Die deutsche Wirtschaft hat ihren freien Fall im Frühjahr gestoppt und ist sogar wieder leicht gewachsen. Im Sommer dürfte nun ein kräftiges Plus anfallen. „Es wird Wachstumsraten geben, die wie ein Aufschwung erscheinen - es ist aber keiner“, sagt der Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Norbert Walter. Wer nur auf die Veränderung von Quartal zu Quartal blickt, der übersieht, wie tief das Niveau ist, auf dem die Wirtschaft nun wächst. Auch die verbesserten Stimmungsindikatoren wie der Ifo-Index oder der Einkaufsmanagerindex liegen im längerfristigen Vergleich noch auf einem sehr bescheidenen Niveau.
In den vier Quartalen der Rezession, die im Frühjahr 2008 begann und im Herbst und Winter in einen regelrechten Sturzflug überging, ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um rund 6 Prozent geschrumpft. So einen rapiden Verfall gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Die bislang schwerste Rezession im Jahr 1975 brachte nur einen Rückgang um 0,9 Prozent. Obwohl sich die Schockstarre der Wirtschaft nun gelöst hat, wird die Krise noch länger andauern und weitere Opfer fordern.
Strukturkrise der Automobilindustrie wird erst noch sichtbar
Spätestens im Winter wird die Arbeitslosigkeit schubartig steigen, wenn auch das Horrorszenario von 5 Millionen Arbeitslosen bis Ende 2010 nicht eintreten dürfte. Sorgen bereiten die etwa 1,4 Millionen Kurzarbeiter vor allem in der Industrie; wenn die Produktion nicht bald wieder auf ein deutlich höheres Niveau steigt, sind ihre Arbeitsplätze gefährdet. Vielen Unternehmen drohen zudem zunehmende Finanzierungsschwierigkeiten, wenngleich von einer breiten Kreditklemme noch nicht die Rede sein kann.
Im zweiten Quartal 2009 haben vor allem die privaten und staatlichen Konsumausgaben die Nachfrage gestützt. Das ist überwiegend auf die großen Konjunkturprogramme zurückzuführen. Der private Konsum stieg gegenüber dem Vorquartal um 0,7 Prozent - getragen vor allem durch die Anreize aus der Abwrackprämie. Durch diese Subvention haben die Deutschen im ersten Halbjahr fast ein Viertel mehr Autos gekauft als im Vorjahr. Ohne die Autokäufe hätte es keine Steigerung des Konsums gegeben, sondern einen Rückgang um ein Prozent, haben die Statistiker errechnet.
Zugleich stärkt die niedrigere Teuerung, bedingt vor allem durch die Korrektur des Ölpreises, die Kaufkraft der Verbraucher. Die Reallöhne der Arbeitnehmer steigen dieses Jahr tariflich um etwa 2 Prozent - mitten in der Krise erstaunlicherweise stärker als in den Aufschwungjahren. All das dürfte den Konsum noch eine Weile stützen. Wenn allerdings die Arbeitslosigkeit steigt und die Abwrackprämie demnächst ausläuft, könnte diese Stütze wegbrechen. Die Strukturkrise der Automobilindustrie wird dann voll sichtbar.
Rezession wäre weitergegangen
Neben dem Konsum haben die Bauinvestitionen im Frühjahr zugenommen. Im Vorquartal lag der Bau allerdings wegen des recht strengen Winters darnieder. Das relativiert das kleine Plus von 1,4 Prozent im Quartalsvergleich. Im Sommer und Herbst dürfte die Bauindustrie stärker wachsen, wenn die staatlichen Infrastruktur- und Sanierungsprogramme voll anlaufen. Besonderes Augenmerk legen viele Konjunkturbeobachter auf die Entwicklung der Ausrüstungsinvestitionen: Im Frühjahr sanken die Anschaffungen von Maschinen und Anlagen nur noch um 0,5 Prozent - was einige Volkswirte als Stabilisierung werteten. Verglichen mit dem Vorjahr, lagen sie um 18,5 Prozent niedriger; das zeigt die Tiefe des Absturzes.
Viele Unternehmen haben im Herbst und Winter sämtliche Investitionen gestoppt. Zudem haben sie fast panikartig die Produktion zurückgefahren und von Vorräten gelebt. Der Lagerabbau hat im zweiten Quartal die BIP-Statistik nochmals stark belastet und rechnerisch einen Wachstumsbeitrag von minus 1,9 Prozent geliefert. Dass die Unternehmen ihre Lager noch weiter geleert haben statt neu zu produzieren, war ein Reflex auf ihre pessimistischen Absatzerwartungen. Nun müssten eigentlich die Vorräte weitgehend aufgebraucht sein. Dreht der Lagerzyklus, könnte dies die Produktion kräftig antreiben und der Industrie deutliche Zuwächse verschaffen.
Den rechnerisch größten Wachstumsbeitrag hat im Frühjahr ironischerweise der Außenhandel gebracht. Zwar ist der Export im zweiten Quartal nochmals um 1,2 Prozent gesunken, im Vorjahresvergleich war er sogar um 23 Prozent niedriger. Ein positiver Saldo ergab sich jedoch, weil der Import gegenüber dem Vorquartal preisbereinigt noch viel stärker zurückging, nämlich um 5,1 Prozent. So hat der insgesamt geschrumpfte Außenhandel einen höheren Exportüberschuss erzielt als im Vorquartal, was die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung verbessert. Ohne diesen positiven Außenbeitrag wäre auch im zweiten Quartal die Rezession weitergegangen.
Welche der beiden Kräfte wird überwiegen?
Wie schnell die stark exportgetriebene deutsche Wirtschaft aus der Talsohle herauskommt, wird von der Erholung der Weltwirtschaft abhängen. Frankreich, der vom Volumen her wichtigste Handelspartner, hat sich im zweiten Quartal aus der Rezession befreit und ein leichtes Wachstum verzeichnet. Jenseits des Atlantiks deutet sich an, dass die gigantischen staatlichen Konjunkturhilfen die amerikanische Wirtschaft vorerst stabilisiert haben. Als eigentlicher Wachstumsmotor erscheint derzeit allerdings Asien, und dort insbesondere China. In China haben die staatlich geförderten Investitionsprojekte ein enormes Ausmaß erreicht, wovon auch deutsche Unternehmen profitieren.
Die staatlichen Konjunkturhilfen geben einen kurzfristigen Schub, der aber nicht weit ins nächste Jahr reichen wird. Ob nun der Mini-Aufschwung der deutschen Wirtschaft im zweiten Halbjahr in eine dauerhafte Erholung mündet, wird maßgeblich von der Auslandsnachfrage abhängen: Nimmt sie schneller zu als die Binnennachfrage, die infolge des absehbar schwächeren Konsums schwindet? Noch ist nicht ausgemacht, welche der beiden Kräfte überwiegen wird.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: F.A.Z.
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