Chefvolkswirt Jörg Krämer und seine Kollegin Ulrike Rondorf sehen sogar einen Vorteil darin, dass Italien vorerst keine handlungsfähige Regierung hat. „Die im Wahlkampf von vielen geforderten Steuersenkungen dürften zunächst nicht beschlossen werden", argumentieren sie. Weniger schön ist ihrer Ansicht nach, dass weitere Reformen nun noch unwahrscheinlicher geworden sind. „Anders als Spanien, Portugal und Irland hat Italien gemessen an den Lohnstückkosten bisher nichts von dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit wettgemacht, den das Land vor dem Eintritt in die Währungsunion bis zum Ausbruch der Staatsschuldenkrise erlitten hatte. Wegen des fehlenden Reformdurchbruchs dürfte es dabei leider bleiben." (Quelle: WSJ.de in # 591)
In Vor-Eurozeiten haben die Italiener die Lire regelmäßig abgewertet, um auf diese Weise ihre im Zuge der Globalisierung wegbrechende internationale Wettbewerbsfähigkeit auszugleichen. Dadurch sanken die Lohnstückkosten (auf Dollarbasis). Der Preis war eine hohe landesinterne Inflation. Die Lire verlor laufend an Wert, kurz vor Euro-Einführung kostete ein gutes Jacket in Venedig schon über 1 Million Lire.
Bereits zu Lire-Zeiten hätte - als Alternative zur Inflationierung - eine Anpassung der traditionellen Strukturen an die Erfordernisse des Weltmarktes (der u. a. zu Rationalisierung zwingt) erfolgen KÖNNEN. So gibt es in Italien bis heute noch sehr viele kleine Firmen (macht auch den Reiz des Landes aus...). Der durchschnittliche Betrieb in Italien beschäftigt weniger als zehn Angestellte.
Doch ein solches massives "Umkrempeln" des Landes gefiel den Italienern offenbar schon damals nicht. Warum sollte etwas, das seit dem Mittelalter leidlich funktioniert und eine liebenswerte Infrastruktur aus kleinen Läden geschaffen hat, nun plötzlich als "unmodern" weggewischt und auf breiter Front durch Supermärkte, Großindustrie u. ä. ersetzt werden? Man kann dies als "mangelnde Flexibiltät" bzw. "Anpassungsfähigkeit" rügen. Aber wer gibt hier eigentlich das Maß vor? Wer hat das Recht, einer Kultur von außen eine turbo-kapitalistische Veränderung aufzwingen, die der traditionell orientierten Bevölkerung zuwider ist?
Dieses Recht gab es früher nicht. Nun aber besteht es faktisch wegen der Euromitgliedschaft, die Italien zu einem potenziellen EU-Sozialfall gemacht hat. Italien kommt mit der für das Land viel zu starken Hartwährung Euro erkennbar nicht zurecht.
Daher kommen nun also laufend "Politikempfehlungen" aus Brüssel, wie Italien trotz des Euro florieren kann. Dazu werden "Stukturreformen" und Sparpolitik angemahnt, die das Land nunmehr auf äußeren Druck umkrempeln und "auf Euro-Kurs bringen" sollen.
Als Italien dem Euro beitrat, gab es die latente Erwartung, dass damit ein Industrieboom einhergehe ähnlich wie in D. Denn Italien bekam nun ja sehr viel günstiger Kredite, also hätte entsprechend stärker investiert werden können. Offenbar aber gab es den internen Markt dafür nicht. Auch der Export entwickelte sich unter Erwartung. So machte Italien einfach weiter wie bisher. Damit wurde der Euro, dessen Einführungswechselkurs zur Lire noch zur damaligen wirtschaftlichen Lage gepasst haben mag, immer mehr zu Last.
Italien hat es in den vielen Jahrzehnten der Lire-Zeit nicht geschafft oder nicht gewollt, sich in einer modernes Industrieland deutschen Zuschnitts zu wandeln. Auch die Euro-Einführung hat dieses Wunder nicht gebracht. Daher ist es nur logisch, dass Italien seit 2002 seine Euro-Verschuldung hochfahren musste, um die Lücken - die sonst zwischenzeitlich durch Lire-Abwertung ausgeglichen worden wären - zu schließen.
Ich glaube nicht, dass es auf Dauer gelingen wird, per Spar-Dekret aus Brüssel ein starke Strukturveränderung in Italien zu erzwingen, die das Land schon in den letzten 50 Jahren offensichtlich nicht wollte und die vermutlich auch gar nicht zu dem Land passt. Der Euro ist für Italien nicht "die Zukunft" - wie damals versprochen wurde - , sondern eine Fessel, die das Land lähmt. Unter diesen Prämissen könnte eine Rückkehr zur Lire für die Italiener vorteilhaft sein. Das wollen freilich die Nord-EU-Staaten nicht, weil sie Italien seit der Euroeinführung hohe Kredite vergeben hatten (um dorthin mehr exportieren zu können...), deren Rückzahlung dann in den Sternen stünde. Also wird die Euromitgliedschaft weiter mit der Brechstange erzwungen.
Dagegen läuft die Bevölkerung nun Sturm. Es ist mMn nur noch eine Frage der Zeit, bis eine solche Politik-Revolte auch in Portugal, Spanien und Griechenland folgt - womöglich auch in Frankreich. Brüssel ist die Basis abhanden gekommen.