Gelungener Artikel der Wirtschaftswoche, der hier die Decoupling-Theorie durchleuchtet, dergemäß die dynamisch wachsenden Schwellenländer eine Rezession in den USA weltwirtschaftlich abpuffern könnten.
Im selben Boot
Optimisten hoffen, dass China die Weltbörsen vor der US-Rezession abschirmt. Doch Anleger sollten vorsichtig sein. Theorien sind tückisch; die Börse braucht Amerika.
Samstagmittag auf der Canal Street in Lower Manhattan. In kleinen Schritten schieben sich Massen von Menschen über schmale Gehwege an Geschäften vorbei, die bis unter die Decke vollgestopft sind mit Waren aus China: Uhren, Kugelschreiber, bunte Mützen, vier I-Love-NY-T-Shirts für zehn Dollar, Schneekugeln mit Miss Liberty, Handtaschen; manches ist gefälscht, einiges echt.
Wer sich durch die Enge von New Yorks Chinatown quetscht, bekommt eine Ahnung davon, wie wichtig die USA als Absatzmarkt für den Rest der Welt sind. In jedem amerikanischen Wal-Mart, jedem Baumarkt und jedem preisgünstigeren Bekleidungskaufhaus sind die Regale gefüllt mit billig produzierten Artikeln aus den Fabriken in Fernost, Osteuropa oder Lateinamerika.
Was aber passiert, wenn die Amerikaner demnächst weniger chinesisches Plastikspielzeug, japanische Elektronik und in Indien produzierte Ledertaschen kaufen? Werden dann die Produktionsbänder weltweit langsamer laufen?
Die USA taumeln in eine wirtschaftliche Schwächephase und könnten so auch Länder wie China, Indien oder die Staaten Osteuropas aus der Bahn werfen, die sich zurzeit noch dynamisch entwickeln. „Die Welt hängt an Amerika“, jahrzehntelang war dieser Satz das Mantra der Ökonomen. Das Wachstum in den USA wird sich, Prognosen der Industriestaatenorganisation OECD zufolge, in diesem Jahr auf nur 2,0 Prozent abschwächen, nachdem es 2007 bei schon schwachen 2,2 Prozent lag. Für Aktienanleger könnte dies ungesunde Folgen haben – gemäß der vielzitierten Börsenregel: „Wenn die Wall Street niest, kriegt Europa den Schnupfen.“
Doch die Börsenregel soll, oh Wunder, nicht mehr gelten. „Decoupling“ (Abkopplung) heißt das Zauberwort, das in Ausblicken auf die Finanzmärkte für das neue Jahr nicht fehlen darf.
Die Börsen werden sich von den schwächelnden USA abkoppeln, so die These vieler Finanzauguren. Ihre Hoffnung: Die dynamisch wachsenden Schwellenländer, allen voran China, werden sich zum Retter der Weltkonjunktur aufschwingen und zu Tonangebern der globalen Börsenkurse aufsteigen. „Wir bleiben optimistisch, dass die Weltwirtschaft einer Abschwächung der US-Konjunktur widerstehen kann“, hofft zum Beispiel Alex Patelis, Chef des internationalen Währungsresearch bei Merrill Lynch. Die Analysten der niederländischen ING behaupten, dass die Konjunktur in Deutschlands und Japan seit 2006 längst nicht mehr parallel zu den USA laufe.
„Ein großer Teil der deutschen und japanischen Exporte geht zwar immer noch in die USA, aber die Schwellenländer sind für die Industrieländer immer wichtiger geworden. Das hat zum Decoupling einer ganzen Reihe von Volkswirtschaften geführt“, so die ING-Experten. Wenn sich die Konjunktur in den USA abschwäche, so habe dies nun nicht notwendigerweise eine Abkühlung in anderen Ländern zur Folge.
Selbst einflussreiche US-Ökonomen glauben nicht mehr an die Dominanz der USA über Weltwirtschaft und Aktienmärkte. Fred Bergsten, Direktor der Denkfabrik Petersen Institute for International Economics, hält die starke wechselseitige Abhängigkeit für ein Phänomen von gestern. Vor dem Haushaltsausschuss des US-Repräsentantenhauses suchte er die von Hypothekenkrise und Rezessionsgerede verunsicherten Volksvertreter zu beruhigen: „Die gute Nachricht ist“, so Bergsten, „dass die Weltwirtschaft weiterhin robust expandiert und deshalb einen wichtigen Puffer gegen signifikante Rückschläge beim US-Wachstum bietet.“
Darauf hoffen auch deutsche Industriekapitäne. Jürgen Hambrecht, Chef des weltgrößten Chemikers BASF, ist zuversichtlich: „Die Fundamentalkräfte in Asien sind so stark, dass sie eventuelle Abschwünge in Nordamerika ausgleichen.“ Sogar an völlig neue Zeiten, in denen „alte Regeln über Wirtschaftszyklen nicht mehr existieren“, glaubt Klaus Martini, Chefstratege des Private Wealth Management der Deutschen Bank. Die globale Wirtschaft sei weit weniger abhängig von den USA als noch in den Achtziger- und Neunzigerjahren. „Die Nachfrage von den Emerging Markets kann nicht gestoppt werden.“ Aber reicht sie auch, um eine Rezession in den USA zu verhindern?
Da ist sich Martini nicht mehr ganz so sicher wie noch im vergangenen Sommer, als er die Wahrscheinlichkeit für eine US-Rezession bei rund einem Drittel ansetzte. Im Dezember war sie aus seiner Sicht bereits auf „30 bis 50 Prozent gestiegen“.
Wenn die Abkopplungs-Theorie stimmt, käme dies einer Revolution gleich. Bisher durften sich Investoren an die Daumenregel halten: Geht es in den USA wirtschaftlich bergab, dann taumeln die Kurse weltweit. So war es in der bisher letzten Rezession im Jahr 2001. Die USA dominierten die Weltwirtschaft, die Weltbörsen hingen an Wall Street und der Technologiebörse Nasdaq und – crashten.
Doch Aktienanleger sollten heute misstrauisch sein. Es wäre nicht das erste Mal, dass Wall-Street-Häuser neue Theorien nutzten, um Anleger in Ruhe zu wiegen. Nehmen wir den Beginn des Jahres 2000, als die Banker ein sich von alten Gesetzmäßigkeiten abkoppelndes, immerwährendes Wirtschaftswachstum und ewig steigende Börsenkurse verhießen, die von den Technologieunternehmen der Welt gestützt würden. Die High-Tech-Blase platzte – und die Bankstrategen riefen von 2001 an das Ende der wirtschafts- und kursgefährdenden Inflation aus. Auch diese Vision ging schief, inzwischen steigen die Preise weltweit, zum Teil zweistellig.
Die Stunde der Skeptiker schlägt. Einfach nur „Mist“, sagt Donald Hanna, Schwellenländer-Experte der Citigroup, sei die Theorie, die Schwellenländer hätten sich mit ihrer wirtschaftlichen Entwicklung bereits vom einst dominierenden US-Markt abgekoppelt. Gewiss gebe es eine graduelle Entwicklung in diese Richtung. Doch vor allem der gewaltige Konsummarkt in den USA, der rund 70 Prozent der US-Wirtschaftsleistung ausmacht, habe über die Importe nach wie vor großen Einfluss auf alle Länder, die Produkte in die USA liefern. So gehen 20 Prozent aller Exporte aus China in die USA. Ähnlich skeptisch ist Edward Bonham Carter, Chef der Vermögensverwaltung Jupiter Asset Management.
Er glaubt, „dass die asiatischen Volkswirtschaften den Sturm überstehen können, wenn sich das Wachstum der US-Wirtschaft lediglich verlangsamen sollte“. Sollten die USA aber in eine Rezession trudeln, wäre er „sehr überrascht“, wenn die asiatischen Volkswirtschaften weiter wüchsen: „Ich bezweifle, dass die Kaufkraft der Mittelklasse in Asien ausreichen wird, um einen drastischen Einbruch der US-Verbrauchernachfrage zu kompensieren.“
Die Weltwirtschaft braucht die USA. Ein Blick auf die Weltkarte der Globalisierung zeigt, wie wichtig die Vereinigten Staaten allein ihrer Größe wegen sind. 20 Prozent aller Waren und Dienstleistungen weltweit werden in den USA erwirtschaftet. Kalifornien ist so wirtschaftsstark wie Frankreich, Florida erwirtschaftet ein ähnlich hohes Bruttoinlandsprodukt wie Korea. Die weltgrößten, stark global agierenden Unternehmen – unter den Top 50 sind 19 US-Unternehmen – machen mit ihren Kunden so viel Umsatz, wie ganze Länder pro Jahr an Inlandsprodukt erwirtschaften. Exxon Mobil setzt genauso viel mit Öl um wie Saudi-Arabien. Der größte Einzelhändler der Welt, Wal-Mart, ist mit 351 Milliarden Dollar Umsatz so stark wie Österreich. Allein Wal-Mart importiert pro Jahr mehr chinesische Waren als die gesamte Bundesrepublik Deutschland, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Doch die hohe Nachfrage des Handelsriesen nach chinesischen Produkten ist nicht für alle Zeiten festgeschrieben.
US-Konjunktur kippt. Auf der Canal Street in Chinatown boomen die Geschäfte mit Billigwaren. Von einem Einbruch des China-Handels ist hier – noch – nichts zu spüren, allenfalls kündigt sich eine gewisse Zurückhaltung an. Denn der US-Konsument packt nicht mehr jedes China-Produkt in den Einkaufskorb: Bleiverseuchtes Spielzeug, mit Umweltgiften belastete Lebensmittel, unfairer Wettbewerb, Arbeitsplatzverluste in Amerika – die Liste der Anti-China-Argumente ist lang, und zuletzt hatte es reichlich Kritik am Exportboom der Chinesen gegeben. Die Skandalgeschichten stärken alle Lobbyisten in den USA, die mehr Kontrollen und Handelsbarrieren fordern, die den künftigen China-Handel sicher nicht beflügeln dürften.
Hinzu kommt, dass US-Verbraucher unter steigenden Zinsen und sinkenden Häuserpreisen leiden. Sein schlechtestes Ergebnis seit 2002 verbuchte der US-Einzelhandel im Weihnachtsgeschäft – trotz zahlreicher Rabattaktionen. Und die von minderwertigen US-Hypotheken ausgelöste Finanzkrise dürfte die Realwirtschaft treffen. Unerwartet stark sank im Dezember der nationale Stimmungsindikator der US-Einkaufsmanager im verarbeitenden Gewerbe. Rezessionsgefahr? Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, schätzt das Risiko einer Rezession in den USA „mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent“ ein. Hellmeyer erwartet dieses Jahr nur noch ein US-Wachstum „zwischen 1,0 und 1,5 Prozent“, deutlich weniger als die OECD.
Geringeres Wachstum in den USA bedeutet abnehmenden Verbrauch und damit weniger Importe aus den Schwellenländern. Noch gefährlicher wäre ein Dominoeffekt: Unter geringerer Nachfrage aus den USA leiden die Schwellenländern. Die könnten deshalb in den anderen – von den USA vermeintlich entkoppelten Ländern – weniger bestellen und einkaufen. Weil Amerikaner weniger chinesisches Spielzeug kaufen, brauchen die chinesischen Produzenten weniger Maschinen aus Deutschland – so ähnlich könnte er aussehen, der Dominoeffekt in einer globalisierten Welt.
Schon jetzt gehen die Geschäfte der Schwellenländer mit Uncle Sam schleppender. Abzulesen ist dies beispielsweise an den Ausfuhren Chinas in die USA. Im ersten Quartal 2007 wuchsen die Exporte in die USA noch um 20,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Demgegenüber lag der Zuwachs im zweiten Quartal nur noch bei 15,6 Prozent. Im dritten Quartal, als die Hypothekenkrise in den USA voll durchschlug, lag der Zuwachs der Ausfuhren gegenüber Vorjahr sogar nur noch bei 12,4 Prozent. Besonders betroffen sind Chinas Textil-, Möbel- und Elektronikhersteller: von Abkopplung keine Spur.
Besorgte Asiaten. Selbst nach Ansicht der chinesischen Regierung steht die Abkopplungstheorie auf wackligen Beinen. Peking blickt voller Sorge auf die Entwicklung in den USA. Eine gebremste US-Wirtschaft, so ein aktueller Bericht des Handelsministeriums, könnte einen „Wendepunkt“ für Chinas rasche wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre bedeuten. Peking betrachtet eine Abschwächung des globalen Wachstums, hervorgerufen von der Kreditkrise in den USA, als die „größte Herausforderung für Chinas Wirtschaft im Jahr 2008“. Obwohl die Zentralbanken in den USA, Japan und Europa versucht hatten, mit mehr als 1000 Milliarden Euro und Dollar das kranke Bankensystem aufzupäppeln, verschlechtere sich die Situation weiter. Die „Panik im Kreditmarkt bleibt“, heißt es im Bericht des Handelsministeriums. Vertreter des Ministeriums sagen ausdrücklich, sie teilten die These über die Abkopplung des Wachstums in Asien von der Entwicklung in den USA nicht.
Chinas Exportwirtschaft trägt inzwischen mehr als ein Drittel zum Wirtschaftswachstum des Landes bei und macht rund zehn Prozent der gesamten US-Wirtschaftsleistung aus. Mehr als die Hälfte aller chinesischen Ausfuhren erreicht zusammengerechnet Amerikaner, Japaner und Europäer. Der chinesischen Zentralbank zufolge führt eine Verlangsamung des Wachstums in den USA um einen Prozentpunkt zu einem Rückgang der chinesischen Exporte um sechs Prozent.
„Eine deutliche Verlangsamung des Wachstums in Amerika ist sehr schlecht für China“, sagt Yiping Huang, Asienchefökonom der Citigroup. Chinas Wirtschaft leide unter Überkapazitäten und nur weil China es bisher geschafft habe, diese Überkapazitäten zu exportieren, sei es noch nicht zu einer harten Landung der chinesischen Wirtschaft gekommen. „Der private inländische Konsum kann noch kein Gegengewicht zum Export bilden“, mahnen auch die Analysten der BHF-Bank in einer aktuellen Studie.
Gefahr droht den Chinesen direkt wie indirekt über die USA: Auch Japan, einerseits wichtigster Handelspartner Chinas, ist andererseits enorm von den USA abhängig. Fast 23 Prozent seiner Exporte gehen über den Pazifik in die Vereinigten Staaten. Ein Drittel aller 225 im Nikkei-Index börsennotierten Konzerne hängt vor allem vom Auslandsgeschäft ab.
Besonders die Autobauer dürften bei der kommenden US-Schwäche ins Schleudern geraten, Mazda beispielsweise exportiert fast drei Viertel seiner Produktion. Seit August brachen die Neuzulassungen japanischer Autohersteller in den USA schon um durchschnittlich 15 Prozent ein. Das ist mehr als eine Delle, denn Honda beispielsweise realisiert dort 70 Prozent seiner Gewinne. Ohne die Profite aus dem Auslandsgeschäft muss selbst Toyota massive Ergebniseinbrüche befürchten. Der weltgrößte Fahrzeugbauer verkauft fast jedes Dritte seiner Autos in den USA und damit doppelt so viel wie auf dem Heimatmarkt.
In Europa wäre Großbritannien am stärksten von einer schwächelnden US-Wirtschaft getroffen. Niemand auf der Insel erwartet, dass sich die fünftgrößte Wirtschaft der Welt einem Abschwung in den USA entziehen kann. Wichtige britische Konzerne wie Vodafone, oder GlaxoSmithKline sind vor allem vom US-Markt abhängig. Hinzu kommt, dass London als wichtigster Finanzplatz Europas von den Auswirkungen der US-Kreditkrise unmittelbar betroffen ist. Rund um Big Ben sind die Europazentralen der großen Wall-Street-Banken – Merrill Lynch, Morgan Stanley, Lehman Brothers und Citigroup – versammelt. Es waren die kreativen Köpfe in der Londoner City, die dubiose US-Hypothekenkredite in jene komplizierten Finanzvehikel verpackten, die vielen Banken später zum Verhängnis wurden. Diese Jungs und ihren vermeintlichen Einfallsreichtum braucht fürs Erste niemand mehr.
4500 Leute könnten die Finanzdienstleister jetzt auf die Straße setzen, erwartet das britische Centre for Economics and Business Research. Wenn es der Londoner City schlecht geht, dann schlägt das im Vereinigten Königreich auf die gesamte Konjunktur durch: Jährlich rund neun Prozent trägt die Finanzwirtschaft zum britischen Bruttoinlandsprodukt bei. Produzierende Unternehmen können Rückschläge der Banken kaum auffangen, weil sie „bei uns nur noch die Rolle des armen Verwandten einnehmen“, so David Frost, Generaldirektor der britischen Handelskammern.
Für europäische Unternehmen und damit auch für deren Aktien sind die Aussichten bei einem nachlassenden US-Wachstum trübe: 45 Prozent der Unternehmensexporte in der Euro-Zone gehen in die USA und nach Großbritannien. Asien könne die wirtschaftliche Abschwächung in diesen Hauptabsatzmärkten nicht aus-gleichen, sagt Michael Hume, Analyst bei Lehman Brothers.
Abkopplung? Sie findet nicht statt, meint Hume: „Die Hypotheken-Krise hat die Decoupling-These unterminiert.“
Die schockierenden Nachrichten über Beinahe-Pleiten und Milliardenabschreibungen der Banken seien der beste Beleg für die weiter enge Verflechtung von Volkswirtschaften und Börsen mit den USA. „Die US-Hypotheken-Krise ist wie eine Flutwelle über den Atlantik nach Europa gerollt.“
Nicht nur in den USA, auch in Großbritannien, Deutschland, Australien oder Japan verbuchten Anleger in den vergangenen Monaten deutlich zweistellige Kursverluste mit Bankpapieren. Einen Ausweg für die Börsen sieht Hume nicht: „Steigende Rohstoffpreise heizen die Inflationsgefahr derartig an, dass die Notenbanken nun
zögern dürften, mit Zinssenkungen auf die Krise zu reagieren.“
Ein Trost: Anders als beim Börsen-Absturz der Jahre 2000 bis 2003 ist die Bewertung europäischer Aktien nicht besonders hoch. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) vor Abschreibungen liegt beispielsweise bei deutschen Standardwerten aus dem Dax mit 13 ungefähr im historischen Schnitt – zweistellige Gewinnsteigerungen in diesem Jahr vorausgesetzt.
Das Dax-Plus von 22 Prozent in 2007 verdankten Anleger vor allem den Versorgern und Schwergewichten wie Siemens. Hinzu kamen Sondereffekte: Daimler verkaufte Chrysler, und Volkswagen profitierte vom Porsche-Einstieg. Rund die Hälfte der 30 Dax-Werte kam dagegen nicht vom Fleck. So bewegten sich exportorientierte Werte mit starkem US-Geschäft wie Continental oder Henkel per saldo kaum – ein Warnsignal, das zeigt, dass längst nicht alle Investoren an die Abkopplungstheorie glauben.
Bei einer schwächeren Weltkonjunktur könnte sich die Exportstärke der deutschen börsennotierten Unternehmen als Bumerang erweisen. 68 Prozent aller Umsätze erwirtschaften die 30 Dax-Unternehmen inzwischen im Ausland, 61 Prozent die 50 Firmen aus dem MDax und immerhin noch 56 Prozent die 50 SDax-Unternehmen. Fest steht, dass Asien grippekrank wird, wenn die USA eine Lungenentzündung bekommen. Und Deutschland? Kaum zu glauben, dass Deutschlands Unternehmen dann nur ein bisschen niesen werden und die Börse verschont bleibt.
Für Anleger ist noch aus einem weiteren Grund Vorsicht geboten: Solange China und die anderen asiatischen Volkswirtschaften sich nicht von den USA abkoppeln können, gehen den Börsen womöglich willkommene Kapitalspritzen verloren.
Allein China erwirtschaftete in den ersten zehn Monaten 2007 mit 212 Milliarden Dollar einen Handelsbilanzüberschuss, der 2008 merklich zurückgehen dürfte. Gerade die Überschüsse Chinas und anderer asiatischer Staaten stützten zuletzt die Börsen der westlichen Industrienationen – vor allem die Kurse der wegen der Finanzkrise gefallenen Bankwerte, in die sich asiatische Staatsfonds milliardenschwer eingekauft haben.
Beteiligungen asiatischer Investoren und noch mehr Nachrichten und Gerüchte über bevorstehende Deals trieben die Kurse, ähnlich wie vor noch gut einem halben Jahr die Geschichten über sagenhafte Private-Equity-Deals, die heute niemand mehr erzählt. Ebenso schnell, wie sie aufgekommen war, könnte auch die Staatsfonds-
Fantasie wieder verschwinden.
Wall Street würde dies treffen; in der Canal Street in Chinatown interessiert das allerdings noch nicht. Dort wirft ein Fischhändler gerade für einen Kunden einen im Todeskampf zappelnden Lachs auf die Waage. In einem Korb vor dem Laden strampeln blau-braune Krabben um ihr Leben, daneben schwimmt, in einem Mini-Pool, mit hektischen Bewegungen, ein batteriegetriebener Plastikfrosch.
Die Batterie wird allmählich schwächer, der Frosch zuckt noch – aber vom allgemeinen Sterben abkoppeln kann auch er sich nicht, wenn ihm langsam der Saft ausgeht.
www.wiwo.de/finanzen/im-selben-boot-260620/2/