Aus der FTD vom 25.2.2004
Europäer liebäugeln mit Web-Telefonie
Von Patrick Goltzsch, Hamburg
Der Erfolg der Internet-Telefonie in den USA führt auch in Europa Unternehmen in Versuchung, den Dienst für Privatkunden anzubieten. Jüngstes Beispiel ist der Internet-Zugangsanbieter Freenet, der Anfang dieser Woche seinen Service startete.
Die Konkurrenz lässt nicht lange auf sich warten: Tiscali will im Sommer ebenfalls an den Start gehen, und das Telekomunternehmen Arcor will ab Herbst einen vergleichbaren Dienst anbieten. In den USA folgt die Begeisterung für die vergleichsweise günstige Alternative der zunehmenden Verbreitung von schnellen Internetanschlüssen. Mit mehr als vier Millionen DSL-Anschlüssen in Deutschland scheint für die Anbieter nun auch hier zu Lande die passende Infrastruktur bereitzustehen. Bislang krankte die Technik an den langsamen Internetverbindungen.
Telefonieren soll bei Freenet nicht nur über den PC möglich sein. Geeignete Telefone oder ein Adapter für das herkömmliche Telefon sollen Anwendern Gespräche zu günstigen Tarifen über das Internet ermöglichen. Freenet-Manager Ole Wegner sieht für das neue Angebot ein deutliches Marktpotenzial, weil "es erlaubt, die Telefonkosten noch einmal zu senken." Für Gespräche ins Festnetz will das Unternehmen einen Cent pro Minute in Rechnung stellen.
Um die Bedeutung der Internet-Telefonie als Wachstumsmarkt zu unterstreichen, verweist Wegner auf die USA. Dort hätten insbesondere Geschäftskunden die Gesprächsminuten über Internet-Telefonie in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt.
In erster Linie will Freenet durch die Internet-Telefonie neue Kunden für seine DSL-Anschlüsse gewinnen. Ziel ist die bisherige Zahl von 100.000 DSL-Kunden zu verdreifachen. Umsatzmarken oder Kundenzahlen für Internet-Telefonie habe sich das Unternehmen nicht gesetzt, so Wegner.
Während Arcor und Tiscali bereits in den Startlöchern stehen, gebe es bei T-Online keine Pläne für den Einstieg in die Internet-Telefonie, so ein Sprecher. Beim Zugangsanbieter United Internet werde die Option geprüft, hieß es aus dem Unternehmen.
Zweifel am Geschäftsmodell
"Für Internet-Zugangsanbieter ist das eine interessante Möglichkeit", sagte Marcus Sander, Telekomanalyst der Investmentbank Sal. Oppenheim zurückhaltend. Er sei gespannt darauf, wie die Technik von den Kunden aufgenommen werde.
Skeptisch reagierte Forrester-Analyst Lars Godell. Er rechnet mit einer Verbindungsgebühr von 0,65 Cent, die Freenet bei der Übergabe von Gesprächen ins Festnetz der Deutschen Telekom zu zahlen habe. Bei einer Gebühr von einem Cent pro Minute, die Freenet erheben will, bleibe bei den Kosten für Netzwerkbetreuung und Service kaum ein Überschuss für den Anbieter. Godell: "Das erinnert mich an die Geschäftsmodelle der Dotcom-Ära von 1999."
Auch andere in Europa angetretene Anbieter, wie Free Télécom in Frankreich, Telio in Norwegen oder Bredbandsbolaget in Schweden müssten mit äußerst knappen Margen operieren, die auf lange Sicht kaum Erfolg versprächen - auch wenn sie teilweise große Kundenzuwächse verzeichnen. Da in den vergangenen Jahren die Preise für Telefonie europaweit gesunken seien, "handelt es sich bei Internet-Telefonie um ein Nischenangebot für Pfennigfuchser", so Godell.