Solidarität ist ein Wort, das die österreichische Regierung derzeit gerne verwendet.
Gerade hat sie die westeuropäischen Staaten dazu aufgerufen, ein gemeinsames Hilfspaket für Osteuropa zu schaffen. Länder wie Rumänien und Ungarn seien auf die Solidarität des gesamten Kontinents angewiesen, auch Deutschland und Frankreich sollten dem notleidenden Osten aushelfen.
Was auf den ersten Blick vollkommen uneigennützig klingt, ist in Wahrheit gar nicht so sehr vom Gedanken der Solidarität getragen. Österreich hat schon aus historischen Gründen eine besonders enge Beziehung mit Osteuropa. Doch in diesem Fall hat die Wiener Regierung ein eigenes Problem im Blick. Die Alpenrepublik würde unter einer großen Krise ihrer östlichen Nachbarn leiden.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vor 20 Jahren waren die Österreicher die großen Protagonisten in Osteuropa. Sie waren dort eifrig unterwegs und machten gute Geschäfte, während sich Deutschland mit der Einheit abmühte. Österreich ist nicht ganz so groß wie Bayern, macht aber etwa 20 Prozent des Bankgeschäfts in Osteuropa. Oder, anders gerechnet: Die österreichischen Banken haben mehr als 200 Milliarden Euro an Krediten in der Region vergeben, das entspricht 70 Prozent des eigenen Bruttoinlandsprodukts.
Kein Wunder also, wenn sich die Regierung in Wien Sorgen um die Banken des Landes macht. Osteuropa wird in diesem Jahr wahrscheinlich auch in die Rezession rutschen. Im Herbst war noch die Rede davon, dass der Osten nur einige Prozentpunkte an Wachstum verlieren würde. Die verschärfte Lage bedeutet, dass in Osteuropa mehr Firmen pleitegehen und mehr Privathaushalte Insolvenz anmelden. Wenn es noch schlechter läuft, könnte das eine oder andere Land den Staatsbankrott ausrufen.
Im schlimmsten Fall können die Banken in Österreich die Krise aus eigener Kraft nicht mehr bewältigen. Und dann würde sich auch die Frage stellen, ob das kleine Österreich überhaupt ausreichend finanzielle Reserven besitzt, um sei-nen Banken in einer solchen Krisensituation auszuhelfen. Allein dieses Gefahrenpotenzial erklärt, warum Österreich das Hilfspaket für den Osten vorgeschlagen hat.
Solidarität hat aber ihre Grenzen. Das zeigen die ersten Reaktionen auf den Vorschlag aus Wien. Da sich überall die Krise verschärft, sitzt das Geld nicht mehr so locker wie vielleicht noch vor einem halben Jahr. Österreichs Banken haben im Osten während der vergangenen Jahrzehnte Milliarden verdient. Also sollten sie selbst sehen, wie sie die Lage in den Griff bekommen, wird so mancher politisch Verantwortliche in Berlin oder Paris denken. Österreich hatte wohl eine andere Antwort auf den Ruf nach Solidarität erhofft.