Die perfekte Inszenierung einer großen klassischen Schlacht
Bullen und Bären: Die große Schlacht um die 11750 Punkte Marke
Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen noch an die 5000er Marke im Dax. Auch damals kam es zu einem langen Kampf zwischen Bullen und Bären, bis die Marke endgültig genommen werden konnte und die Bullen, wie so oft, letztendlich gesiegt haben. Damals hatte ich schon geschrieben, dass solche Marken in den allermeisten Fällen nicht einfach so genommen werden. Das hat ganz einfache Gründe:
Meistens sind die Kräfte der Bullen allein schon dadurch verbraucht, dass sie sich bis an diese Marke herangekämpft haben. Schaut man sich den Dow Jones an, dann sieht man, was das für ein Kampf war:

Sie sehen, zwar schaffte der Dow Jones immer wieder neue Bewegungshochs, doch die Aufwärtsdynamik wirkte wie gedeckelt die untere Aufwärtslinie durch die Tiefs steigt steiler an, als die obere durch die Hochs. Insgesamt verjüngt sich das übliche Hin und Her damit zunnehmend - die Bullen und Bären kämpfen miteinander. Chartisten konnten in diesem Aufwärtstrend viele bearishe Signale entdecken. Besonders beliebt waren in letzter Zeit sogenannte Bearkeile (auch und gerade im Dax), die sich jedoch zum großen Teil nach oben aufgelöst hatten. Auch das ist typisch für eine solche Situation.
Es war absehbar, dass diese Bearkeile, bearishe Divergenzen und andere Bärensignale sich zumindest bis in die Nähe des Hochs nicht bestätigen werden (Wenn Sie jetzt meinen: Ja, ja, der Steffens kann ja im „Nachhinein“ alles mögliche schreiben: Meinen Kunden vom Target-Trader hatte ich zu den „Bearkeilen“ im Dax rechtzeitig in einem Wochenupdate geschrieben, dass es dazu eine ganz andere Sichtweise gibt, der wir folgen und diese andere charttechnische Sichtweise hat sich bisher auch eindrucksvoll bestätigt. Sie können sich vorstellen, dass diese Kunden mich lynchen würden, wenn ich hier so etwas einfach nur behaupten würde.)
Diese 11750er Marke belastet die Kurse, wie ein großer Betonklotz. Es ist also normal, dass sich Kurse angesichts einer solchen Marke „ducken“. Daraus charttechnische Schlüsse zu ziehen, führt oft zu Fehlinterpretationen. Warum die Hochs keine „normale“ Dynamik entwickeln können, versteht man, wenn man sich die beiden beteiligten Fraktionen Bullen und Bären genauer ansieht.
Doch zunächst noch ein Hinweis. Was fällt besonders in diesem Dow-Jones-Chart auf? Wieder wurde diese 11750er Marke nicht erreicht! Nicht einmal das Hoch vom Mai wurde erreicht, nimmt man den gestrigen Einbruch als Maßstab. Sehr oft, wenn Widerstände nicht getroffen werden, die Kurse also unterhalb des Widerstandes bereits nach unten abdrehen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Chart es noch einmal versucht. Ich hatte das schon im Mai geschrieben, es kam daraufhin zugegebenermaßen zu einem ziemlich heftigen Einbruch, bevor der Dow Jones jetzt noch einmal einen neuen Anlauf gestartet hat. Auch das wird deutlicher, wenn wir uns ansehen, was genau an so einem Widerstand passiert.
Wie verhalten sich die Anleger an so einem großen Widerstand?
Die Bullen!
Die Bullen, die bereits seit wesentlich tieferen Kursen investiert sind, haben natürlich bestimmte Kursziele. Viele von diesen werden als Kursziel dieses Allzeithoch bei 11750 Punkte haben. Sie denken: Wenn der Dow an dieser Marke angelangt ist, werde ich erst einmal verkaufen, um zu schauen, was dann passiert. Ich kann dann immer noch, wenn diese Marke überwunden wurde, einsteigen. Ich verliere dann zwar ein paar Prozent, vermeide aber das Risiko eines großen Einbruchs. Andere verkaufen nicht, aber sie sichern (hedgen) sich ab, in dem sie ein paar hochgehebelte Shortpositionen kaufen. Falls die Kurse an der Marke scheitern, gleichen die Gewinne der Shortpositionen die Verluste der Longpositionen ganz oder teilweise aus.
Hinzu gesellen sich einige eher mittelfristig orientierte Spekulanten, die lediglich auf das Erreichen dieser Marke getradet haben und im Umfeld einfach aussteigen. Kursziel erreicht.
Eine dritte Fraktion von Bullen hat den Aufwärtstrend bis an diese Marke verfolgt und denkt sich schon seit Wochen: Sch..., warum bin ich nicht dabei! Wenn diese Marke bricht, dann steige ich ein!
Und eine weitere Fraktion überzeugter Bullen, die bisher gelassen zugesehen hat und schon lange darauf wartet, dass der Dow Jones sein Allzeithoch brechen wird, um ihre Positionen auszuweiten.
Eine fünfte Gruppe von Anlegern, und das dürfte die größte sein, kümmert sich kaum um diese Marke – sie investieren nach anderen Gesichtspunkten.
Im Bullenlager herrscht Verkaufsdruck
Nun schauen Sie sich diese fünf Gruppen an. Es wird offensichtlich, dass die Bullen hier an dieser Marke in den eigenen Reihen auf einmal mit ganz viel Verkaufsdruck zu kämpfen haben. Übertragen wir das auf den Mai. Die Marke wurde nicht erreicht, sondern es kam vorher schon zu stark fallenden Kursen. Das führte zu einem Kaskaden-Effekt, da die immer weiter und stark fallenden Kursen zu panikartigen Verkäufen führten, teilweise auch um die Gewinne zu sichern. Das erklärt die Schärfe des Einbruchs (unter anderen Faktoren).
Aber das ist ja nicht alles:
Das Bärenlager
Das Bärenlager ist natürlich davon überzeugt, dass diese Marke nicht bricht. Dort wird der Markt sein Hoch sehen, so die einhellige Ansicht. Ich hatte Ihnen gezeigt, dass sich im Dow Jones eine Seitwärtsbewegung ausbildet. Bei Seitwärtsbewegungen gilt: Gehe an der oberen Begrenzungslinien short (auf fallende Kurse setzen) und an der unteren Linie long (auf steigende Kurse setzen).
Aber auch ohne charttechnisches Know how werden viele in der Nähe solcher Marken Short-Positionen eingehen – besonders, wenn sich abzeichnet, dass die Marke hält.
Es gibt dann noch die Fraktion der „vorübergehend bullishen Bären“, das sind die, die meinen: „Eigentlich ist alles in den USA eine mittlere Katastrophe, aber das Hoch werden wir noch sehen!“, auch diese werden ihre Positionen am Hoch verkaufen, und dann eventuell sogar auf die Short-Seite wechseln.
Bullen und Bären mit ähnlicher Taktik
An solchen Marken haben also sowohl Bullen, als auch Bären Verkaufsgründe. Das führt dazu, dass es im Umfeld solcher Marken oft zu einer größeren Schlacht um diese Marke kommt.
Denn, es müssen erst all diese Verkäufe sozusagen aufgekauft werden, damit diese Marke brechen kann. Das ist natürlich nicht leicht. Nur bei einem sehr bullishen Umfeld werden solche Marken mit der entsprechenden Leichtigkeit genommen. Wenn es also zu einem Gerangel an dieser Marke kommt, ist das eigentlich ein bullishes Zeichen. Denn es zeigt, dass der Markt noch nicht übertrieben bullish ist und viele - gerade auch Bullen - an der eigenen Einstellung zweifeln.
Aus diesem Grund ist es auch oft bullish zu werten, wenn die Kurse "vor" so einer Marke abdrehen, wenn es zäh wird.
Der Mai-Einbruch
Schauen wir uns den Mai-Einbruch noch einmal genauer an. Die Bullen konnte dem Verkaufsdruck nichts entgegensetzten. Die Ängstlichen und Zittrigen sind aus dem Markt gedrängt worden und haben auch verkauft. Diejenigen, die sich im größeren Stil absichern wollten, haben das ebenfalls getan.
Nun laufen wir zum zweiten Mal an die Marke. Und ich glaube nicht, dass viele der Ängstlichen und Zittrigen, die ausgestiegen sind, bereits wieder ihre Positionen zurückgekauft haben. Auch glaube ich, dass noch viele über Short-Positionen abgesichert sind.
Die Bullen haben es also im Moment tatsächlich schon etwas leichter als im Mai. Es ist aber nicht klar, ob bereits jetzt schon genug Kapital in den Markt drängt (September), um die natürlich wieder an dieser Marke entstehenden Verkaufsgründe einfach zu überrennen. Rein theoretisch könnte es demnach noch einmal zu einem Einbruch wie im Mai kommen. Dieser sollte dann aber nicht so stark werden (weil, wie gesagt, ein Großteil der Absichten bereits im Mai eingelöst wurden).

Es könnte nach so einem Einbruch wieder zu einem Anlauf an diese Marke kommen, die dann auch zu einem Bruch führen würde.
Sollte dieser Bruch jedoch auch beim dritten Mal in „relativ kurzer Zeit“ nicht erfolgen, dann würden sich auf der anderen Seite die Kräfte der Bullen so langsam erschöpfen, es könnte zu einer Art Dreifach-Top kommen, dem Ende der Bullenträume.
Aber es muss natürlich nicht zu diesem zweiten Einbruch kommen! Im Umfeld einer solchen Marke sind Prognosen grundsätzlich sehr, sehr unsicher.
Die schnelle Rally nach dem Bruch
Wenn Sie sich die oben genannten Strategien der einzelnen Anleger ansehen, wird zumindest klar, dass viele einsteigen werden, wenn diese Marke bricht. Andere werden ihre Short-Positionen und ihre Absicherungspositionen zurückkaufen müssen, auch das erhöht den Kaufdruck. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass, wenn es zu einem nachhaltigen Bruch der 11750er Marke kommt, es zu einer kleinen sehr schnellen Rallye kommen wird, die den Dow Jones um mal eben bis zu 15 % nach oben schießen lassen kann. Auch das ist dann nur logisch.
Epilog
Ich hoffe, meine Damen und Herren, ich konnte Ihnen einen kleinen Einblick in die Hintergründe der Schlacht geben, die Sie nun weltweit auf ihren Monitoren zu Gesicht bekommen. Denken Sie daran, Sie und einige Millionen anderer Börsenverrückter werden zittern und bibbern, dass das geschieht, was auch immer Ihrer Meinung nach geschehen soll. Ist es nicht ein faszinierendes Schauspiel, ein perfekt inszeniertes Theaterstück, bei dem wir alle gemütlich Beobachter spielen dürfen? Und anders als im Theater, werden viele von uns aktiv an diesem Theaterstück teilhaben, in dem Sie kaufen und verkaufen.






