Kreditmärkte
Banker am Rande des Nervenzusammenbruchs
10. August 2007 Als Jochen Sanio, Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und damit Deutschlands oberster Bankenaufseher im Zusammenhang mit der Schieflage der Mittelstandsbank IKB das Wort von der drohenden größten Bankenkrise seit 1931 in den Mund nahm, erntete er dafür vor allem aus den Reihen der deutschen Bundesbank heftige Schelte.
„Der in einigen Medienberichten hergestellte Vergleich der aktuellen Wirtschaftslage zur Bankenkrise 1931 ist völlig abwegig“, sagte Bundesbankpräsident Axel Weber. „Die Probleme der IKB sind institutsspezifischer Natur.“
Fondschließungen versetzen Geldmarkt in Panik
Zwar ließ Sanio das Zitat rasch dementieren und durch weniger dramatische Formulierungen ersetzen, doch machte das Wort bereits die Runde. Schien es noch am Mittwoch, dass Sanio die Lage überdramatisiert hatte, so überstürzen sich am Donnerstag fast schon die Ereignisse.
Nachdem zunächst die Schließungen einiger weiterer ABS-Fonds verunsicherten, machten auch Gerüchte um die Lage der WestLB die Runde. Diese dementierte zwar schnellstens, doch angesichts der Skandale der vergangenen Jahre ist der Ruf des Instituts soweit angeschlagen, dass wohl nur wenige die Hand dafür ins Feuer legen wollen, dass nicht doch etwas dran ist.
Gegen Mittag aber spitzte sich die Lage auf dem Geldmarkt zu. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Euro-Zone stiegen die Tagesgeldsätze kräftig, als zahlreiche Banken dazu übergingen, ihre Geldbestände zu horten, um im Falle einer Ausweitung der Krise über genügend flüssige Mittel zu verfügen.
EZB pumpt frisches Geld ins System
Die Furcht der Banken vor weiteren Turbulenzen im Zuge der amerikanischen Hypothekenkrise hatte zum Abzug von Geld aus dem Kreislauf geführt und den Zinssatz für Tagesgeld kurzfristig bis auf 4,70 Prozent nach oben getrieben. Händler nannten am Nachmittag dann Tagesgeldsätze zwischen 4,20 und 4,35 Prozent. Der Zinssatz zur Versorgung der europäischen Banken mit Zentralbankgeld liegt aktuell bei vier Prozent.
Der Referenzsatz Eonia für Übernachteinlagen hatte am Mittwoch bei 4,09 Prozent gelegen. Er gilt als Indikator für den Tagesgeldmarkt. Noch am Mittwoch, dem ersten Tag der laufenden Mindestreserveperiode, hatte der Zinssatz für Tagesgeld ebenfalls bei knapp über vier Prozent gelegen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) reagierte mit einem Schnelltender und pumpte am Nachmittag 94,841 Milliarden Euro zusätzliche Mittel in den Geldkreislauf. Die Notenbank hatte den Kreditinstituten erst am Dienstag bei einem regulären Tendergeschäft 292,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das Gesamtvolumen des in der Euro-Zone umlaufenden Geldes in der aktuellen Mindestreserveperiode bezifferten Tagesgeldhändler am Donnerstag auf rund 440 Milliarden Euro. In der Nacht hatte bereits die Schweizer Nationalbank ihren heimischen Geldhäusern frische Liquidität angeboten.
„Verteilungs-, noch keine Liquiditätskrise“
„Das Vertrauen ist gestört und es bleibt zu hoffen, dass die Zentralbanken das ihnen mögliche tun, um es wieder herzustellen“, sagte ein Geldmarkthändler einer deutschen Großbank. „Was wir sehen ist eine Verteilungs-, noch keine Liquiditätskrise. Einige sitzen auf Geld, das andere wollen, und das führt zu sehr deutlichen Ungleichgewichten.“
In den Vereinigten Staaten reagierte der Geldmarkt ebenfalls heftig auf die angespannte Liquiditätssituation. Der Tagesgeldsatz für Dollar-Geschäfte sprang auf bis zu 5,80 Prozent und lag damit rund 60 Basispunkte höher als tags zuvor. So stark hatte er zuletzt vor acht Jahren geschwankt. Die Auslöser war eben das Bekanntwerden der Schließung weiterer ABS-Fonds gewesen (ABS-Fonds in der Krise).
Die Reaktionen sind heftig - nicht nur am Geldmarkt. Auch die Tatsache, dass offenbar mehrere Zentralbanken sich soweit Sorgen um das Finanzsystem machen, dass sie frische Mittel in den Geldkreislauf pumpen, dem sie in den vergangenen Monaten versuchten, Liquidität zu entziehen, stimmt bedenklich. Es zeigt zudem, dass die Notenbankpolitik des lockeren Geldes der vergangen Jahre bereits soweit zu einer Destabilisierung geführt hatte, dass die Wirtschaftsteilnehmer nicht mehr auf feine Signale zu reagieren bereit waren.
Hilferufe als Ursache?
Nach Einschätzung der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs sei die Maßnahme indes grundsätzlich positiv zu werten, auch wenn sie zugleich Fragen aufwerfe, etwa was im Falle eines weiteren Übergreifens der amerikanischen Hypothekenkrise auf den Euroraum und infolgedessen weiterer Fälle wie bei der IKB Deutsche Industriebank geschehe. Die Kapazität des deutschen Finanzsystems zum Auffangen ähnlicher Fälle wie bei der IKB sei unklar. Sollten mehrere Kreditinstitute in eine ähnlich finanzielle Schieflage geraten wie die IKB, so sei denkbar, dass die EZB erneut als „Feuerwehrmann“ zur Bereitstellung von Liquidität auf dem Geldmarkt bereitstehen müsste.
Aber dies ist keine allgemeine Frage. Denn Auslöser der Maßnahme sollen Hilferufe ungenannter Banken gewesen sein, so die Darstellung von Goldman Sachs. Deren Not müsste dann sehr groß gewesen sein, ist der nächste Tender doch schon am kommenden Dienstag fällig. „Die EZB beobachtet die Situation genau und steht bereit, um geordnete Bedingungen auf dem Euro-Geldmarkt zu gewährleisten“, teilte die EZB am Donnerstag mit.
Das wirkte, insbesondere nach dem die amerikanische Notenbank gleichfalls neues Geld in das Bankensystem pumpte. In der Folge stiegen auch die Aktienkurse wieder leicht und ausgehend von tiefem Niveau, wohingegen der Bund-Future, der bis zu 68 Basispunkten zugelegt hatte, wieder abgab.
Es geht um die Zukunft der Geldpolitik
Kurzfristig mag dies wirksam und gewünscht sein, längerfristig aber wird die Frage nach der Funktionsfähigkeit des überdehnten Kreditsystems immer drängender. Denn eigentlich war das Ziel der Zentralbanken, die übermäßige Ausdehnung der Geld- und Kreditmenge in den Griff zu bekommen.
Das ist ihr bislang noch nicht gelungen. Im Gegenteil: Nach einem leichten Rückgang zu Jahresbeginn schnellten die Wachstumsraten auf das alte Niveau zurück. Geriete die EZB nunmehr in eine Situation, in der sie die Zügel wieder lockern müsste, so stellte dies ihre gesamte geldpolitische Leitlinie in Frage. Wenn dann die Währungshüter nicht als Kreditgeber der letzten Hand, sondern nur noch als Geldbeschaffer betrachtet werden, so kann dies für die Kreditmärkte längerfristig nur in einem vollkommenen Desaster ändern.
Daher ist die Maßnahme als kurzfristiger Beruhigungsversuch zu betrachten. Die von allen erwartete Zinserhöhung muss die EZB durchführen, um ihrem Leitbild treu und glaubwürdig zu bleiben. Die heute in das Bankensystem gepumpten rund 100 Milliarden muss sie diesem früher oder später wieder entziehen.
Nichtsdestoweniger sind die Kreditmärkte mehr als nur nervös. Sie befinden sich tatsächlich am Rande eines Nervenzusammenbruchs und das heißt für Anleger, dass sie wirklich um so mehr ihre Investments abklopfen sollten, ob diese auch wetterfest sind
faz.net
Banker am Rande des Nervenzusammenbruchs
10. August 2007 Als Jochen Sanio, Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und damit Deutschlands oberster Bankenaufseher im Zusammenhang mit der Schieflage der Mittelstandsbank IKB das Wort von der drohenden größten Bankenkrise seit 1931 in den Mund nahm, erntete er dafür vor allem aus den Reihen der deutschen Bundesbank heftige Schelte.
„Der in einigen Medienberichten hergestellte Vergleich der aktuellen Wirtschaftslage zur Bankenkrise 1931 ist völlig abwegig“, sagte Bundesbankpräsident Axel Weber. „Die Probleme der IKB sind institutsspezifischer Natur.“
Fondschließungen versetzen Geldmarkt in Panik
Zwar ließ Sanio das Zitat rasch dementieren und durch weniger dramatische Formulierungen ersetzen, doch machte das Wort bereits die Runde. Schien es noch am Mittwoch, dass Sanio die Lage überdramatisiert hatte, so überstürzen sich am Donnerstag fast schon die Ereignisse.
Nachdem zunächst die Schließungen einiger weiterer ABS-Fonds verunsicherten, machten auch Gerüchte um die Lage der WestLB die Runde. Diese dementierte zwar schnellstens, doch angesichts der Skandale der vergangenen Jahre ist der Ruf des Instituts soweit angeschlagen, dass wohl nur wenige die Hand dafür ins Feuer legen wollen, dass nicht doch etwas dran ist.
Gegen Mittag aber spitzte sich die Lage auf dem Geldmarkt zu. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Euro-Zone stiegen die Tagesgeldsätze kräftig, als zahlreiche Banken dazu übergingen, ihre Geldbestände zu horten, um im Falle einer Ausweitung der Krise über genügend flüssige Mittel zu verfügen.
EZB pumpt frisches Geld ins System
Die Furcht der Banken vor weiteren Turbulenzen im Zuge der amerikanischen Hypothekenkrise hatte zum Abzug von Geld aus dem Kreislauf geführt und den Zinssatz für Tagesgeld kurzfristig bis auf 4,70 Prozent nach oben getrieben. Händler nannten am Nachmittag dann Tagesgeldsätze zwischen 4,20 und 4,35 Prozent. Der Zinssatz zur Versorgung der europäischen Banken mit Zentralbankgeld liegt aktuell bei vier Prozent.
Der Referenzsatz Eonia für Übernachteinlagen hatte am Mittwoch bei 4,09 Prozent gelegen. Er gilt als Indikator für den Tagesgeldmarkt. Noch am Mittwoch, dem ersten Tag der laufenden Mindestreserveperiode, hatte der Zinssatz für Tagesgeld ebenfalls bei knapp über vier Prozent gelegen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) reagierte mit einem Schnelltender und pumpte am Nachmittag 94,841 Milliarden Euro zusätzliche Mittel in den Geldkreislauf. Die Notenbank hatte den Kreditinstituten erst am Dienstag bei einem regulären Tendergeschäft 292,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das Gesamtvolumen des in der Euro-Zone umlaufenden Geldes in der aktuellen Mindestreserveperiode bezifferten Tagesgeldhändler am Donnerstag auf rund 440 Milliarden Euro. In der Nacht hatte bereits die Schweizer Nationalbank ihren heimischen Geldhäusern frische Liquidität angeboten.
„Verteilungs-, noch keine Liquiditätskrise“
„Das Vertrauen ist gestört und es bleibt zu hoffen, dass die Zentralbanken das ihnen mögliche tun, um es wieder herzustellen“, sagte ein Geldmarkthändler einer deutschen Großbank. „Was wir sehen ist eine Verteilungs-, noch keine Liquiditätskrise. Einige sitzen auf Geld, das andere wollen, und das führt zu sehr deutlichen Ungleichgewichten.“
In den Vereinigten Staaten reagierte der Geldmarkt ebenfalls heftig auf die angespannte Liquiditätssituation. Der Tagesgeldsatz für Dollar-Geschäfte sprang auf bis zu 5,80 Prozent und lag damit rund 60 Basispunkte höher als tags zuvor. So stark hatte er zuletzt vor acht Jahren geschwankt. Die Auslöser war eben das Bekanntwerden der Schließung weiterer ABS-Fonds gewesen (ABS-Fonds in der Krise).
Die Reaktionen sind heftig - nicht nur am Geldmarkt. Auch die Tatsache, dass offenbar mehrere Zentralbanken sich soweit Sorgen um das Finanzsystem machen, dass sie frische Mittel in den Geldkreislauf pumpen, dem sie in den vergangenen Monaten versuchten, Liquidität zu entziehen, stimmt bedenklich. Es zeigt zudem, dass die Notenbankpolitik des lockeren Geldes der vergangen Jahre bereits soweit zu einer Destabilisierung geführt hatte, dass die Wirtschaftsteilnehmer nicht mehr auf feine Signale zu reagieren bereit waren.
Hilferufe als Ursache?
Nach Einschätzung der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs sei die Maßnahme indes grundsätzlich positiv zu werten, auch wenn sie zugleich Fragen aufwerfe, etwa was im Falle eines weiteren Übergreifens der amerikanischen Hypothekenkrise auf den Euroraum und infolgedessen weiterer Fälle wie bei der IKB Deutsche Industriebank geschehe. Die Kapazität des deutschen Finanzsystems zum Auffangen ähnlicher Fälle wie bei der IKB sei unklar. Sollten mehrere Kreditinstitute in eine ähnlich finanzielle Schieflage geraten wie die IKB, so sei denkbar, dass die EZB erneut als „Feuerwehrmann“ zur Bereitstellung von Liquidität auf dem Geldmarkt bereitstehen müsste.
Aber dies ist keine allgemeine Frage. Denn Auslöser der Maßnahme sollen Hilferufe ungenannter Banken gewesen sein, so die Darstellung von Goldman Sachs. Deren Not müsste dann sehr groß gewesen sein, ist der nächste Tender doch schon am kommenden Dienstag fällig. „Die EZB beobachtet die Situation genau und steht bereit, um geordnete Bedingungen auf dem Euro-Geldmarkt zu gewährleisten“, teilte die EZB am Donnerstag mit.
Das wirkte, insbesondere nach dem die amerikanische Notenbank gleichfalls neues Geld in das Bankensystem pumpte. In der Folge stiegen auch die Aktienkurse wieder leicht und ausgehend von tiefem Niveau, wohingegen der Bund-Future, der bis zu 68 Basispunkten zugelegt hatte, wieder abgab.
Es geht um die Zukunft der Geldpolitik
Kurzfristig mag dies wirksam und gewünscht sein, längerfristig aber wird die Frage nach der Funktionsfähigkeit des überdehnten Kreditsystems immer drängender. Denn eigentlich war das Ziel der Zentralbanken, die übermäßige Ausdehnung der Geld- und Kreditmenge in den Griff zu bekommen.
Das ist ihr bislang noch nicht gelungen. Im Gegenteil: Nach einem leichten Rückgang zu Jahresbeginn schnellten die Wachstumsraten auf das alte Niveau zurück. Geriete die EZB nunmehr in eine Situation, in der sie die Zügel wieder lockern müsste, so stellte dies ihre gesamte geldpolitische Leitlinie in Frage. Wenn dann die Währungshüter nicht als Kreditgeber der letzten Hand, sondern nur noch als Geldbeschaffer betrachtet werden, so kann dies für die Kreditmärkte längerfristig nur in einem vollkommenen Desaster ändern.
Daher ist die Maßnahme als kurzfristiger Beruhigungsversuch zu betrachten. Die von allen erwartete Zinserhöhung muss die EZB durchführen, um ihrem Leitbild treu und glaubwürdig zu bleiben. Die heute in das Bankensystem gepumpten rund 100 Milliarden muss sie diesem früher oder später wieder entziehen.
Nichtsdestoweniger sind die Kreditmärkte mehr als nur nervös. Sie befinden sich tatsächlich am Rande eines Nervenzusammenbruchs und das heißt für Anleger, dass sie wirklich um so mehr ihre Investments abklopfen sollten, ob diese auch wetterfest sind
faz.net