Ich benutze diesen Post mal als Sammelantwort zu den diesbezüglichen Postings von Stöffen, wawidu, und AL.
Anders als Ihr bin ich mittlerweile zu der Auffassung gekommen, dass mittelfristig der Preisrutsch längerfristiger Bonds nicht weitergeht, sondern dass es von einem nicht weit entfernten oder sogar erreichten Boden eher wieder aufwärts gehen sollte:
a) mein Grundszenario ist bekanntermassen "Japan 1990", also vergeblicher Kampf für Reflationierung.
b) "mittelfristig" bedeutet für mich 6 Monate bis 1 Jahr. Was langfristig ist, eignet sich in der Praxis IMHO nur für allgemeines Stammtisch-Palaver, aber kaum für Spekulationsentscheidungen. Unabhängig davon sehe auch etwas längerfristig keine Inflation, aber im Augenblick interessiert ich das einfach nicht, weil ich um die Entscheidung zu kurz- und mittelfristigen Spekulationen ringe.
c) es ist ein Irrtum, aus einer hier im Forum schnell mal implizierten pauschalen "die Amis haben abgewirtschaftet"-Haltung auf einen zusammenbrechenden Dollar und Bonds zu schliessen. Die makroökonomischen Ströme sind nicht immer intuitiv, und ein von mir und den meisten Bären hier erwarteter Rückgang der Indizes führt wegen Deleveraging z.B. tendenziell zu einem stärkeren Dollar und einem Anstieg von US-Bonds.
d) der von mir in
#44429 überwiegend scherzhaft gepostete 30-Jahre-Anstieg der Longbonds wird sich so natürlich nicht fortsetzen. Aber einen strategischen Umkehrpunkt erwarte ich - anders als wawidu - jetzt erstmal auch nicht. Wenn "Japan 1990" in vollem Umfang Wirklichkeit werden sollte, dann würden wir auf dem erreichten Plateau ein paar Jahre stehenbleiben.
e) der im
Chart von Stöffen aus der Depressionszeit gezeigte Kursverlauf der Longbonds mit dem Zusammenbruch 1931/32 ist eben tatsächlich nicht typisch (jawoll: this time it's different! :-), weil damals Fed und Treasury eben gerade den Fehler gemacht hatten, das Geld zu verknappen und die Zinsen zu erhöhen. Damals fürchtete man nämlich, dass eine im Verhältnis zur geschrumpften Wirtschaftsleistung gleichbleibende Geldmenge inflationär wirken würde und wollte die reduzieren. Heute denkt und handelt man in diesem Punkt genau umgekehrt. Ob erfolgreich oder sinnvoll oder nicht, das soll in diesem Post nicht mein Thema sein.
f) das Output-Gap bzw. die sehr niedrige (auch internationale) Kapazitätsauslastung gibt kaum Unterstützung für Reflationierungsversuche, und erhält die Preisfindungspower auf Seiten der Käufer. Da dieses Umfeld aber gleichzeitig kaum grosse Renditen aus Investments verspricht, dürften auch die realen Zinsen niedrig bleiben. Beides kombiniert sollte IMHO für ein starkes Cap auch auf den Langfristzinsen sorgen, solange bis man ein glaubwürdiges Reflationierungszenario hat. Und das dürfte dauern, weil sich IMHO im Laufe der Zeit immer mehr Leute dem Szenario "Japan 1990" anschliessen werden.
g) das sehr starke US-Staatsdefizit verstellt IMHO ein wenig den Blick: im Augenblick scheint der US-Bürger (mit gutem Grund!) wieder zu sparen, und dürfte IMHO auch dabei bleiben, zwangsweise und aus Vernunft. Ich habe keine genauen Daten, aber meine mich an eine Sparquote von 5..8% zu erinnern. Nehmen wir mal 6%, dann rechnet sich das Pi-mal-Daumen auf ca. 700 Mrd. USD pro Jahr um. Das wäre über den dicken Daumen schon etwa die Hälfte des Staatsdefizits, und es würde gleichzeitig plausibilieren, warum der Staat durchaus prinzipiell zunächst (!) per Deficit Spending einspringen sollte (aber zu diesem Thema möchte ich aus meiner makroökonomischen Froschperspektive wirklich keinen Expertenstreit lostreten :-)
Alles in allem gibt mir das doch ein Gefühl, dass wir spätestens bei 110 in den Longbonds einen Boden haben sollten. Dabei fühle ich mich auch durch Dough Kass mental gestärkt, der bei den 10-jährigen bei 4.1..4.2% ein Top erwartet. Nach dem alten Ami-Motto "Put your money where your mouth is" habe ich deshalb heute bei 112.5 eine Longposition in den September-Longbonds aufgebaut.
Wenn es zu der erhofften und/oder erwarteten bärenkompatiblen Trendumkehr an den Aktienmärkten kommt, dann dürften wir relativ schnell wieder die 120 sehen.
P.S.: Anekdotisch kann ich dazu noch ergänzen: Anleihen waren mir eigentlich immer fremd, aber als ich im Januar sah, wie die Langfristzinsen ins Bodenlose fielen, da habe ich mir gesagt "Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wenn die Amis unter Führung von Helikopter-Ben mit ihrer geballten Intelligenz und Brutalität mit aller Gewalt eine Reflationierung erzwingen wollen, dann werden sie das am Schluss auch hinkriegen!". In der Folge bin ich ab ca. 133 massiv short Longbonds gegangen, was sich auch ausgezahlt hat. Heute, nachdem ich mich etwas tiefer mit Anleihen beschäftigt habe, halte ich es für gut möglich, dass ich damals auf Grund einer falschen Überlegung - nein nicht das Richtige, sondern - das Erfolgreiche getan habe ;-). Als alter Querdenker muss ich entsprechend jetzt für grundsätzlich möglich halten, dass ich heute aus einer richtigen Überlegung heraus etwas schlussendlich Unerfolgreiches angefangen habe ;-))