Sommer in Sicht
Freitag, 29.04.2016 01:34 von | Aufrufe: 2045

Von wegen „Sell in May“: Wer verkauft, könnte was verpassen

Sommer in Sicht - © fotohunter - Shutterstock.com

New York liegt geografisch etwa auf der selben Höhe wie Rom. Kein Wunder also, dass der Sommer in der US-Metropole mit Temperaturen um 40 Grad Celsius heiß und schwül werden kann. Und wenn die Quecksilber-Säule im Thermometer klettert, dann gibt es selbst für die Börsianer in Manhatten schönere Orte als die Wall Street. Der Erzählung nach verbringen viele von ihnen den Sommer lieber in den nahen Urlaubsorten an der Ostküste als in der Großstadt.

„Sell in May and go away“ lautet ein viel zitierter Börsenspruch, der auf dieser Beobachtung beruhen soll. Erst gegen Herbst kehren die Investoren zurück an die Börse, deshalb sollten Anleger es ihnen gleichtun und im Sommer keine Renditen erwarten, so die Schlussfolgerung. Doch dieser vermeintliche Ratschlag kann in Deutschland statistisch höchstens partiell untermauert werden.

Eine Auswertung der historischen DAX-Schlusskurse, die wir anhand der ARIVA.DE-Datenbank vorgenommen haben, zeigt, dass seit Einführung des DAX 1988 die durchschnittliche Performance im Juni sogar größer war als in den (statistisch) starken Monaten Oktober und November. Im Mittel ergab sich für den Juni ein Plus von 2,69 Prozent, auch im Juli legte der DAX bisher im Schnitt zu, und zwar um 1,09 Prozent. Wer „Sell in May...“ beherzigt, ist um die Chance beraubt, in diesen Monaten Renditen einzufahren.

DAX-Monatsstatistik

 

Schlecht kommen in der Mittelwertstatistik hingegen tatsächlich die Monate August und September weg. Im August verlor der Index nach unserer Auswertung im Schnitt rund zwei Prozent seines Wertes, im September ging es mit dem DAX durchschnittlich um ein Prozent nach unten. Diese Beobachtung dürfte Wasser auf die Mühlen von Fans einer modifizierten saisonalen Anlagestrategie sein, bei der nicht schon ab Mai, sondern erst im Spätsommer nicht in Aktien investiert wird.

Die Deutsche Börse hat mit dem DAXplus Seasonal Strategy Index ein Börsenbarometer entwickelt, dass dieser Überlegung folgt und nur von Januar bis Juli und dann wieder von Oktober bis Dezember die Entwicklung des DAX nachbildet. Im August und im September wird die Indexberechnung dagegen ausgesetzt. Die Börse schreibt einfach den Indexstand vom letzten Handelstag im Juli bis zum ersten Handelstag im Oktober fest.

Doch schneidet der DAXplus Seasonal Strategy Index besser als der DAX ab? Ist man mit der modifizierten Saison-Strategie doch auf der Gewinnerseite? Eine eindeutige Antwort gibt es darauf nicht. Der Vorteil variiert mit der betrachteten Periode. Schaut man beispielsweise auf die vergangenen drei Jahre, so entwickelte sich der DAX lange Zeit besser als der Saisonindex, weil im Spätsommer 2013 und 2014 die Kurse zulegten statt einzubrechen. Erst im vergangenen Jahr drehte sich das Blatt deutlich zu Gunsten des DAXplus Seasonal Strategy Index: Schlechte Konjunkturdaten aus China, die drohende US-Zinswende und der fallende Ölpreis hatten unter anderem dafür gesorgt, dass der DAX im August 2015 sogar zweistellig an Wert verlor.


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DAXplus Seasonal Strategy Index: Nicht immer besser als der DAX

Größere Ansicht

Noch ein anderer Punkt zeigt, weshalb Saisonstrategien mit Vorsicht zu betrachten sind: In der historischen Rückschau fallen viele für die Aktienmärkte markante Zeitpunkte in den Spätsommer oder frühen Herbst. Die Asienkrise? Sie führte im September/Oktober 1997 an den Börsen zu Kursverlusten. Das World Trade Center in New York? Wurde im September 2001 von Terroristen zum Einsturz gebracht, woraufhin die Aktienkurse einbrachen. Die Lehman-Pleite? Kam im September 2008 ans Licht und markierte den Beginn der Finanzkrise. Selbst der VW-Abgasskandal fällt in den September. Alle diese Ereignisse erklären sich nicht durch wiederkehrende saisonale Gründe.

Stefan Bielmeier, Bereichsleiter Research und Chefvolkswirt der DZ Bank, hält daher auch wenig von einfache Handlungsempfehlung für Investoren. Der Aktienmarkt sei ein komplexes und anpassungsfähiges System, weshalb erfolgreiches Investieren am Aktienmarkt nicht auf wenige isolierte Parameter, Rechnungen oder Faustregeln reduziert werden könne, schreibt er in seinem Börsenblog. „Wir vertreten die Meinung, dass die `Sell in May...‘-Regel nicht viel mehr als eine nette Anekdote ist und nicht dazu geeignet ist, langfristig am Aktienmarkt Erfolg zu haben.“

Für private Investoren gibt auch unsere Auswertung keinen Anlass, Anlageentscheidungen einzig und allein aufgrund eines vermeintlichen Saisonmusters zu treffen. Und sollten die Temperaturen im Sommer auch bei uns eher an den Strand, den Baggersee oder in das Eiscafé locken als zur Aktienanalyse an den PC, dann helfen geeignete Verkaufsorders dabei, das Depot in der Zwischenzeit vor unliebsamen Überraschungen abzusichern.

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