Montag, 27.06.2016 10:38 von Frank Biller | Aufrufe: 362

Risiken nach dem Brexit und die Konsequenzen für Anleger


Trotz knapper Umfragen waren sich die Kapitalmarktteilnehmer und die Buchmacher, deren Quoten eine gute Prognosequalität haben, vor dem britischen Referendum einig: Es wird keinen Brexit geben. Umso größer war der Schock für die Märkte, die ein Votum für den Verbleib in der EU weitgehend eingepreist hatten, als die Briten doch für den Brexit stimmten. Die Anleger wurden fast kollektiv auf dem falschen Fuß erwischt. Nach dem ersten Schock erfolgt nun der Blick auf die Risiken, die aus dem Abstimmungsergebnis resultieren, sowie sinnvolle Reaktionen für die Anleger.

Übergangsfrist bietet Zeit für Neugestaltung der Wirtschaftsbeziehungen

Klar ist, dass sich kurz- und mittelfristig im Handel und den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU nichts ändert. Der Lissaboner Vertrag sieht eine zweijährige Übergangsfrist vor, nachdem die Regierung den Austritt gegenüber Brüssel erklärt hat. In dieser Zeit kann Großbritannien mit der EU die Details des Austritts und die neuen Grundlagen für die Beziehungen verhandeln. Ein Schock für die Wirtschaftsbeziehungen ist also nicht zu erwarten, sondern lediglich Unsicherheit und damit verbundene Investitionszurückhaltung der Unternehmen in Großbritannien. Doch auch nach einem Austritt sind gute Handelsbeziehungen mit der EU ohne eine Mitgliedschaft möglich. Das zeigen insbesondere die positiven Beispiele Schweiz und Norwegen, die keine EU-Mitgliedsländer sind. Diese Länder unterhalten einzelne Abkommen mit der EU oder sind Mitglied des europäischen Wirtschaftsraums. Zudem dürfte die Mehrheit der politischen Akteure kein Interesse an nachhaltig schlechten Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien haben.

Risiko für die Eurozone hat zugenommen

Das Risiko aus dem britischen Votum resultiert deshalb aus einem anderem Szenario: Weitere EU-Mitgliedsländer folgen dem Beispiel Großbritanniens und führen Abstimmungen über die EU-Mitgliedschaft durch. Dabei entscheidet sich ein Land der Eurozone für einen Austritt aus der EU. Damit wäre höchstwahrscheinlich auch ein Austritt aus der Eurozone verbunden. Denn eine Mitgliedschaft in der Eurozone ohne EU-Mitgliedschaft erscheint ausgeschlossen. Draghis‘ „Whatever it takes“, womit er das Mandat der Zentralbank bis an die äußersten Grenzen gedehnt hat, und die Spekulationen über einen Zerfall der Eurozone während des Hochpunkts der Eurokrise 2012 unterband, wäre hinfällig. Demokratische Entscheidungen, die Staatengemeinschaft und damit den Währungsraum zu verlassen, machen das Versprechen der Notenbank, alles zur Verteidigung der Eurozone zu tun, wirkungslos. Alle Länder der Eurozone mit starken europaskeptischen oder rechtspopulistischen Kräften sind damit ein Risiko für den Zusammenhalt der Eurozone. Zeichnet sich tatsächlich ein Ausscheiden eines Mitgliedslandes der Eurozone aus der EU ab, würde die Eurokrise wieder aufflammen, ohne dass die Zentralbank über Handlungsmöglichkeiten zu ihrer Bekämpfung verfügt.

Die Folge des Brexits ist deshalb eine latente und langanhaltende Unsicherheit über den Zusammenhalt Europas und der Eurozone. Gleichzeitig wird die EU dadurch mit der Notwendigkeit von Reformen konfrontiert. Da Europa in vielen Fragen zuletzt jedoch wenig Einigkeit gezeigt hat und höchst unterschiedliche Ansichten darüber bestehen, wie notwendige Reformen auszugestalten sind, ist es sehr fraglich, ob es der EU gelingt, die Skepsis der Bürger beseitigen.

Neuorientierung für Anleger sinnvoll

Für den Anleger heißt dieses Szenario zwar nicht, dass panikartig alle Aktieninvestments verkauft werden sollten. Es scheint jedoch attraktiver, stärker außerhalb der Eurozone zu investieren und eine defensive Ausrichtung zu wählen. Regional bietet sich vor dem Hintergrund dieses Szenarios eine globale Orientierung am MSCI World anstelle von DAX und Eurostoxx an, wie es bei den meisten europäischen Anlegern der Fall ist. Zudem sind defensive Strategien eine sinnvolle Option: z.B. die Anlage in Aktien mit geringer Volatilität oder in Unternehmen mit defensiven Geschäftsmodellen und hohen Dividendenzahlungen. Für Anleger, die diese Ausrichtung in ihrer Anlage nicht durch die Auswahl einzelner Aktien realisieren möchten oder können, bieten sich Fonds an, die diese Strategien mit globaler Ausrichtung umsetzen.

Darüber hinaus können Anleger auch gezielt von der Unsicherheit profitieren. Hierfür sind Investments in Volatilität und zwar in Form einer Short-Position interessant. Dies lässt sich einfach durch verschiedene Instrumente umsetzen. Wer nicht wie ein professioneller Anleger Optionen an der Eurex verkaufen möchte, kann dies durch den Kauf von Aktienanleihen oder Discountzertifikaten umsetzen. Diese beinhalten immer auch eine Short-Position in einer Option. Aufgrund der hohen Unsicherheit sind die Prämien für Optionen derzeit sehr hoch. Aber auch verschiedene Fonds setzen Strategien um, die systematisch Optionsprämien vereinnahmen und damit derzeit stark von der hohen Unsicherheit profitieren.

Fazit

Nach dem Brexit-Schock erscheint eine Neuorientierung der Geldanlage sinnvoll. Zwar halten sich die kurzfristigen wirtschaftlichen Risiken in Grenzen, die langfristige Unsicherheit hat in Europa aber erheblich zugenommen. Eine stärkere globale Ausrichtung der Anlage und ein gezieltes Investment in Volatilität können die Risiken für heimische Anleger reduzieren und Chancen auf Erträge eröffnen. 

Wie auch immer Sie auf die neue Unsicherheit reagieren, das Fonds transparent-Team wünscht Ihnen in dieser volatilen Marktphase erfolgreiche Anlageentscheidungen.


Über den Autor

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Fonds transparent
Frank Biller verantwortet bei Fonds transparent, einem anbieterunabhängigen Finanzdienstleister, die Kapitalmarkt- und Fondsanalyse. Dafür greift der Volkswirt und Bankkaufmann auf seine langjährige Berufserfahrung am Kapitalmarkt und im Research zurück. Internet: www.fonds-transparent.de
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