Die Gesellschaften klagen über die niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt. Dabei erzielen sie genug Überschüsse, um ihre Eigner üppig zu bedienen. Die Kunden werden dagegen benachteiligt.
23. Februar 2011
Es gibt zwei Arten von Verbraucherschützern: Die einen lehnen die Lebensversicherung grundsätzlich ab, weil sie als Mischprodukt Altersvorsorge und Risikoschutz verknüpft und damit weniger Rendite bleibt. Zu dieser Sorte zählen Verbraucherzentralen wie die in Hamburg, die besonders versicherungskritisch ist, oder der Bund der Versicherten.
Die anderen halten das Produkt insbesondere wegen seiner Garantien für eine sichere und solide Kapitalanlage. Hier verschafft sich vor allem der Branchendienst Map-Report mit seinen Vergleichsanalysen Gehör.
Rund 78 Millionen deutsche Verträge funktionieren nach diesem Prinzip mit Garantien und zusätzlichen Überschussbeteiligungen - gegenüber etwas mehr als 13 Millionen fondsgebundenen Policen, bei denen der Kunde das Risiko der Kapitalanlage trägt. „Ich hänge an dem klassischen Garantieprodukt“, sagt auch Hermann Weinmann. „Eine private Leibrente ist für mich ein Muss“, betont der Professor für Versicherungsbetriebslehre, der seit zwei Jahrzehnten an der Fachhochschule Ludwigshafen forscht. Nur die tatsächliche Ausgestaltung der Policen stört ihn. Um mehrere 100 Millionen Euro brächten die Versicherungsgesellschaften ihre Policeninhaber, weil sie die Aktionärsinteressen mehr beachteten als das Kundenwohl.
„In der Finanzkrise sind die Versicherten einseitig belastet worden. Das finde ich keine faire Verteilung“, sagt Weinmann. „Darauf achten Verbraucherschützer bislang viel zu wenig.“ Weinmann schlendert durch die hübsche Altstadt seines Wohnorts Bensheim an der Bergstraße und erläutert das Problem. Seit einigen Jahren rechnet er den Studenten in seinen Vorlesungen vor, wie Versicherer ihre Überschüsse aufteilen: auf ihre Kunden, die Aktionäre und das Eigenkapital, das im Unternehmen verbleibt.
Dafür verwendete er stets Bilanzkennziffern des Marktführers Allianz Leben. Eines Tages fiel ihm auf, dass ein immer höherer Anteil des Gewinns an die Anteilseigner ging und immer weniger für die Versicherungsnehmer übrig blieb. „Leider ist diese Rechnung vollkommen intransparent. Ich appelliere an die Unternehmen, sie selbst offenzulegen, oder an den Gesetzgeber, sie dazu zu zwingen“, sagt Weinmann.
Politik bevorzugt Aktionäre
Ohne sie zu beachten, schreitet Weinmann an den pittoresken Fachwerkhäusern von Bensheim vorbei und biegt in eine enge Gasse ein. Vor einer Targo-Bank-Filiale macht er halt und reibt sich den Kopf. 4,8 Prozent jährlich verspricht ein Werbeplakat den Kunden einer Lebensversicherung. „Die Überschussbeteiligung ist doch gar nicht langfristig garantiert“, beschwert er sich über die irreführende Werbung. „Und wenn die Unternehmen so weitermachen, bleibt immer weniger vom Überschuss übrig“, prognostiziert der Betriebswirt.
Eine politische Reform hat es den Unternehmen - beileibe nicht nur dem Marktführer - erleichtert, Aktionäre zufriedenzustellen. Im Jahr 2008 wurde die Mindestzuführungsverordnung geändert. Sperriges Wort, einfaches Prinzip: Sie regelt, wie der Versicherer seinen Überschuss aufteilen darf. Mindestens 90 Prozent des Zinsgewinns, mindestens 75 Prozent des Risikogewinns und mindestens die Hälfte der sonstigen (überwiegend Kosten-)Gewinne müssen die Versicherer ihren Kunden gutschreiben; den Rest dürfen sie an die Aktionäre ausschütten oder als zusätzlichen Kapitalpuffer thesaurieren. Zuvor mussten 90 Prozent aller Überschüsse den Kunden gutgeschrieben werden.
Eine weitere entscheidende Änderung lässt Kunden zusätzlich bluten: Wurde der Zinsgewinn vor dem Jahr 2008 erst in seine Bestandteile zerlegt, nachdem die Garantiekosten abgezogen wurden, dürfen Versicherer seither den Kuchen aufteilen, bevor sie diese Kosten nun vom Überschusstopf der Kunden abziehen. Die Allianz macht davon ausgiebig Gebrauch. Im Jahr 2008, als die Finanzkrise das Kapitalanlageergebnis einbrechen ließ, blieben den Kunden 900 Millionen Euro oder 69 Prozent des Rohüberschusses, hat Weinmann errechnet. Die Dividende je Aktie blieb dagegen mit 34 Euro stabil, 29 statt zuvor 13 Prozent des Überschusses gingen an die Anteilseigner. Im Jahr darauf erhielten die Versicherungsnehmer einen Anteil von 82 Prozent oder 2,7 Milliarden Euro. Im Jahr 2002 waren es noch 95 Prozent gewesen - 13 Prozentpunkte mehr.
Kunden können auch teilweise leer ausgehen
Der Unterschied ist erheblich: Würden alle Versicherer ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen und den geringstmöglichen Anteil an die Kunden ausschütten, gingen diesen in einem normalen Jahr 2,3 Milliarden Euro gegenüber der alten Regelung verloren. Das illustriert folgende Rechnung: Die Versicherer halten Kapitalanlagen von gut 700 Milliarden Euro. In Jahren ohne außergewöhnliche Ereignisse am Kapitalmarkt können sie darauf etwa 4,5 Prozent an Ertrag erwirtschaften - also 31,5 Milliarden Euro. In ihrem Bestand müssen sie durchschnittlich Garantien von 3,3 Prozent erwirtschaften - also 23,1 Milliarden Euro.
Nach der früheren Vorgabe durften die Versicherer von der Differenz (8,4 Milliarden Euro) 10 Prozent oder 840 Millionen Euro an ihre Eigner ausschütten. Das neue Verfahren dagegen erlaubt ihnen, von dem Ergebnis (31,5 Milliarden Euro) 10 Prozent oder 3,15 Milliarden Euro sofort auszuschütten. Von den übrig bleibenden 28,4 Milliarden Euro müssen sie die 23,1 Milliarden Euro Garantiekosten begleichen. Für die Überschussbeteiligung bleiben dann nur noch 5,3 Milliarden Euro - 2,3 Milliarden weniger als nach der alten Regel. Fällt das Kapitalanlageergebnis unter ein Niveau von 3,7 Prozent, gehen Kunden bei dieser Ausschüttungspraxis ganz leer aus, und der gesamte Überschuss kommt den Aktionären zu.
Viele Töchter nutzen die Spielräume
„Unterstützt durch die Politik und die Finanzaufsicht, hat der Aktionär kein Risiko mehr“, beklagt Weinmann. Auch die großzügigeren Regelungen für Risiko- und Kostengewinne nutzen die Versicherer. Dabei sei der Marktführer Allianz Leben noch lange nicht Spitzenreiter, sagt Weinmann. Vor ihm stehen noch seine Tochtergesellschaft Deutsche Leben, die PB Leben, Targo Leben, Dialog Leben, PBV Leben, die Hamburg-Mannheimer, HDI-Gerling Leben und die Öffentliche Leben Braunschweig. Im Durchschnitt haben Versicherer 2009 von den 11,8 Milliarden Euro Gesamtüberschuss 87,7 Prozent an ihre Kunden und 7,8 Prozent an Aktionäre ausgeschüttet, 4 Prozent wurden als Eigenkapital im Unternehmen gehalten.
„Es ist auffällig, dass ein sehr großer Anteil davon Tochterunternehmen großer Konzerne sind“, sagt Weinmann. Vier der Gesellschaften gehören zum Talanx-Konzern, eine zur Generali, eine zur Ergo-Gruppe. Zudem bestätige sich die Tendenz, dass der Anteil für die Versicherungskunden sinkt, je kleiner der Rohüberschuss ausfällt. „Die Fähigkeit einzelner Gesellschaften, einen hohen Rohüberschuss zu erzielen, ist überragend“, lobt Weinmann. Sein Wunsch aber wäre es, dass Verbraucherschützer die Unternehmen dazu bewögen, ihre Kunden an diesen Überschüssen stärker zu beteiligen. Der Spielraum, sich trotzdem noch ausreichend für die künftigen Kapitalanforderungen Solvency II auszustatten, reicht nach seiner Beobachtung trotz des fortgesetzten Niedrigzinsniveaus aus.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: F.A.Z., Marcus Kaufhold
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