Weiterhin interessant, das vermeintlich sichere Geldmarkt-Fonds die faulen Subprime-Eier gekauft haben. Da hat manch einer, um dem absturzgefährdeten Aktienmarkt den Rücken zu kehren, in Geldmarkt-Fonds umgeschichtet, und damit mit Beelzebub den Teufel ausgetrieben. Einer musste sogar schon wegen der Schieflagen geschlossen werden: der 680 Millionen Euro schwere Axa IM US Libor Plus. Sage und schreibe 41 % der Fondgelder stecken in Subprime-Krediten! Der Fond verlor an einem einzigen Tag im Juli 13 %. Dabei sollte er den Anlegern eigentlich 3,5 % sichere, wenn auch bescheidene Jahresrendite bringen.
HANDELSBLATT/Wirtschaftswoche
13. August 2007
Faule Anlagegelder
Strukturierter Giftmüll im Depot
Von M. Inacker, H. Schwerdtfeger, H. Reimer, Wirtschaftswoche
Seit der Krise um die halbstaatliche IKB-Bank besteht Ansteckungsgefahr auch für andere Institute – und die Ersparnisse privater Anleger.
Für Jochen Sanio ist es praktisch, dass seine Behörde von Berlin nach Bonn umgezogen ist und nicht nach Frankfurt. Bonn ist näher an Düsseldorf – und dorthin musste der Chef der Bankenaufsicht BaFin zuletzt öfters. Vor wenigen Wochen versetzte Sanio WestLB-Chef Thomas Fischer den finalen Schubs, nachdem der über verlustreiche Aktienspekulationen gestolpert war. Das letzte Juliwochenende verbrachte er in Düsseldorf bei der IKB Deutsche Industriebank. Der unscheinbare Mittelstandsfinanzierer, an dem die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit 38 Prozent beteiligt ist, hatte sich mit minderwertigen US-Hypotheken verspekuliert. Die vom amerikanischen Immobilienmarkt ausgehende Finanzkrise erreichte Deutschland.
Auch Anleger ohne Bankaktien im Depot könnten getroffen werden: durch Kursverluste bei Fonds und Zertifikaten, durch geschmälerte Renditen ihrer Lebensversicherungen und Pensionskassen. Deutschland drohe die "größte Bankenkrise seit 1931", sagte Sanio in einer Telefonkonferenz mit Finanzminister Peer Steinbrück, KfW-Chefin Ingrid Matthäus-Maier und Spitzenmanagern der deutschen Banken. Der Vergleich mag übertrieben wirken, aber er half, bei privaten Banken Geld zur IKB-Rettung lockerzumachen. 1931 hatte die deutsche Regierung nach Bankpleiten für zwei Tage alle Bankschalter schließen lassen. Die Krise 2007 begann ganz harmlos: An der Börse kursierten Gerüchte, deutsche Banken könnten Verluste mit schlecht abgesicherten US-Hypotheken (Subprime Mortgages) erleiden. Am 20. Juli meldete IKB-Chef Stefan Ortseifen trotzdem, die Bank sei "lediglich mit einem einstelligen Millionenbetrag" von der Subprime-Krise in den USA betroffen. Der für 2007 erwartete Gewinn werde erreicht. Alles schien in Butter – für zehn Tage.
Dann kündigten Deutsche Bank und mehrere ausländische Großbanken einer IKB-Tochter die Kreditlinien. Diese Tochter namens Rhineland Funding Capital wurde von der IKB gegründet, aber nicht in deren Bilanz geführt. Sie kauft länger laufende Kredite und verbriefte Forderungen auf und finanziert dies durch Ausgabe kurz laufender Wertpapiere, sogenannter Commercial Papers. Für die lang laufenden Papiere kassiert sie höhere Zinsen, als sie für die nur einen oder zwei Monate laufenden bezahlen muss. Das Problem: Die IKB hatte für die 13 Milliarden Euro schwere Rhineland auch schlecht abgesicherte US-Hypothekenkredite eingekauft. Wegen der Krise am dortigen Häusermarkt wurden diese Papiere immer weniger wert – und damit sank auch die Sicherheit hinter den kurz laufenden, die plötzlich niemand mehr kaufen wollte. Damit das ganze Konstrukt nicht zusammenbrach, musste Rhineland zugesagte Mittel von bis zu 8,1 Milliarden Euro von der IKB und den anderen Banken abrufen. Das ging schief. Die IKB stand allein da.
[Es war also dieselbe Repo-Nachschusspflicht, die auch die drei Bear-Stearns Hedgefonds ruinierte, nur war der Geldgeber hier nicht Merrill Lynch, sondern die Deutsche Bank - A.L.]
"Es bestand die Gefahr, dass der plötzliche Zusammenbruch einer mit AA gerateten Bank bei den Marktteilnehmern eine unerwünschte Verunsicherung ausgelöst hätte", so Sanio. "Dadurch wäre die deutsche Kreditwirtschaft unter Druck geraten – ohne dass es dafür einen sachlichen Grund gegeben hätte." Dass die staatliche KfW die Sache ausbaden soll, ärgert den Würzburger Betriebswirtschafts- Professor Ekkehard Wenger: "Es gab keine Finanzkrise, nur die Schieflage eines einzelnen Instituts, was mit öffentlichen Geldern behoben werden soll." Der Bankenaufsicht und den Verantwortlichen im IKB-Aufsichtsrat wirft er vor, zunächst ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt und dann das wahre Ausmaß der Probleme verschwiegen zu haben. "Am Ende spielten sich Aufsicht, Finanzministerium und KfW dann als Retter des Finanzsystems auf", höhnt Wenger.
Auch in der Politik sehen das viele so und schießen gegen die Aufseher, vor allem gegen Steinbrücks Spitzenbeamten Jörg Asmussen. "Mich wundert, wie angeblich Hals über Kopf in letzter Minute ein Rettungspaket für die IKB geschnürt werden musste. Wenn ein Spitzenbeamter des Finanzministeriums gleichzeitig in den Verwaltungsräten der KfW und der BaFin sowie im Aufsichtsrat der IKB sitzt, sollte man im Finanzministerium frühzeitig über eine drohende Schieflage informiert gewesen sein", sagt Michael Fuchs, mittelstandspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Fuchs über die KfW-Spitze: "Bei Privatbanken würde man fragen, ob der Vorstand den Laden im Griff hat, wenn man eine so massive Schieflage der eigenen Tochter nicht rechtzeitig erkennt."
Finanzministerium, Bankaufsicht und KfW griffen erst durch, als das Kind im Brunnen lag. IKB-Chef Ortseifen wurde gefeuert, auch bei Aufsichtsratschef Ulrich Hartmann, früher Eon-Chef, deutet sich der Rücktritt an. In der nachts verschickten Pflichtmitteilung zur IKB-Rettungsaktion heißt es, der Gewinn der IKB werde "aus heutiger Sicht deutlich niedriger" ausfallen als erwartet. Laut Wenger ist das "vorsätzliche Verschleierung". Die IKB sei faktisch pleite gewesen, während hier der Eindruck erweckt wurde, sie werde bloß weniger Gewinn machen. "Wenn sich der IKB-Kurs nicht erholt, werde ich auf Schadensersatz klagen."
Die Börsenaufsicht untersucht jetzt, wer von der schweren IKB-Krise schon vorher gewusst haben und durch Aktienverkäufe davon profitiert haben könnte. Dazu zählen zum Beispiel die Banken, die Rhineland die Kreditlinie kündigten.
[d.h. die Deutsche Bank u. a. betrieben womöglich als Short-Seller Insider-Geschäfte: Prinzip: Erst shorten, dann Kreditlinien kündigen. Eine saubere Geschäftsidee! - A.L.]
Von einer Bankenkrise mochten die meisten Verantwortlichen aber nicht sprechen. Bundesbankpräsident Axel Weber versicherte: "Die Probleme der IKB sind institutsspezifischer Natur. Sie wurden durch den Beistand der KfW wirkungsvoll aufgefangen." Die Agentur Standard & Poor’s beteuert: "Es sind aus heutiger Sicht keine wesentlichen Kreditausfälle zu erwarten." Es könne allerdings zu Kursverlusten kommen. [Witzbolde! - A.L.] Ist die Krise so schnell ausgestanden?
Hektisch zieht der Vorstand der kleinen Frankfurter Fondsgesellschaft an seiner Marlboro Silver. Was er zum Debakel der IKB sagt? Schulterzucken. "Diesen Mist haben doch alle gekauft." Und jetzt könnte er bei allen anfangen zu stinken.
[ siehe auch hier: "CLO"-Verbriefungen: Wie man Scheiße in Gold verwandelt ]
Dieser Mist – das sind strukturierte Produkte: Kredite, Forderungen von Unternehmen an Großkunden und vor allem Hypotheken. Die Goldman Sachs, ABN Amros und Deutsche Banks dieser Welt haben sie handelbar gemacht: Risiken wurden bewertet, gemischt, mundgerecht in Portionen aufgeteilt und an Investoren und Hedgefonds verkauft. Die hatten viel Geld an den Kapitalmärkten unterzubringen. Sie sahen, dass die Papiere mit seltsamen Abkürzungen wie ABS, CDO oder MBS sich toll verzinsten.
Die Risiken, hofften sie, waren breit gestreut. Das Problem: "Nur wenige begreifen, dass sich mehr Rendite nur über höheres Risiko erkaufen lässt", sagt Michael Bednar, Partner der Investment-Boutique Frankfurt-Finanz. Jetzt bekommen die Investoren die Quittung. "Die US-Banken sind selbst Schuld, wenn sie Tütenpackern bei Wal Mart 200 000 Dollar geben, damit die sich eine neue Hütte kaufen", sagt ein Frankfurter Geldverwalter.
In der Tat: In den USA wurden in den vergangenen Jahren Hypothekendarlehen über geschätzt 1,5 Billionen Dollar auch an Einkommensschwache mit drittklassigen Häusern vergeben. Hypotheken und Kredite niedriger Bonität wurden in Bündel verpackt, deren Rating insgesamt dann deutlich besser war als das der einzelnen Kredite. "Diese Alchemie, bei der aus Kreditschlacke Gold in Form strukturierter Produkte gemacht wurde, ist nun gestört", sagt der US-Investmentstratege Frank Veneroso, ein ehemaliger Hedgefonds-Manager und Berater der Weltbank.
Solange die US-Häuserpreise stiegen, war das kein Problem. Jetzt aber fallen die Immobilienpreise, dafür steigen die Zinsen. US-Hausbesitzer können ihre Hypotheken nicht bedienen, und die in den neuartigen Wertpapieren gebündelten Kredite verlieren rapide an Wert. Die Krise schadet längst nicht mehr nur Investoren und Banken, die sich im Subprime-Sektor verausgabt haben. Der US-Baufinanzierer American Home Mortgage, der vor allem gut abgesicherte Hypotheken im Portfolio hat, steht kurz vor dem Zusammenbruch. [inzwischen bereits pleite - A.L.] Die australische Bank Macquarie meldete Schieflagen bei zwei Hedgefonds, die angeblich nichts mit Hypothekendarlehen zu tun haben. "Die Broker schließen Hedgefonds, die zusammengebrochen sind, weil sie strukturierten hochgiftigen Müll gekauft haben", argwöhnt Veneroso. Die Investmentbanken versuchten, noch einen Markt für diese Papiere zu organisieren. Nur deshalb würden noch nicht alle Zusammenbrüche öffentlich.
Vor allem in Geldmarktfonds wurden sogenannte Asset Backed Securities (ABS) eingesetzt, mit denen Banken Kreditrisiken an den Kapitalmarkt schieben. Die Papiere waren bei Fondsmanagern beliebt, um Renditen aufzupäppeln. Werner Hedrich, Analyst bei Morningstar: "Anders als Unternehmensanleihen, die von nur einer Gesellschaft stammen, bündeln ABS Forderungen von sehr vielen Gläubigern. Das Ausfallrisiko müsste auf viele Schultern verteilt sein." Nur waren die Schultern viel zu schwach. "In Europa wackelt der britische Subprime-Markt, allerdings sind die Risiken nicht so hoch wie in den USA", sagt Antje Lechner, Fondsmanagerin bei der Deutsche-Bank-Tochter DWS.
Kreditderivate – das ist zu kompliziert, selbst für Zertifikateanbieter, die ansonsten Papiere auch für die exotischsten Märkte auflegen. "Mit CDO, MBS und ABS können wir Anlegern nicht kommen", sagt der Vertriebschef eines Zertifikatehauses. Wohl aber die Fondsbranche. Axa Investment Managers muss für einen Fonds einspringen, der in Deutschland verkauft wird und der auch wegen der Turbulenzen am Rentenmarkt geschlossen wurde: Der 680 Millionen Euro schwere Axa IM US Libor Plus legt das Geld der Anleger auch in hypothekengesicherte Anleihen und andere strukturierte Produkte an.
41 Prozent des Fonds steckten in Subprime-Krediten. Innerhalb eines Tages fiel der Fonds im Juli um für einen Geldmarktfonds unglaubliche 13 Prozent. Eigentlich sollte er Anlegern eine bescheidene, aber sichere Rendite um die 3,5 Prozent bringen. Das ging gründlich schief. Später teilte Axa mit, man werde Anteile von Anlegern übernehmen, die aussteigen wollen. Nach Axa hat es auch den Fonds ABS-Invest von Union Investment erwischt. 200 Großanleger, die 950 Millionen Euro investiert haben, können die Anteile derzeit nicht zurückgeben.
Auch am IKB-Reinfall Rhineland hatten sich Fonds beteiligt. Der Robeco Capital Growth hatte Papiere des Hauses bereits 2004 mit einem Anteil von vier Prozent des Anlegergeldes im Portfolio, der Credit Suisse Money Market-Fund hielt ein Papier zumindest noch im Sommer 2006 mit einem Anteil von knapp zwei Prozent. Derzeit hat Fondsmanager Andrew Dickinson noch einen einzigen Anteil an Rhineland. "Der läuft am 7. August aus", sagt er, "dann will ich hier nicht weiter investieren."
Wer raus ist, ist froh. Wer aber ist schon raus? Nach einer Studie der Deutschen Bank wurden 2006 in Europa herkömmliche Anleihen für 570 Milliarden Euro und zugleich verbriefte ABS über 560 Milliarden Euro aufgelegt. "Wir wissen nicht genau, worin wir investiert haben", räumt der Analysechef einer westdeutschen Bank ein, "die Finanzprodukte sind kreativ verpackt, es können sich immer Spurenelemente auch von faulen Krediten darin befinden." In einem Geldmarktfonds liegen meist mehr als Hundert Papiere. Die sind alle säuberlich in einem Jahresbericht aufgelistet. Anleger finden dort klangvolle Fantasienamen: Talisman, Granite Mortgage, Giotto Finance, Opera oder eben Rhineland Funding. Was genau sich dahinter verbirgt, bleibt Geheimnis der Fondsmanager.
"Dass der Anteil der Subprime-Hypotheken auf historische Hochs gestiegen ist und gleichzeitig die Vergabekriterien so lax wie noch nie waren, lässt nichts Gutes für die nächsten Monate erwarten", ahnt Rainer Gogel, Rentenfondsmanager bei Frankfurt Trust. Das dicke Ende könnte noch kommen: Viele der bisher fix verzinsten Darlehen im US-Hypothekenmarkt werden Ende 2007 oder Anfang 2008 auf flexible Verzinsung umgestellt. Dann wird die Finanzierung deutlich teurer, den US-Verbrauchern bleibt weniger Geld. Dann rechnet Gogel mit erneuten Turbulenzen am Aktien- und am Anleihemarkt.
Trotzdem hält Chefaufseher Sanio die Krise der deutschen Banken offensichtlich erst mal für gelöst. Er bestieg später seelenruhig ein Flugzeug nach Kanada – Urlaub machen.
Quelle: Wirtschaftswoche