Was passiert nun mit einem Optionsschein oder einem Zertifikat, wenn die zugrunde liegende Aktie plötzlich aufgrund der Kapitalmaßnahme tiefer notiert?
Natürlich müssen auch Inhaber von Optionsscheinen und Zertifikaten, analog zu den Altaktionären, eine Art Wiedergutmachung bekommen. Ansonsten würde zum Beispiel ein Call Optionsschein-Inhaber einen Verlust erleiden, während ein Put Optionsschein-Inhaber einen plötzlichen Gewinn verzeichnen würde. Daher werden die Optionsscheine und Zertifikate wertneutral angepasst, sodass sie nach einer Kapitalmaßnahme so notieren, als ob es keinen Preisrückgang in der zugrunde liegenden Aktie gegeben hätte.
Um eine wertneutrale Anpassung der Produkte zu gewährleisten, wird im ersten Schritt ein sogenannter R-Faktor ermittelt, mit dem die Produkte angepasst werden. Dieser R-Faktor gibt das Verhältnis zwischen dem neuen und alten Aktienkurs an. Die Ermittlung des R-Faktors erfolgt immer zum Handelsschluss am Tag vor dem Bezugsrechtshandel (»Cum-Handelstag«). Zur Festlegung wird dabei der offizielle Schlusskurs (Schlussauktionspreis) der Aktie am letzten Cum-Handelstag herangezogen.
R-Faktor = Aktienkurs (neu) / Aktienkurs (alt)
Alternativ:
R-Faktor = ((Anzahl Aktien alt / Anzahl Aktien neu) x (1 – (Ausgabepreis neue Aktien / Schlusskurs))) + (Ausgabepreis neue Aktien / Schlusskurs)
Im zweiten Schritt erfolgt die konkrete Anpassung der entsprechenden Optionsscheine und Zertifikate. Je nach Optionsschein- oder Zertifikatstyp kann es hier zu unterschiedlichen Vorgehensweisen kommen. So wird in der Regel das Bezugsverhältnis mit dem R-Faktor multipliziert, während beispielsweise der Basispreis eines Optionsscheins, der Cap eines Discount-Zertifikats und die Obergrenze bzw. die Barriere eines Bonus-Zertifikats durch den R-Faktor dividiert werden. Bei Turbo-Zertifikaten erfolgt die Anpassung auf eine andere Weise: Zunächst wird die Differenz zwischen dem alten und neuen Aktienkurs berechnet. Diese Differenz wird dann (analog einer Dividendenzahlung) vom jeweiligen Basispreis und der Knock-Out-Barriere abgezogen, um den neuen Basispreis und die neue Knock-Out-Barriere zu erhalten. Das Bezugsverhältnis bleibt in diesem Fall unverändert.
Praxisbeispiel:
»Der Vorstand der IVG Immobilien AG hatte am 30. November 2011 mit Zustimmung des Aufsichtsrats eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht für die Aktionäre von IVG Immobilien AG beschlossen. Das Bezugsverhältnis betrug 2:1. Der Bezugspreis der neuen Aktien belief sich auf 2,10 Euro. Die Bezugsfrist für die neuen Aktien begann am 1. Dezember 2011.
Bezugsverhältnis: 2:1, das heißt, zwei alte Aktien der IVG Immobilien AG berechtigen zum Bezug von einer neuen Aktie der IVG Immobilien AG.«
Der Schlusskurs der IVG Immobilien-Aktie am 30. November 2012 betrug 2,671 Euro. Der R-Faktor wurde mit acht Dezimalstellen ermittelt und berechnete sich wie folgt:
R-Faktor = ((Anzahl Aktien alt / Anzahl Aktien neu) x (1 – (Ausgabepreis neue Aktien / Schlusskurs))) + (Ausgabepreis neue Aktien / Schlusskurs) = ((2 / 3) x (1 – (2,10 / 2,671))) + (2,10 / 2,671) = 0,9287408
Die beispielhafte Darstellung in der Tabelle verdeutlicht, wie die Optionsscheine und Zertifikate der Commerzbank auf IVG Immobilien angepasst wurden.
Da bei einigen Produkten nach der Kapitalmaßnahme Bezugsverhältnisse mit Nachkommastellen ausgewiesen werden, kann bei Fälligkeit ein Teil der Rückzahlung in bar erfolgen. Notiert beispielsweise die IVG Immobilien-Aktie am Bewertungstag über 2,41 Euro, wird bei dem Discount-Zertifikat (WKN: CK3 Y0T) der Cap in Höhe von 2,41 Euro ausgezahlt. Allerdings hat der Zertifikate-Inhaber Anspruch auf 1,078838 Aktien pro Zertifikat. Die Gesamtrückzahlung beträgt demnach 2,41 Euro x 1,078838 = 2,60 Euro, was dem alten Cap entspricht. Notiert die Aktie hingegen bei Fälligkeit bei 2,00 Euro, bekommt der Anleger die Aktie eingebucht sowie einen Baranteil in Höhe von 0,16 Euro (Baranteil = 2,00 Euro x 0,078838).