Stiglitz: Sparmaßnahmen könnten in USA und Europa zu neuer Rezession führen
von Christoph Huber
Mittwoch 28.07.2010, 12:29 Uhr
Hamburg (BoerseGo.de) - Der bekannte Ökonom und ehemalige Nobelpreisträger Joseph Stiglitz warnte gegenüber der “Financial Times Deutschland” vor einer massiven Kürzung der Staatsausgaben in den USA und Europa. Die Forderungen, dass der Staat zur Wiederherstellung des Vertrauens über Ausgabenkürzungen einen Fokus auf Defizitabbau legen soll seien aus historischen Gesichtspunkten nicht schlüssig. In den 30er-Jahren habe der damalige US-Präsident Herbert Hoover diese Strategie angewendet und dadurch beigetragen, dass sich der Börsenkrach von 1929 in eine Weltwirtschaftskrise verwandelte. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sei 1997 in Ostasien in der selben Weise vorgegangen, wodurch Abschwünge in Rezessionen endeten und Rezessionen eine Mündung in Depressionen erhalten haben.
Die Argumente der Befürworter von Einsparungen würden auf fehlerhaften Analogien beruhen. Ein überschuldeter privater Haushalt müsse seine Ausgaben verringern. Dieses Prinzip gelte aber nicht für Regierungen, da sonst Produktion und Einnahmen sinken und die Arbeitslosigkeit steigt. Dann nehme für Regierungen die Fähigkeit zur Schuldenrückzahlung möglicherweise sogar ab. Bei Befolgung der Forderungen nach härteren Sparmaßnahmen würden katastrophale Konsequenzen drohen. In diesem Fall stehe das Wachstum vor einer Verlangsamung. Die instabile Erholung schüre diese Gefahr. In Europa und den USA könne sogar ein Rückfall in die Rezession erfolgen. Die hohen Defizite und Schulden hätten ihre Ursache nicht in den Ausgaben zur Konjunkturankurbelung. Das Anschwellen der Defizite sei vielmehr auf die sogenannten automatischen Stabilisatoren sinkende Steuereinnahmen und Abschwünge begleitende Ausgabenerhöhungen zurückzuführen. Ohne Konjunkturmaßnahmen und automatische Stabilisatoren wäre die Rezession wesentlich schärfer und länger ausgefallen und die Arbeitslosigkeit noch mehr gestiegen. Die keynesianische Wirtschaftslehre habe daher funktioniert. Die Verschuldung dürfe zwar nicht ignoriert werden, doch von tatsächlicher Bedeutung sieht er die langfristigen Verbindlichkeiten.
Stiglitz macht weiters auf das Diktat durch die Finanzmärkte aufmerksam. So biete sich in dieser Hinsicht das Beispiel Spanien. Auf den Tag als Spanien sein Sparpaket ankündigte kam es zur Herabstufung der Staatsanleihen des Landes. Das Problem wäre nicht in einem Mangel an Vertrauen zu suchen gewesen, dass die spanische Regierung ihre Versprechen nicht erfüllt, sondern habe in der Angst bestanden, dass diese Maßnahmen zur Wachstumsverringerung setzt. Die Finanzwirtschaft müsse der Gesellschaft dienen und nicht umgekehrt. Hinsichtlich der Finanzmärkte gebe es daher die Notwendigkeit von deren Zähmung. Dabei könne eine Mischung aus Steuern und Regulierung zum Einsatz kommen. Hiefür müsse gegebenenfalls der Staat entsprechende Taten setzen. In den USA und Europa habe dieser Prozess des Mäßigens und Zähmens bereits begonnen. Doch es gebe in dieser Hinsicht noch viel zu tun, führte der Professor an der Columbia Universität New York im Rahmen des Interviews weiter aus.