Mittwoch, 08.02.2012 12:16 von Jochen Steffens | Aufrufe: 506

Die sechs Kräfte des Marktes

Das antike Griechenland wird gerne auch als Wiege Europas bezeichnet. Es war eine wichtige Hochkultur, die das Bild Europas nachhaltig beeinflusste. Und jetzt scheint es wieder Griechenland zu sein, das die Geschicke Europas in den Händen hält. Dieses Mal sicherlich auf deutlich wenig rühmlichere Art und Weise. Und so sind die Blicke der Anleger weiterhin auf Griechenland gerichtet. Und wie ich hier schon schrieb: Die Meldungen sind mal euphorisch positiv, mal gedämpft negativ.

Die aktuelle Konsolidierung im DAX wird den Problemen in Griechenland zugeschrieben. Irgendein Grund muss ja herhalten und sicherlich halten sich Käufer zurück, bis die Situation in Griechenland wieder klarer ist. Doch wäre Griechenland das tatsächliche Thema, müsste die Konsolidierung deutlich stärker ausfallen. Nein, ein sehr wichtiger Punkt ist einfach, dass der Markt stark überkauft ist. Aber was heißt eigentlich „überkauft“? Dazu müssen wir etwas in die Tiefe des Marktes.

Die sechs Kräfte des Marktes

Um den Zustand des Marktes besser einordnen zu können, kann man grob sechs Kräfte am Markt ausmachen. Klassischerweise werden aber nur zwei Kräfte genannt: Es gibt die Bullen, also diejenigen die optimistisch gestimmt sind, was die weitere Entwicklung der Märkte anbelangt und die Bären, also diejenigen, die pessimistisch gestimmt sind.  Doch das allein ist nicht differenziert genug. Darüber hinaus geht es noch darum, was diese beiden Gruppen gerade tun.

Und dann gestaltet sich das Börsen-Tohuwabohu wie folgt:

Unter den Bullen gibt es einerseits diejenigen, die bereits gekauft haben und ihre Positionen halten und andererseits jene, die noch kaufen bzw. ihre Positionen aufstocken wollen.

Bei den Bären findet sich entsprechend eine Gruppe, die bereits verkauft hat und nicht mehr einsteigen will und eine andere, die noch verkaufen will.

Die Shorties

Darüber hinaus gibt es noch die Shorties, also die Marktteilnehmer, die auf fallende Märkte wetten. Auch hier gibt es entsprechend zwei Gruppen, diejenigen, die bereits auf der Shortseite investiert sind und diejenigen, die shorten wollen.

Daraus ergeben sich sechs Kräfte, die einen Einfluss auf den Markt haben oder potenziell haben können:

Potenziell bullish:

Bullen, die aktuell kaufen wollen.

Bären, die bereits verkauft haben(aber noch Interesse an der Börse haben) und bei entsprechenden Signalen wieder einsteigen.

Shorties, die bereits investiert sind und die irgendwann ihre Gewinne sichern wollen, dazu müssen Sie ihre Position zurückkaufen (wenn viele Shorties im Markt sind, entsteht gerne eine Short-Squeeze, also ein Markt, der nach einem Einbruch extrem steil ansteigt).

Potenziell bearish:

Bären, die noch verkaufen wollen

Bullen, die investiert sind, aber demnächst verkaufen könnten.

Shorties, die einsteigen wollen, also auf fallende Märkte setzen wollen (dazu müssen sie „verkaufen“).

Analyse der Gruppen anhand der aktuellen Situation

Anhand dessen, was in der Vergangenheit geschehen ist, kann ein erfahrener Trader ungefähr abschätzen, welche Gruppen noch aktiv sind und so etwas über den Zustand des Marktes erfahren.

Nehmen wir als Beispiel die aktuelle Situation im DAX, wir befinden uns nach einem Crash inmitten einer größeren Krise in einer starken Aufwärtsbewegung der Märkte.

Offensichtlich gibt es zurzeit immer mehr Anleger, die Aktien als vergleichsweise sicheres Investment für den Fall einer Ausweitung der Euro-Krise oder einer anziehenden Inflation entdecken. Das sind die Bullen, die gekauft haben und halten. (Hier verbirgt sich der Grund, warum die Märkte trotz dieser Krise nicht einfach immer weiter fallen.) Bis diese Anleger sich wieder von ihren Positionen trennen, muss schon viel passieren. Schließlich sind diese Positionen gerade für den Fall einer Krise gekauft worden. Diese Anleger werden also tendenziell eher sogar bei fallenden Kursen nachkaufen.  

Tendenz: Diese Anleger geben dem Markt das positive Fundament, denn so werden Aktien vom Markt genommen. Das Angebot an vorhandenen Aktien sinkt und wenn das geschieht, die Nachfrage aber gleich bleibt oder steigt, ziehen die Preise (Kurse) an. Hier sind in den vergangene Wochen viele eingestiegen und fehlen allerdings jetzt auf der Käuferseite.

Dazu stoßen die Anleger, die gerade erst entdecken, dass sie Aktien als Kriseninvestment nutzen können. Diese wollen noch einsteigen. Doch vielen dürfte der Markt zurzeit zu stark angestiegen sein, sie werden auf eine Konsolidierung warten.

Tendenz: Sinkender Kaufdruck, der erst wieder bei einer Konsolidierung zunehmen wird.

In einer ähnlichen Situation sind die institutionellen Anleger. Viele werden bereits länger investiert sein (sie sind zum Beispiel im Crash oder kurz danach eingestiegen). Hier werden viele bei deutlicheren Warnzeichen erste Gewinne mitnehmen und so als Verkäufer auftreten. Diese Markteilnehmer leiten oft eine Konsolidierung ein.

Hinzu kommen die institutionellen Anleger, die gerade aufgrund des Performancedrucks in den Markt getrieben werden. Diese sind jedoch hoch nervös und werden auch schnell wieder auf die Verkäuferseite wechseln.

Tendenz: Da diese Anleger meistens ihre Positionsgröße an die Marktsituation anpassen, ist das Verkaufspotenzial auf kurzfristige Sicht eher begrenzt (kurze Konsolidierung) – bei weiter fallenden Kursen bauen diese Anleger jedoch den entsprechenden Verkaufsdruck auf.

Viele Anleger sind in und nach den vergangenen beiden Crashs short gegangen. Doch in der jüngsten Rally Anstieg dürften viele dieser Shorties ihre Positionen bereits wieder zurückgekauft haben, um Gewinne zu sichern.  Sie sind damit jetzt potenziell eher wieder bereit dazu, auf fallende Märkte zu setzen.

Tendenz: Die Shorties treten also auch als Verkäufer auf

Hinzu kommen diejenigen, die bereits länger investiert sind und in der Krise nicht rechtzeitig ausgestiegen sind. Diese werde die wieder höheren Kurse nutzen, um das nachzuholen. Diese Gruppe wird aber mit weiter steigenden Kursen zunehmend kleiner.

Tendenz: Auch das ist natürlich bearish, aber dieser Anteil verringert sich. Irgendwann fehlend die Verkäufe aus dieser Gruppe, unter anderem auch deshalb, weil einige ihrer Mitglieder auch wieder auf die Bullenseite wechseln und einfach investiert bleiben.

Und schließlich sind da noch die Shorties, die angesichts der stark gestiegenen Kurse auf wieder fallende Kurse setzen.

Tendenz: Auch das sind klare Verkäufer.

Wenn Sie sich diese Auflistung anschauen, so sind viele Käufer bereits investiert oder warten auf niedrigere Kurse. Auf der anderen Seite nehmen die potenziellen Verkäufer und damit die Risiken zu.

Und das zusammen ist das, was einen überkauften Markt kennzeichnet, der eine Konsolidierungen einleitet.

Nach einer Konsolidierung

Kommt es zu einer Konsolidierung, verschieben sich die Gruppen erneut. Diejenigen, die auf Rücksetzer gewartet haben, steigen ein – es entsteht Kaufdruck. Wer auf fallende Märkte gesetzt hat, steigt evt, aus – der Kaufdruck nimmt zu. Diejenigen, die nervös sind und Gewinne mitgenommen haben, sind aus dem Markt und stehen potenziell wieder auf der Käuferseite. Diejenigen, die aussteigen wollen, oder es verpasst haben, auf fallende Märkte zu setzen, warten wieder auf bessere Kurse: Damit verringern sich die Verkäufer und die Waage neigt sich wieder zur Kaufseite – es entsteht ein leicht überverkaufter Markt.

Fazit

Letzen Endes bewegt sich der Markt immer entsprechend des Verhaltens dieser verschiedenen Gruppen. Zu erkennen, welche Gruppe sich erschöpft hat und welche stärker wird oder welche den stärksten Zulauf hat, ist die eigentliche Kunst beim Traden. Es ist aber auch das, was sich über viele verschiedene Indikationen aus den Charts ablesen lässt.

Doch auch hier gibt es natürlich Sondersituationen: Zum Beispiel ist es aktuell schwierig einzuschätzen, wie groß die Gruppe derjenigen ist, die neu an den Markt kommen, weil sie Aktien als langfristiges Kriseninvestment entdecken und wie groß diese Gruppe noch werden kann. Schließlich ist das eine ganz neue Gruppe von Bullen, die sich zu der klassischen Gruppe der Anleger gesellt, die auf der hungrigen Suche nach Rendite sind.

Und das ist die eigentliche Frage, an der sich entscheidet, wie weit der Markt trotz der bereits stark überkauften Situation noch steigt. Das theoretische Potenzial ist dabei sehr groß. Und somit werden wir anhand der kommenden Tage und Wochen erkennen, wie viel Power die Bullen noch haben. Und das passt wiederum zu den wichtigen charttechnischen Markt, die ich Ihnen in den vergangenen Tagen hier im Steffens Daily vorgestellt habe. Werden diese nach oben aufgelöst, wäre dies ein Zeichen dafür, dass das Bullenlager entsprechend viel Druck aufbauen kann…

Viele Grüße

Jochen Steffens

(Quelle: www.stockstreet.de)


Über den Autor

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Stockstreet GmbH
Jochen Steffens ist als Chefredakteur diverser Fachpublikationen im Bereich Börse und als bekannter Kolumnist tätig. Seit mehr als zwölf Jahren arbeitet er als eigenverant-
wortlicher Daytrader mit dem Schwerpunkt Future-
handel. Als Geschäftsführer der Stockstreet GmbH ist er für die Börsenseite stockstreet.de verantwortlich.
Dort gibt er den täglich erscheinenden Börsen-
newsletter: „Steffens Daily“ heraus.

Für mehr Information: www.stockstreet.de
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