest die Aktienkurse wieder gestiegen, sogar um mehr als 3 Prozent. Aber wie geht es weiter?....
Und welche solide Mittelstandsfamilie möchte sich schon dem „Day-Trading“ hingeben, die Aktienkurse Tag für Tag im Auge behalten, stets schnell kaufen und verkaufen - und wer weiß dann schon, ob er wirklich alles richtig gemacht hat?........
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