11.04.2015 06:31
Interview mit OSZE-Vizechef
"Wir haben russische Soldaten gesehen"
Alexander Hug im Gespräch mit OSZE-Beobachtern und einem prorussischen Separatisten in Hrabowe
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Zwei Monate nach dem Minsk-Gipfel zieht die OSZE ein ernüchterndes Fazit. An einigen Orten werde täglich gegen die Vereinbarungen verstoßen, sagt Missions-Vizechef Alexander Hug. Zuversichtlich ist er trotzdem.
n-tv.de: Wie ist die Lage in der Ostukraine?
Alexander Hug: Die militärische Lage ist relativ ruhig. Die Verstöße gegen das Waffenstillstandsabkommen beschränken sich auf einzelne Gebiete östlich von Mariupol sowie am und um den Flughafen von Donezk. Dort wird täglich gegen die Vereinbarungen verstoßen. Beide Konfliktparteien setzen Waffen ein mit mehr als 100 Millimeter Kaliberdurchmesser, die laut des Minsker Abkommens gar nicht mehr dort sein sollten. Der Abzug der schweren Waffen ist also noch nicht abgeschlossen.
Vor zwei Monaten wurde das Minsker Abkommen vereinbart. Wie fällt ihr Zwischenfazit aus?
Ich bin überzeugt, dass die im Minsker Abkommen enthaltenen Maßnahmen die richtigen Schritte sind, um in der Ukraine für Stabilität zu sorgen. Es ist nur eine Frage der Zeit, die Waffenruhe und den Abzug der schweren Waffen, aber auch die übrigen Maßnahmen umzusetzen. Wir stehen bereit, diese Mission zu begleiten und die Resultate zu dokumentieren.
Welche der Konfliktparteien hält sich bisher besser an den Minsker Friedensplan?
Das hält sich in etwa die Waage. Es ist oft sehr schwierig zu sagen, wo die Ursache für ein Feuergefecht liegt.
Wie gut kooperieren die prorussischen Kämpfer?
Die Frontlinie in der Ostukraine
Auf dem Gebiet, das die Regierung der Ukraine nicht mehr kontrolliert, haben wir Schwierigkeiten. Der Zugang wird uns erschwert. Unsere Sicherheitsvorschriften sehen vor, dass wir nicht in Gebiete vorstoßen, in denen es für unsere unbewaffnete Beobachtungsmission zu gefährlich ist. Die Rebellen beschränken unsere Bewegungen aber auch direkt, indem sie uns zu bestimmten Gebieten keinen Zugang gewähren. Das betrifft vor allem das Hinterland des Gefechtsfeldes, also Gebiete entlang der Grenze zur russischen Föderation. Dort vermuten wir die Basis einer substantiellen Logistikeinheit, die die Front der Rebellen bedient.
Sie können also nicht kontrollieren, ob die Separatisten Nachschub aus Russland erhalten?
Es liegt nicht an uns, den Nachschub zu unterbinden. Wir sind beauftragt, die Situation vor Ort zu schildern. Diverse Male haben wir über Verschiebungen von schweren Waffen vom Osten des Gebietes in Richtung der Frontlinie und über das Vorkommen spezieller Waffentypen berichtet. Wir haben auch oft gesehen, dass sich uniformierte Bewaffnete mit dem Hoheitszeichen der Russischen Föderation auf dem Gebiet der Ostukraine bewegen.
Wie gefährlich ist die OSZE-Mission?
Die Gefahr ist sehr groß, vor allem durch direktes Feuer. Der Kampf in den Gebieten, wo die Waffenruhe brüchig ist, wird vor allem durch Distanzwaffen geführt, also Artillerie verschiedenen Kalibers, aber auch durch Kleinfeuerwaffen. Dementsprechend besteht das Risiko, dass wir links und rechts der Kontaktlinie zwischen die Fronten kommen und uns einer Gefahr aussetzen. Eine weitere Gefahr ist die Verseuchung des Gebietes durch Minen und nicht explodierte Granaten. In den vergangenen Tagen gab es wiederholt Zwischenfälle mit Minenfeldern, auf denen sich ukrainische Soldaten bewegt haben.
Wurden OSZE-Beobachter in den vergangenen Wochen angegriffen oder bedroht?
Die Zwischenfälle, über die wir berichten, gelten meist nicht der OSZE. Wir werden oft in Kämpfe verwickelt, wenn wir uns in dem Gebiet aufhalten, das zwischen den Positionen der ukrainischen Streitkräfte und der Rebellen liegt. Bis heute ist bei unseren Operationen kein Mitarbeiter verletzt oder getötet worden. Wir schützen uns durch gepanzerte Fahrzeuge und regelmäßige Einschätzungen der Sicherheitslage. Aber ein Restrisiko wird natürlich immer bleiben, da wir nicht alle Eventualitäten vorhersehen können.
Wie sieht der Alltag eines OSZE-Beobachters aus?
Der Tag beginnt meist mit einem Briefing durch den Teamleiter, bei dem die einzelnen Missionen und Patrouillen besprochen werden. Am Ende des Tages kommen die Beobachter zurück, schreiben ihre Beobachtungen auf und schicken sie nach Kiew, wo sie in den Tagesbericht eingefügt werden. Wir können sich nicht frei bewegen. Alle leben in Donezk in einem Hotel. Unsere Vorschriften erlauben es nicht, uns frei zu bewegen. Wir können nicht in ein Restaurant oder ein Einkaufszentrum gehen. Das Risiko, in ein Kreuzfeuer zu geraten, ist zu groß. Es ist ein schönes Hotel, aber trotzdem bewegen sich alle Mitarbeiter dort auf sehr engem Raum. Die Beobachter werden regelmäßig in den Urlaub geschickt, um zu verhindern, dass die angespannte Situation, negativen Einfluss auf ihre Arbeit hat.
Mariupol gilt als mögliches nächstes Ziel der Separatisten. Wie ist die Situation dort?
Ich war selbst in Mariupol. Zehn Kilometer östlich der Stadt liegt das Dorf Shyrokyne, durch das die Kontaktlinie geht. An diesem Schauplatz finden immer noch heftige Gefechte statt. Die Mission hat zurzeit aber keine große Konzentration von Kräften auf beiden Seiten feststellen können. Wir haben eine robuste Vertretung von über 70 Beobachtern in Mariupol, um die Lage einzuschätzen und einen eventuellen Durchstoß aus dem Osten zu dokumentieren.
Für wie wahrscheinlich halten Sie einen Angriff der Separatisten?
Das ist schwer abzuschätzen. Die Waffen, die von der Kontaktlinie abgezogen wurden, befinden sich teilweise nur 25 Kilometer entfernt. Das heißt: Eine Rückkehr der Waffen bedarf sehr wenig Zeit. Insofern könnte sich die Lage in Mariupol schnell ändern. Es ist wichtig, dass der Waffenstillstand vollständig durchgesetzt wird und dass ein eventueller Zwischenfall keiner Seite den Grund geben kann, in Mariupol oder an einer anderen Stelle der 500-Kilometer langen Frontlinie neu vorzustoßen.
In den vergangenen Wochen gab es viele Berichte über die Personalprobleme der OSZE in der Ukraine. Verfügen Sie inzwischen über ausreichend Beobachter?
Wir haben zurzeit über 350 Beobachter in der Ostukraine, hinzu kommen Sicherheitspersonal und medizinische Kräfte. Ukrainische Kollegen unterstützen uns. Das Problem: Mehr Mitarbeiter macht wenig Sinn, denn mehr Mitarbeiter haben nicht automatisch mehr Zugang. Deshalb rufen wir beide Seiten auf, uns überall Zugang zu ermöglichen, damit wir unsere Arbeit erledigen können. Nicht nur auf Seite der Rebellen, sondern auch auf dem Gebiet der ukrainischen Regierung werden wir immer wieder behindert.
Aber ist das Gebiet, das die OSZE kontrollieren muss, nicht viel zu groß für 350 Mitarbeiter?
Zurzeit entspricht die Zahl der Beobachter vor Ort der Sicherheitslage. Sollten sich Lage und Zugang verbessern, dann machen auch mehr Mitarbeiter Sinn. Die OSZE besteht aus 57 Mitgliedsstaaten, die Mission hat eine wöchentliche Kapazität von mindestens 25 neuen Beobachtern. Dadurch werden wir bald die Hürde von 500 Beobachtern erreichen.