11.01.2010
US-FinanzkrisenausschussAufklärungszirkus mit Top-Managern
Von Marc Pitzke, New York
AFP
Aufräumen an der Wall Street: "Im ganzen Land herrscht Wut und Verwirrung"
Es soll ein öffentliches Spektakel mit den Mächtigen der Branche werden: Am Mittwoch beginnt der Untersuchungsausschuss zu den Ursachen der US-Finanzkrise. Das Gremium wird es nicht leicht haben - ihre Widersacher von der Wall Street glänzen durch effektive Lobbyarbeit.
Immerhin, sein Anspruch ist ehrenwert. "Im ganzen Land herrscht Wut und Verwirrung", sagt Phil Angelides. "Die Leute wollen die Wahrheit wissen." Und dieser Wahrheit wolle er nun auf die Spur kommen - mittels Fragen und "Antworten, die tiefer gehen als je zuvor".
Angelides, ehemaliger Finanzminister von Kalifornien, ist bisher kaum einem Amerikaner aufgefallen. 2006 spukte der Demokrat einmal kurz durch die nationalen Medien, als er dem republikanischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger das Amt streitig zu machen versuchte - und dabei spektakulär scheiterte.
Von seiner jüngsten Herausforderung erhofft sich Angelides jetzt etwas mehr Erfolg - zumindest aber weltweite Schlagzeilen.
Die Zeugenliste ist ein "Who is Who" der Wall Street
Denn Angelides ist der Vorsitzende der Financial Crisis Inquiry Commission (FCIC), dem überparteilichen Untersuchungsausschuss, den der US-Kongress eingesetzt hat, um die Ursachen der Finanzkrise zu erforschen. Nach dem Vorbild der 9/11- Kommission, deren Abschlussbericht zum globalen Buch-Bestseller wurde, soll das zehnköpfige Gremium die Akteure der Wall Street öffentlich zur Rechenschaft ziehen. Offiziell beginnt der Krisenausschuss seine Arbeit am Mittwoch mit einer ersten, zweitägigen Anhörung.
Es dürfte ein Paukenschlag werden.
Denn die Zeugenliste liest sich wie ein "Who is Who" der Wall Street. Allen voran Lloyd Blankfein und Jamie Dimon, die beiden Vorstandschefs von Goldman Sachs und JP Morgan Chase, gefolgt von John Mack, Ex-CEO und jetziger Chairman von Morgan Stanley, und Brian Moynihan, seit 1. Januar neuer Boss der Bank of America.
Auch von den mächtigen Männern der US-Finanzwelt aus der Vergangenheit bleibt kaum einer verschont: Die Kommission hat frühere Top-Manager der untergegangenen Investmenthäuser Lehman Brothers und Bear Stearns vorgeladen, Vertreter der Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac, die tief in die Krise verstrickt waren, sowie Manager des Versicherungsgiganten AIG, dessen Fast-Kollaps beinahe die gesamte Weltfinanz mitgerissen hätte. Später sollen auch US-Finanzminister Timothy Geithner, Notenbankchef Ben Bernanke und Vorgänger Alan Greenspan die Zeugenbank drücken.
Konsequenzen sind fraglich
"Es ist keine Frage, dass diese Institutionen im Auge des Sturms standen", warnte Angelides die Betroffenen bereits. Der Tenor der Anhörungen ist damit vorgezeichnet - zumal sechs Ausschussmitglieder Demokraten sind, vier Republikaner, und selbst die gelten als Wall-Street-kritisch.
Doch ob das telegene Spektakel Konsequenzen haben wird, bleibt mehr als fraglich.
Spätestens Ende des Jahres soll zwar ein Abschlussbericht vorliegen, geplant als kritisches Protokoll der Ereignisse seit Ende 2008. Angelides vergleicht die Krise mit den tektonischen Verwerfungen Kaliforniens: "Es war ein finanzielles Erdbeben, und die einzigen Gebäude, die offenbar stehen geblieben sind, sind die, die im Epizentrum waren."
Die bisherigen Aktivitäten der Kommission machen jedoch wenig Hoffnung. Obwohl der Kongress sie bereits im Mai 2009 einsetzte, quälte man sich monatelang damit ab, überhaupt qualifizierte Mitarbeiter anzuheuern und Büroräume zu finden. Die Website funktioniert bis heute nicht: "Im Bau befindlich", hieß es da vielsagend.
Zwar ist das Budget mit acht Millionen Dollar fast dreimal so hoch wie das der 9/11-Kommission (drei Millionen Dollar). Trotzdem ist das nur ein Bruchteil dessen, was die Wall Street 2009 für ihre Lobbyarbeit in Washington ausgegeben hat: Die Finanzbranche steckte mindestens 65 Millionen Dollar in die Beeinflussung des Kongresses und der Regierung. Trotz des Druckmittels, Zeugen unter Strafandrohung vorladen zu können, steht der Ausschuss damit einem übermächtigen Widersacher gegenüber.
Ökonomen fürchten um die notwendige Aufklärung
Dazu kommt: Die Mitglieder des Gremiums sind nicht unbedingt prominente Autoritäten. Am bekanntesten sind da noch der Ex-Senator und erfolglose Präsidentschaftsbewerber Bob Graham, der republikanische Ex-Abgeordnete Bill Thomas, der als Vizechef des Ausschusses auftritt, und Douglas Holtz-Eakin, der John McCain voriges Jahr bei seiner gescheiterten Präsidentschaftskandidatur beriet.
Einflussreiche Ökonomen befürchten deshalb schon jetzt, dass die Kommission nicht "ihre Verantwortung erfüllt". "Niemand darf einen Blankoscheck bekommen", heißt es in einem offenen Brief des Franklin and Eleanor Roosevelt Institutes. Die Unterzeichner sind unter anderem der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, Wirtschaftswissenschaftler James Galbraith und Ex-Arbeitsminister Robert Reich.
Der Bezug zu US-Präsident Roosevelt ist kein Zufall. Der Ausschuss hat sich ein legendäres Vorbild gesetzt: die Pecora-Kommission, die 1932/33 die Ursachen der Weltwirtschaftskrise untersuchte. Unter Leitung des Juristen Ferdinand Pecora hielt sie spektakuläre Sitzungen ab, die an der Wall Street zu Rücktritten, Anklagen und Haftstrafen führten - und letztlich zu Roosevelts New-Deal-Reformen, etwa die Gründung der US-Börsenaufsicht SEC.
Finanzreform wird bereits zerpflückt
Der Auftrag, den der Kongress dem jetzigen Ausschuss gegeben hat, klingt ähnlich erhaben: Er soll "Betrug und Missbrauch im Finanzsektor" aufklären, das Versagen der Aufsichtsorgane und die Rolle der Notenbank untersuchen und das "globale Ungleichgewicht" unter die Lupe nehmen. Auf dem Fragenzettel finden sich die Kredit- und Bonuspraktiken der Banken ebenso wie deren interne Strukturen und komplexe Investmentvehikel wie Derivate, die mit zur Krise geführt haben.
Kritiker bezweifeln aber, dass die Ermittlungen Folgen haben werden. Schon jetzt wird US-Präsident Barack Obamas Finanzreform im Kongress zerpflückt, dank des massiven Einflusses der Wall Street. Derweil planen die Banken neue Rekord-Bonuszahlungen, ungeachtet allen Aufruhrs. Nur der Arbeitsmarkt liegt unverändert im Argen.
Was der Kommission bleibt, ist das Theater für die Kameras. Darüber klagten auch die Mitglieder des Pecora-Ausschusses schon, obwohl es da noch gar kein Live-Fernsehen gab. "Wir haben einen Zirkus", schimpfte US-Senator Carter Glass, der spätere Co-Namensgeber der Glass-Stegall-Bankenreform, damals. "Das einzige, was fehlt, sind Erdnüsse und bunte Limonade."
Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,671159,00.html
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