Freitag, 05.07.2013 15:37 von Robert Halver | Aufrufe: 1209

Guten Morgen liebe Sorgen, seid Ihr auch schon alle da.

… habt Ihr auch so gut geschlafen, na, dann ist ja alles klar“, so lautet der Refrain eines Liedes von Jürgen von der Lippe. Geschlafen haben seit Sommer 2012 auch die Sorgen unserer Finanzwelt. Spätestens jedoch durch den lauten Wecker einer zuletzt „verhaltensauffälligen“ US-Notenbank sind sie wieder erwacht.

 

So auch in Euroland, wo ich die Freude vieler Politiker über fallende Lohnstückkosten oder die Defizitverringerung der Leistungsbilanz in Ländern wie Spanien oder Griechenland nicht teilen kann. Sie sind nicht Folge einsetzender Reformbewegungen, sondern Ausdruck einer dramatisch sinkenden Wirtschafts- und Kaufkraft mit dem Resultat einer schwachen Schuldentragfähigkeit. Damit ist auch der nächste griechische Schuldenschnitt so unausweichlich wie der nächste Winter, selbst wenn er aus politischen Gründen nicht vor der Bundestagswahl kommen wird (darf).

 

Auch aus dem stabilen Land der Mitte droht Ungemach. Dort versucht die chinesische Führung der Mutter aller Kreditblasen mit einer angeordneten Kreditklemme Einhalt zu gebieten. Haben Sie schon einmal versucht, brennendes Frittenfett mit Wasser zu löschen?

 

Und zu allem Verdruss kommt jetzt auch noch US-Notenbankchef Ben Bernanke hinzu, der vom Nikolaus zu Knecht Ruprecht zu mutieren scheint.

 

Diese Sorgen stellen grundsätzlich schon genug Halali für Vermögensverwalter und Banken dar, um Anlagerisiken drastisch zurückzufahren. Überhaupt, ist nicht der unsichere Ausgang der anstehenden Bundestagswahl ein geschenktes Alibi für Anleger, sich bis mindestens September aus den Finanzmärkten zu verabschieden? Immerhin hatten sich ja bis Mai durchaus schöne Renditen angesammelt. Und auch auf die Gefahr hin, dass ich fünf Euro ins Phrasenschwein stecken muss: An Gewinnmitnahmen ist noch nie jemand gestorben.

 

Hühner, die keine Ruhe finden, legen auch keine Eier

 

Im Extremfall kann dies eine fatale Eigendynamik entwickeln. Einer geht voran und verkauft und wie beim Dominoeffekt folgen die Anderen und verkaufen auch. Aus einer Mücke könnte schnell ein Elefant werden. Neue Risiken werden konsequent gemieden und die Banken betreiben eine noch diszipliniertere Kredit-Askese. Bei gleichzeitig steigenden Zinsen sind dann auch die fundamentalen Anlageperlen nicht mehr ungefährdet. Die Akkumulation von deflationären Schocks hätte schließlich aus einer leichten Sommerbrise den weltweit perfekten Sturm gemacht.

 

So etwas hatten wir schon einmal im Sommer 2011. Wird der Sommer 2013 jetzt auch so heiß? Nein, denn ähnlich wie in einem Abenteuer von Odysseus, als er die Meerenge von Messina passieren musste, an deren einem Ende das gefräßige sechsköpfige Ungeheuer „Scylla“ und am anderen Ende der alles verschlingende Meeresstrudel „Charybdis“ begierig auf neue Opfer warteten, sind Notenbanker heute mehr denn je zur Filigranarbeit verdammt.

 

Während bei Odysseus noch die Gefahr nur vom rechten und linken Ufer drohte, kommt sie heute auch noch von oben und unten. Denn heutzutage sind die konjunkturellen und geldpolitischen Wechselwirkungen, ihre Ursachen und Zusammenhänge - auch auf der zeitlichen Ebene - „physikalisch“ nicht mehr so kalkulierbar wie „Gewicht plus Kraft gleich Hühnerauge“.

 

Ben Bernanke wird abseits seiner finanzmarktblasenverhindernden Verbalerotik wie ein Top-Spion - so was können Amerikaner offensichtlich gut - die welt-(finanz-) wirtschaftliche Lage genauestens sondieren. Bernanke wäre der erste US-Notenbankpräsident, der Konjunktur und Finanzmärkte nicht auf einer Sänfte tragen würde und Risiken minimiert. Er weiß genau, dass angesichts einer weltweiten Überschuldung deflationäre Prozesse das Letzte sind, was die Welt braucht. Nur Inflation frisst Schulden auf.

 

Seit dem 4th of July 2013 ist die EZB auf Augenhöhe mit der Fed

 

Geradezu eine Sensation war die Pressekonferenz von Mario Draghi nach der letzten EZB-Sitzung am 4. Juli 2013. Bislang hatte noch kein Notenbankpräsident der Eurozone regelrecht versprochen, die Happy Hour der Geldpolitik nicht nur zu verlängern, sondern die gute Laune durch weitere Zinssenkungen und außerordentliche Maßnahmen noch zu heben. Den Kollateralschäden einer verbal angedrohten Liquiditätseinschränkung der Fed auf Renditen in Portugal, Spanien und Co. setzt er seine Sorgenpause entgegen, um den bösen Unruhegeist der Schuldenkrise wieder zurück in die Flasche zu befördern. Ben mag wanken, Mario nicht. Er ist zum heimlichen Staatspräsident der Eurozone geworden. Er stützt Finanzmärkte und Konjunktur wie die Fed in ihrer besten Sturm-und-Drang-Zeit.

 

Insgesamt könnte ich mir vorstellen, dass im Sommer das Schlimmste für die Anleihemärkte vorbei ist, weil die Finanzmärkte die Notenbanken nicht an ihren Worten, sondern ihren Taten messen werden. Die Ära von strukturell niedrigen Renditen ist alles, aber nicht vorbei. Aktien, werden zukünftig zwar mehr schwanken, bleiben aber auch nach dem Sommerschlussverkauf gefragt.

 

Mit der Verabreichung von Schlaftabletten in Familienpackungsgröße wird jetzt auch Dr. finanzmed. Draghi alles tun, damit die Finanzsorgen wieder in einen tiefen und langen Schlaf fallen. Soll sich ja keiner wie im Märchen Dornröschen wagen, sie wieder wach zu küssen. Er wird frühzeitig vom Hof gejagt.

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Baader Bank AG
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieren und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit 1990. Robert Halver ist durch regelmäßige Medienauftritte, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen und als Kolumnist präsent.
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