(Besser kann ich es auch nicht sagen)
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"Jetzt sparsamer sein"
Wirtschafts-Nobelpreisträger Milton Friedman über die neue Sehnsucht nach dem starken Staat und seinen Glauben an das kapitalistische Wirtschaftssystem
Milton Friedman: "Staatliche Programme sind eine miserable Idee."
SPIEGEL: Mister Friedman, als Vordenker des Neoliberalismus sahen Sie lange Zeit aus wie der strahlende Sieger. Nun aber schaut aus den Ruinen des World Trade Center Ihr alter Widersacher John Maynard Keynes hervor. Immer mehr Regierungen starten Milliardenprogramme, um ihre angeschlagene Wirtschaft zu stützen. Ärgert Sie das?
Friedman: Diese staatlichen Ausgabenprogramme sind eine miserable Idee, alles andere als wünschenswert und vollkommen unnötig. Keynes steht wieder hoch im Kurs, die Schleusentore sind weit geöffnet, und es lastet ein enormer Druck auf den Regierungen, Geld auszugeben. Es stimmt, die Atmosphäre hat sich seit dem 11. September vollkommen geändert.
SPIEGEL: Zahlreichen Fluglinien droht der Bankrott, Versicherungen stehen vor Milliardenforderungen, ein verängstigtes Volk muss mit Antibiotika versorgt werden. Ist es in solchen Krisenzeiten nicht sinnvoll, dass der Staat eingreift?
Milton Friedman
ist als Vordenker des Neoliberalismus einer der umstrittensten Wirtschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts. Für seine Idee des Monetarismus, wonach eine Privatwirtschaft grundsätzlich stabil ist, solange sie nicht gestört wird durch Handlungen der Regierung, erhielt er 1976 den Wirtschafts-Nobelpreis. Friedman, geboren 1912, gilt als einflussreichster Gegenspieler von John Maynard Keynes, der im Falle einer Rezession einen aktiv gegensteuernden Staat propagierte.
Friedman: Betrachten wir den Schaden vom 11. September doch mal realistisch. Kein Zweifel, wir sind ärmer geworden. Zwei riesige Gebäude wurden zerstört, die Aufräumarbeiten und der Wiederaufbau werden viel Geld verschlingen. Aber das rechtfertigt nicht, dass die Regierung mehr Geld ausgibt. Im Gegenteil, wie jeder Bürger auch sollte sie jetzt sparsamer sein.
SPIEGEL: Unterschätzen Sie da nicht die psychologische Komponente von Politik? Die Menschen rufen nach einem starken Staat.
Friedman: Nein, sie rufen nach einer starken Führung. Das Militär muss stark sein, nicht der Regierungsapparat. Die Aufgabe lautet, einen Krieg gut zu führen, und nicht, für die Luftfahrtindustrie oder Versicherungsunternehmen den Kopf hinzuhalten.
SPIEGEL: Damit soll den Menschen die Angst vor einer Weltwirtschaftskrise genommen werden. Selbst die "New York Times" nannte es nach dem Anschlag eine patriotische Pflicht, zu konsumieren, und schickte seine Leser in die Einkaufszentren zum Shoppen für Amerika. Soll die Regierung da außen vor stehen?
Friedman: Da wird doch mit den Ängsten der Leute gespielt. Richtig ist, dass wir uns schon seit Ende 2000, Anfang 2001 in einer Rezession befinden. Die wird meines Erachtens im ersten oder zweiten Quartal 2002 vorbei sein. Sicherlich, der Terrorangriff hat den Abschwung beschleunigt und verstärkt - und dient nun als Vorwand für ein Eingreifen des Staates. Doch höhere Staatsausgaben führen nicht zu einer Stabilisierung der Wirtschaft, das wissen wir aus Erfahrung. Die Berufung auf Keynes dient den Politikern nur als Ausrede, mehr Geld für ihre Interessen auszugeben, denn das ist es, was Gesetzgeber tun: das Geld der anderen ausgeben. Die Frage ist immer nur: Lässt man sie gewähren? Die Umstände des 11. September haben Geldausgeben nun wieder salonfähig gemacht.
SPIEGEL: Mit George W. Bush sitzt wieder ein Konservativer im Weißen Haus - und der gibt das Geld mit vollen Händen aus. Sind Sie enttäuscht von den Republikanern?
Friedman: Natürlich nicht. Ich mag Bush, ich habe ihn gewählt und finde, dass er insgesamt seine Sache ganz gut macht. Doch er ist eben auch nur ein Politiker und unterliegt einem gewaltigen Druck. Natürlich ist seine Steuerrückzahlung ungeeignet, die Konjunktur anzukurbeln - wie die meisten fiskalpolitischen Maßnahmen ist sie zu kurzfristig. Doch wenigstens wollen die Republikaner die Steuern senken. Dafür plädiere ich bekanntermaßen jederzeit, in jeder Form, aus jedem Grund - zu dem einzigen Zweck, die Staatsausgaben zu verringern.
SPIEGEL: Ist es in Ihren Augen nicht vernünftig, die Fluglinien zu retten?
Friedman: Die Flugaufsichtsbehörde zwang die Fluglinien tagelang auf den Boden. Für diesen Ausfall müssen sie entschädigt werden, doch dafür sollte die eine Milliarde Dollar genügen, nicht die 15 Milliarden, die die Regierung bereits bewilligt hat. Es ist nicht einzusehen, dass sie auch darüber hinaus etwas bekommen.
SPIEGEL: Dann werden viele Pleite gehen.
Friedman: Na und? Lasst diese Airlines doch ruhig Bankrott gehen. Privates Unternehmertum unterliegt nun mal dem System von Gewinn und Verlust. Das Verlieren ist fast wichtiger als das Gewinnen.
SPIEGEL: Sie würden den Verkehr in den USA lahm legen, der Reinheit der kapitalistischen Lehre zuliebe?
Friedman: Was würde denn schon passieren? Alle physischen Werte existieren weiter, die Flugzeuge, die Flughäfen, die Gates. Die Firmen können trotz Konkursantrag weiter operieren. Alles, was passieren würde, ist ein Wechsel der Kontrolle von einer Gruppe von Leuten zu einer anderen. Die Aktionäre würden verlieren, die neuen Besitzer würden gewinnen. Sehr wahrscheinlich würde ein gutes Management ein schlechteres ersetzen, was wiederum die Luftfahrtindustrie stärken würde. Das ist doch gerade die Schönheit des Systems: Die Notwendigkeit, Profite zu machen, führt zwangsläufig dazu, dass das Geld in die Hände der effektivsten Leute kommt.
SPIEGEL: In Sachen Sicherheit haben sich die Fluglinien als nicht sehr effektiv erwiesen. Muss nun der Staat die Flughafenkontrollen übernehmen?
Friedman: Das wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler. Die Fluglinien haben doch ein viel höheres Interesse daran, ihre Maschinen nicht zu verlieren, als irgendein Politiker. Für ihre Sicherheitsbedürfnisse sollen die Firmen mal schön selbst bezahlen. Das ist doch nicht Sache der Regierung.
SPIEGEL: Sie plädierten immer für den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, doch nun bürgen Regierungen munter für Versicherungen, subventionieren Energiebetriebe - alles notwendig für die nationale Sicherheit?
Friedman: Natürlich nicht. Doch genau das passiert, wenn die Tresortüren geöffnet werden. Jetzt will jeder seine Scheibe ab haben, und wer genug Lobbymacht hat, bekommt sie auch. Dem Volk werden diese Zuwendungen als Folgekosten der Terrorattacke verkauft.
"Geschäftsleute sind die Feinde einer freien Gesellschaft"
SPIEGEL: Der von Ihnen entwickelte Wirtschaftsliberalismus erlaubt das Eingreifen des Staates in Fällen nationaler Sicherheit. Ist diese Situation nicht mittlerweile gegeben?
Friedman: Unser Militär ist dafür gemacht, Kriege gegen Länder zu führen. Dagegen ist dieser Vorstoß gegen Terroristen doch ein sehr begrenzter Einsatz. Der sollte locker aus dem laufenden Budget bestritten werden können, so wie der Einsatz im Kosovo auch. Es gibt in Wahrheit keinen Grund für weitere Militärausgaben. Aber wir wissen: Der Krieg ist der Freund der Regierung. In Kriegszeiten wächst die Macht von Regierungen, sie mischen sich mehr in die Wirtschaft ein.
SPIEGEL: Woher kommt Ihr tief sitzendes Misstrauen gegenüber den gewählten Volksvertretern?
Friedman: Regierungen machen viele gute Dinge, und Politiker sind genauso klug wie Unternehmer. Sie sind auch nicht besonders böse. Menschen machen nie etwas Böses aus böser Absicht, sondern immer aus guter. Selbst die Terroristen glauben, etwas Gutes getan zu haben. Es hilft also überhaupt nicht, die Absichten von Menschen zu untersuchen. Was wichtig ist, ist ihr Antrieb. Und Politiker haben einen anderen Antrieb als Unternehmer. Sie geben nicht ihr eigenes Geld aus, sondern das von anderen. Unternehmen dagegen werden vom Geschäftsergebnis diszipliniert - Märkte haben den richtigen Antrieb ...
SPIEGEL: ... und produzieren solch schlaue Gebilde wie die Dot.com-Blase.
Friedman: Nichts ist perfekt in dieser Welt. Der Unterschied ist, wenn die Regierung an der Dot.com-Blase beteiligt wäre, wäre sie nie geplatzt. Die würde bis in alle Ewigkeit subventioniert werden.
SPIEGEL: Woher kommt Ihr grenzenloses Vertrauen in den Markt?
Friedman: Weil man am Markt nur erfolgreich sein kann, wenn man anderen nutzt. Wie macht man Geld? Indem man Produkte erstellt, die andere Menschen brauchen ...
SPIEGEL: ... und den Arbeitern, die diese Produkte bauen, möglichst wenig vom Profit abgibt. 29 Prozent der amerikanischen Familien mit kleinen Kindern haben laut einer Studie des Economic Policy Institutes nicht genügend Einkommen, um halbwegs sicher leben zu können. Ist das akzeptabel im reichsten Land der Welt?
Friedman: Ich kenne diese Studie nicht. Aber ich kann Ihnen versichern: Diese 29 Prozent haben ein höheres Einkommen als 90 Prozent der Weltbevölkerung. Die so genannte "living wage", von der Sie sprechen, ist doch vollkommen subjektiv. Und was ist ein angemessenes Einkommen? Angemessen ist doch, was ein Arbeitnehmer wirklich wert ist, also wie hoch seine jeweilige Produktivität ist. Wenn sich das mit einem schlichten Gesetz regeln ließe, warum dann so bescheiden? Warum nicht einen Mindestlohn von 100 Dollar fordern, wenn es einfach nur ein Gesetz braucht?
SPIEGEL: Sie sind zynisch. Ist es wirklich zu viel verlangt, dass Leute, die acht bis zehn Stunden am Tag arbeiten, mit ihrem Entgelt ihre Familie unterbringen, kleiden und ernähren können?
Friedman: Ich bin nicht zynisch. Aber solche starren Gesetze führen nicht zu einer besseren Entlohnung, sondern zu mehr Arbeitslosigkeit - das sehen Sie doch am besten in Deutschland. Dort wird wenig eingestellt, weil man kaum entlassen kann.
SPIEGEL: Ihr Misstrauen gegenüber Politikern ist groß, haben Sie gar kein Misstrauen gegenüber Konzernen?
Friedman: Aber natürlich! Geschäftsleute sind die Feinde einer freien Gesellschaft, jedes Unternehmen ist eine große Gefahr für Regierungen. Schließlich missbrauchen sie die Regierungen für ihre Zwecke. Warum, glauben Sie, bekommen die Fluglinien nun so viel Geld? Weil ihre Lobbyisten die Politiker in Washington großzügig unterstützen. Auch deshalb plädiere ich für eine schlanke, schwächere Regierung, um die Macht der Konzerne zu vermindern.
SPIEGEL: Nun klingen Sie fast wie ein Globalisierungsgegner. Haben Sie am Ende sogar Verständnis für diese Bewegung?
Friedman: Bloß nicht, die haben so viele unterschiedliche Ideen, alle total verrückt. Wer da demonstriert, sind nicht die Betroffenen, sondern hauptsächlich gut situierte Mittelklasse-Zöglinge, die sich amüsieren wollen und sich das leisten können. Das ist eine reine Spaßbewegung.
INTERVIEW: MICHAELA SCHIESSL
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