Ballmers Egotrip wird für Microsoft zum Problem
19. April 2002 Microsoft hat ein Führungsproblem. CEO Steve Ballmer hat in den letzten Monaten so viel Verantwortung innerhalb des Konzerns übernommen, dass ihm die Fäden aus der Hand zu gleiten drohen.
Der weltgrößte Softwarehersteller ist in den letzten fünf Jahren derart stark gewachsen, dass eine Person allein unmöglich den Überblick behalten kann, warnen Investoren. „Das ist ein Unternehmen mit 50.000 Mitarbeitern, aber die Struktur ist die eines Startups", kritisiert Scott McAdams, Vorstandsvorsitzender von McAdams Wright Ragen in Seattle.
Beispiele für Ballmers Egotrip gibt es viele, darunter der Führungswechsel im angeschlagenen Mobilfunkbereich im Juli letzten Jahres. Anstatt einen Nachfolger für Paul Gross zu suchen, übernahm Ballmer selbst dessen Aufgaben. Und vor zwei Wochen ordnete der Vorstandschef an, dass sämtliche Geschäftsbereichsleiter direkt an ihn zu berichten haben. Zuvor hatte Präsident und COO Rick Belluzzo das Handtuch geworfen.
Enttäuschende Zahlen als Warnung
Die jüngsten Zahlen sind eine deutliche Warnung. Nicht nur, dass das Ergebnis für das dritte Geschäftsquartal unter den Prognosen blieb. Microsoft setzte auch die Schätzungen für das laufende Quartal und für das Geschäftsjahr 2003 herunter. Schuld an den enttäuschenden Zahlen war vor allem die Videospiele-Konsole Xbox, die sich als Ladenhüter erwies. Der Gewinn stieg im Berichtszeitraum auf 2,74 Milliarden Dollar oder 49 Cents je Aktie nach 2,45 Milliarden Dollar oder 44 Cents im Vorjahr. Der Umsatz stieg um 13 Prozent auf 7,25 Milliarden Dollar gegenüber 6,4 Milliarden Dollar. „Das ist ziemlich enttäuschend", erklärte Noah Blackstein, Fondsmanager des Dynamic Power American Fund.
Den Investoren gefällt das gar nicht. Seit Jahresanfang haben die Aktien von Microsoft 9,6 Prozent verloren. Befürchtungen, dass die PC-Nachfrage weiter schwächelt, sorgten für Kursabschläge. Neue Geschäftsbereiche wie Videospiele, Internet-Dienste oder TV- Software für Mobiltelefone lassen ebenfalls zu wünschen übrig.
Ballmer muss Delegieren lernen
Die jüngsten Veränderungen, darunter die Kündigung von Präsident und Chief Operating Officer Rick Belluzzo, wurden als „Delegieren der Verantwortung" auf die sieben Geschäftsbereichsleiter verkauft. Eine Mogelpackung, sagen Investoren. Ballmer habe den Posten gestrichen, um die Zahl der Führungskräfte, die direkt an ihn berichten, zu verdoppeln. Die neue Struktur kann nur funktionieren, wenn Ballmer lernt zu delegieren, so der Tenor. „Anstatt sich in den Vordergrund zu drängen, sollte er einen Schritt zurückgehen", rät Brian Salerno, Fondsmanager bei Munder Capital Management Inc. in Birmingham.
Belluzzo hatte den Posten erst vor einem Jahr übernommen. Er war für den Bereich Consumer Business verantwortlich, hat es aber nicht geschafft, den Umsatz mit TV-Software zu steigern und Pläne für neue Internet-Dienste aufzustellen. Belluzzo zum Sündenbock zu machen, sei aber auch nicht richtig, sagen Investoren. „Steigt Microsoft in neue Geschäftsfelder ein, muss Ballmer dafür sorgen, dass die Kompetenzen geklärt werden", betont Alan Hoffman, Senior Fondsmanager bei Value Line Asset Management in New York. Dem kann Belluzzo nur zustimmen. „Er muss die Machtverhältnisse austarieren."
Ballmer ist mit 4,3 Prozent am Softwarehaus beteiligt. Seine 235,5 Millionen Aktien sind 13,3 Milliarden Dollar wert. 1980 heuerte der 46-Jährige bei Microsoft an und kassierte im abgelaufenen Geschäftsjahr ein Gehalt von 665.520 Dollar, Optionen und Bonus inbegriffen.
Quelle:FAZ