Bei der Europawahl vom 23. bis 26. Mai wird nicht nur über die Zusammensetzung des Parlaments in Brüssel entschieden. Ihr Ergebnis wird sich auch auf die Nachfolge des scheidenden Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, auswirken. Denn das Land, das den Kommissionspräsidenten stellen wird, hat keine Chancen auf einen anderen Spitzenposten. Und so ist das Schicksal von Manfred Weber (CSU), der die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident anstrebt, eng mit der Zukunft von Bundesbank-Chef Jens Weidmann, der gerne Draghi beerben würde, verknüpft. Überraschenderweise hat nun ausgerechnet Juncker im „Handelsblatt“ für Weidmann Partei ergriffen, den er als einen überzeugten Europäer und erfahrenen Zentralbanker für das Amt an der EZB-Spitze für geeignet hält. Weidmann mag’s freuen, ebenso die Sparer, die sich von dem Deutschen höhere Zinsen erwarten. Weiter im Rennen ist auch Olli Rehn, der Gouverneur der finnischen Zentralbank, der in vielen Punkten ähnliche Ansichten wie Weidmann hat.
Deutschland stellte noch nie den EZB-Chef
Aber auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron dürfte die Botschaft aus Brüssel mit Freuden hören. Schließlich hatte er selbst für Frankreich Ansprüche auf den Posten des EU- Kommissionspräsidenten erhoben. Michel Barnier, derzeitiger Brexit-Chefunterhändler der EU, käme hierfür in Frage. Würde aber ein Franzose Juncker beerben, hätte François Villeroy de Galhau, Chef der französischen Zentralbank, keine Chance mehr auf die Draghi-Nachfolge. Und die Aussichten von Weidmann würden sich verbessern. Hinzu kommt, dass Deutschland als größtes EU-Land seit Gründung der EZB im Jahr 1999 noch keinen Präsidenten gestellt hat. Allerdings hat sich Weidmann durch seinen häufigen Widerstand gegen Draghis expansive Geldpolitik immer wieder den Unmut anderer EU-Länder zugezogen.
Spekulationen schießen ins Kraut
Muss man also über andere deutsche Kandidaten nachdenken, weil Deutschland einen neuen, für andere Länder akzeptableren Anwärter braucht? Deshalb wird bereits über mehrere alternative Kandidaten spekuliert. Da sind etwa Klaus Regling, der Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus, oder Claudia Buch, die Vizepräsidentin der deutschen Bundesbank, die genannt werden. Und auch die Namen Marcel Fratzscher, Chef des einflussreichen DIW-Instituts für Wirtschaftsforschung, sowie Jörg Asmussen, der bereits einmal im EZB-Direktorium saß, machen die Runde. Ob diese Spekulationen allerdings alle ernst zu nehmen sind, darf redlich bezweifelt werden. Vielmehr dürfte die Neubesetzung des Chefpostens bei der EZB erst nach Klärung der Juncker-Nachfolge entschieden werden. Diese wird wiederum vom Ausgang der Europawahlen abhängen und somit wird wahrscheinlich erst wenige Tage vor dem Ende der Amtszeit von Mario Draghi über den nächsten EZB-Präsidenten entschieden werden. Es ist sogar zu befürchten, dass es auf einen Kuhhandel hinauslaufen wird und nicht unbedingt die fachliche Kompetenz den Ausschlag gibt.
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